Archiv der Kategorie: Reviews

Review: Hatchie

Hatchie – „Keepsake“

Ich wollte hier ja eigentlich letzten Mai schon was Größeres zu Hatchies erster EP schreiben. Denn Harriette Pilbeam aus Brisbane hat darauf große Erwartungen erfüllt und noch größere geweckt. Ich hab aber nix geschrieben. Warum? Dazu gleich.

Los ging’s im Herbst 2017. Da tauchte Harriette alias Hatchie, bis zu diesem Punkt (wenig) bekannt als Mitglied der Indiepopband Babaganouj, mit ihren ersten Solo-Singles „Try“ und „Sure“ auf. Man hörte gleich: Da ist was im Busch. Diese Lady kann so richtig schönen Dreampop machen. 

Ein paar Monate später gab’s „Try und „Sure“ noch mal auf Hatchies erster EP, plus drei neue Songs. Diese fielen nicht ab. Sie hielten den Level und bestätigten die Qualität der ersten beiden Singles.

Aber ich habe dann eben doch keinen Text dazu gepostet. Der Grund: Mehr als zu sagen „Hey, echt schöner, gekonnter Dreampop“ wollte mir einfach nicht einfallen. 

Letzten Freitag ist nun Hatchies erstes ganzes Album erschienen. Es ist sehr gelungen. Na, versuchen wir’s: Kann ich diesmal mehr dazu sagen? Review: Hatchie weiterlesen

Review: Childcare

Childcare – „Wabi-Sabi“

Es kommt der Moment, da sagt man: Eigentlich ist das ein Gimmick, den Childcare einsetzen. Da beginnt man an all den „Nanana“s und den „Ayyiiiaaaah“s und den „Aaah-Haaah“s zu zweifeln. Zu diesem Zeitpunkt fragt man sich: Ist das nicht nur ein billiger Effekt? Ein zu leicht durchschaubarer Zaubertrick, auf den Childcare sich verlassen? 

Aber das geht wieder weg.

Also, es ist so: Childcare sind ein Indiepop-Quartett aus London, das etwas nutzt, was viele Bands nicht nutzen: Die Gesangsstimmen aller Bandmitglieder. 

Allerdings übernehmen nur Frontmann Ed (meistens) und Bassistin Emma (manchmal) auch die Lead Vocals. Wer gerade keine Lead-Vocals singt, der gehört in diesem Moment zum Chor. Und dieser drei- bis vierstimmige Chor übernimmt quasi die Rolle eines weiteren Instruments. Statt dass da ein Keyboarder steht, der vielleicht eine Melodie spielen oder Soundeffekte in einen Song sprenkseln würde, übernehmen dies die Stimmen.

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Review: Polish Club

Polish Club – „Iguana“

Novak und J-H haben sich ziemlich den Kopf zermartert übers zweite Album. Denn die Vorzeichen für die Neue sind ganz andere als beim Debüt.

Kennen gelernt haben wir David Novak und John-Henry Pacak als wild-lustiges Haudrauf-Duo. Als Polish Club loslegten, bevor sie Plattenverträge unterschrieben, in den Playlists der australischen Radios auftauchten und dann in den dortigen Charts, da war das ganze Projekt einfach nur etwas, das den beiden Spaß machen sollte. Novak sang so laut er konnte, J-H drosch ebenso in die Trommeln, die Songs waren kurze Garagen-Soulrockstücke. Eigentlich nicht hip – die letzten Erfolge der Hives und der White Stripes liegen ja doch länger zurück. Aber es kam an, down under. Als nach mehreren Singles die Zeit fürs erste Album „Alright Already“ kam, da ging es in australischen Top Ten.

Ich habe Polish Club letztes Jahr gesprochen, als sie auf einer ersten Deutschlandtour waren (im Vorprogramm von ABAY und Razz). Da sprachen wir schon übers kommende Album, an dem sie zu Hause längst arbeiteten. Man merkte, dass die beiden sich so ihre Gedanken machten. Vielleicht zu viele. Der unerwartete Erfolg hatte sie in einen Konflikt gebracht. 

Auf der einen Seite die Argumente der Weiterentwicklung: „Man will sich nicht wiederholen. Man will keine dieser Bands sein, die immer die gleiche Platte macht“ sagten Novak und J-H sinngemäß. 

Auf der anderen Seite: „Man darf dabei nicht zu weit gehen. Man darf die Fans, die man ja durch einen bestimmten Sound gewonnen hat, nicht vor den Kopf stoßen, indem man alles über den Haufen wirft. Man darf die eigenen Stärken nicht aus den Augen verlieren.“ Review: Polish Club weiterlesen

Review: Middle Kids

Middle Kids – „New Songs For Old Problems EP“

Die EP ist ein seltsam ungeliebtes Format. irgendwie gilt sie immer noch als nix Halbes und nix Ganzes.

Naja. Ich folgte lange der Theorie, dass seit der Erfindung der Langspielplatte die technische Machbarkeit vorgab, wie lang die Werke wurden. Auf LPs passten 35-45 Minuten Musik, folglich sind klassische Alben der 60s bis in die 80er Jahre ähnlich lang und ähnlich aufgebaut: Die besten der meistens 8 bis 10 Songs eines Albums finden sich meistens zum Anfang und zum Ende von Seite 1, zu Beginn von Seite 2 und dann wieder am Schluss.

Als die CD aufkam, ermöglichte das 78 Minuten lange Alben. So einige Bands der 90er erlaubten sich fortan überbordende Werke mit 20 oder mehr Songs („Mellon Collie and the Infinite Sadness“ wäre ein Beispiel). Klar, nicht alle wurden so extrem. Dennoch war das 35-Minuten-Album nun fast ausgestorben. Wenn Bands Platten mit weniger als 14 Songs oder unter 50 Minuten ablieferten, galt es schon als fast geizig.

Heute hören wir unsere Musik im Stream oder als Download. Der Länge der Alben sind keine Grