Review: Red Kite

Red Kite – „raquet“

Soll ich zum Beginn dieses Texts wirklich noch mal The Cooper Temple Clause hervor kramen? Es ist zehn Jahre her, dass die sich getrennt haben! Dan Fisher hat diese Zeit laaange hinter sich gelassen. Aber hey, was war das für eine absolute Lieblingsband! Und sie sind nun mal mein Einstieg in Red Kite, denn ohne die Coopers hätte ich von der Existenz Red Kites vermutlich nix mitbekommen.

Also, Rückblende: TCTC kamen aus Reading vor den Toren Londons. Sie bestanden aus sechs schrägen Einzelcharakteren. Mindestens vier davon waren am Songwriting beteiligt und sie alle trugen ihren speziellen Teil zu einem massiven Gesamtsound bei. Seit der Trennung gibt es Projekte der einzelnen Mitglieder, die sich entsprechend in die verschiedenen Einzelteile dieser Summe aufschlüsseln. Tom Bellamy zum Beispiel, damals Gitarrist und an Keys und Samplern tätig, ist nach Berlin gezogen und hat dort eine Band namens losers am Laufen, deren Sound ich Goth-Prog-Tronica nennen würde.

Hier gehts aber nicht um die losers, sondern um Red Kite. Um die Band, die Dan Fisher ein paar Jahre nach Team Cooper ins Leben gerufen hat und mit der er nun sein zweites Album veröffentlicht. Dan spielte bei TCTC meistens Gitarre, sang manchmal. Vor allem: Er schrieb viele der Songs.

Dans Vorliebe waren immer… ich nenne das mal: Komplizierte Gitarrenbands. Also Musiker, die schon ganz konkret Lieder schreiben – aber deren Lieder Wandlungen durchmachen. Als Teenager war Dan einer der größte Queen-Fan Englands, mit seinem Fachwissen hätte er zu „Wetten, dass?“ gehen können. Später liebte er dEUS und Mansun. Alles Bands, deren Lieder sich oft erst langsam entfalten oder abrupt links abbiegen. Bands, die unerwartete Instrumente einfädeln, Noise- oder Stille-Passagen in die Lieder einflechten. Wenn Dan heute über Bands schwärmt, sind es oft Kanadier, die ebenfalls auf ihre Weise diesem Schema folgen: Broken Social Scene oder Do Make Say Think sind Favoriten im Hause Fisher.

Dieses Komplexe war auch immer ein Teil von The Cooper Temple Clause – die allerdings hatten all die Mitglieder an technischen Geräten, die Dancebeats und synthetische Sounds einbrachten. Wenn man so will, ist Dans Nachfolgeband, mit der er 2013 das Debüt „Songs For Crow“ veröffentlichte, also eine „konventionellere“ Band. Denn hier gibt’s das Tech/Dance-Element nicht. Red Kite sind zu fünft und bestehen aus „vier Gitarristen und zwei Drummern“. Einen Bass höre ich freilich auch. Zu den Mitgliedern der Band gehören Jim Dare (Minuteman, Brett Anderson) und Nick Willes (Live-Mitglied der Editors) sowie Jo Collins und Nicholas Stevenson (Lucky Shivers) Jedenfalls: Eine erklärte Gitarrenband ohne Synthetik-Sperenzchen.

Und noch was zur Vorgeschichte: Die Historie von The Cooper Temple Clause, sie verdient eigentlich ihren eigenen kleinen Roman. Also: Die jungen wilden TCTC konnten um die Jahrtausendwende einen Vertrag bei einem Major unterschreiben. Nicht als Schwerpunkt, aber das Label hoffte, mit der Band eine angemessene Anzahl Indie-Fans erreichen zu können. Ihr Debüt „See This Through And Leave“ (2002) avancierte dann aber sowohl zum Kritikerliebling als auch zum kommerziellen Überraschungserfolg. Nicht, dass es gleich riesig durchstartete, aber es passierte viel mehr mit der Band, als das Label sich je ausgemalt hatte. Also wurden die Ziele fürs zweite Album umgeschrieben: Jetzt wollte man die Coopers auf den Radiohead-Level heben. Man setzte alles auf einen Song: „Blind Pilots“, die zweite Single vom zweiten Album. Die sollte so richtig knallen. Top3 in UK war das Ziel. Ergo drehte man ein sündteures Video (Hauptrolle: der junge Michael Fassbender, echt jetzt!). Jedoch: „Blind Pilots“ kam auf der Insel gerade mal auf Platz 37 der Charts. Das kostspielige Video? Weil für einen Sekundenbruchteil eine Brustwarze zu sehen war, wurde es nirgends gezeigt. Heute noch steht es nicht mal auf youtube.
So stieg das Album „Kick Up The Fire, And Let The Flames Break Loose“ im Herbst 2003 zwar immerhin auf Platz 5 der UK-Charts ein, aber von Radiohead-Level konnte keine Rede sein. Viel zu viele Kopien der CD waren da schon an Englands Läden ausgeliefert worden – ein halbes Jahr später lagen sie stapelweise in den „CDs für 2£“-Grabbelkisten. Eine der heissesten Aufsteigerbands 2002 war plötzlich die große Enttäuschung. Dabei war „Kick Up…“ tatsächlich ein sehr gutes Album, nur halt mit völlig überzogenen Erwartungen ins Rennen geschickt worden.

Naja, die Coopers verloren natürlich ihren Vertrag. Ihr Bassist Didz Hammond, nach außen quasi das Gesicht der Band, wechselte zu Carl Barâts Dirty Pretty Things. Jetzt mussten die übrig gebliebenen Jungs erst mal ein neues Label finden – es dauerte bis 2007, bis  ihr finales Album „Make This Your Own“ erschien, das dann mit den alten Erfolgen nicht mithalten konnte. Als die Band sich 2009 trennte, war nicht nur die Luft einfach raus. Nicht alle Mitglieder reden heute noch miteinander.

Langer Rede kurzer Sinn: Mit der Musikindustrie hat Dan genug schlechte Erfahrungen gemacht. Er kehrte ihr völlig den Rücken und wurde Bibliothekar. Aber ohne Gitarre ging’s halt doch nicht. Man liest von Dan das Zitat „Ich habe schon oft versucht, die Musik aufzugeben – aber leider mache ich dann doch immer wieder welche“. Man liest auch: „Die Dinge, die ich versuche, auszudrücken, kann ich nur mit Musik ausdrücken“.

Wir fassen zusammen: Nach seinen enttäuschenden Erfahrungen als Beinahe-Rockstar hat Dan keinerlei Ambitionen mehr, die Musik wieder zur lukrativen Karriere zu machen. Er hat einen Job in seinem anderen Metier, der Literatur, das reicht. Fast klingt es wie eine Entschuldigung, wenn er bei der Ankündigung einiger Livedates auf der Bandwebsite sagt: „So it appears we are perilously in danger of acting like a fully fledged rock and roll outfit.“

Red Kite ist also keine Band, die plant, große Erlöse aus Albumverkäufen zu erzielen. Es ist keine Band, die mit großem Budget ins Studio geht oder Welttourneen plant. Hier geht’s tatsächlich um jemanden, der durch eine ewige Hassliebe mit seiner Kunst verbunden ist und das für sich selbst macht. Jemand, dem seine Musik zwar unglaublich viel bedeutet und der unvernünftig viel Zeit rein investiert, der aber nach mehr den Regeln der Industrie nicht spielen will und hofft, eher zufällig entdeckt zu werden und dann durch Qualität zu überzeugen.

Aber wie klingt es denn nun, das zweite Red Kite-Album?

Es ist Indierock. Für Leute, die Indierock lieben. Fuzzy und ausgefranst. Mit viel Betonung auf die Drums und vor allem: Gitarren, Gitarren, Gitarren! Red Kite legen Schichten und Schichten aus Gitarren auf ihre Songs. Die letzte Minute von „and yet you miss the sea“ zum Beispiel: Da konzertiert eine Melodieschleife gegen eine Noisesäge und einen grummelnden Donner, alles aus Gitarren. So braut sich ein dynamischer Gesamtkrach zusammen, den das Ohr kaum auf seine Einzelgitarren trennen kann. Geradezu shoegazey wird’s bei„if we buy a train set“, das leise und laute Passagen kontrastiert. Auch gibt’s Momente der Grandaddy/Sparklehorse’schen Lo-Fi-Americana („kite and crow“) und die Freude am Experimentieren: Beim siebenminütigen Instrumental „facades“ handelt es sich um eine Coverversion des modernen Komponisten Philipp Glass.

Bei all dem hat Dan seinen Nerv für eine gewisse poppige Zugänglichkeit hat nicht verloren: „point of light“ hätte mit seinem wurligen Gitarrenintro – in einem radiofreundlicheren Mix natürlich – auch auf einer frühen Platte des Two Door Cinema Club landen können. Auch „let go the line“, „take care of your own“ und „ean“ geben Schub und haben Refrains, die hängen bleiben. Allerdings gilt auch hier: Die absichtlich unsaubere Produktion sorgt für ein Klangbild, das in der Indie-Disco gegen die aufgemotzten Nummern der Majorlabels wenig Chancen hätte.

Aber genau mit sowas will Dan Fisher ja auch nichts zu tun haben. Er mag das Zerknitterte, das Unperfekte, das Körnige nun mal lieber als das Hochglanzlackierte – und das ist es, was er uns mit „racquet“ liefert. Keine Platte, die einen anspringt, sondern eine, die ihr eigenes, unmodernes aber konsequentes Ding macht. „raquet“ ist für die Leute gedacht, die nach all den Jahren immer noch nicht genug haben von vielen, vielen Schmirgel-Gitarren. Ich bin einer davon. Ihr ja vielleicht auch?

Those were the days: The Cooper Temple Clause Mix

fucken Hell, das packt mich immer noch!
WE DARE YOU TO MEAN A SINGLE WORD YOU SAY!!

Vom finalen Album: Bei „Waiting Game“ sehen wir Dan Fisher als Sänger.

… und wo wir schon dabei sind: Videos vom ersten Red Kite Album (2013)

 

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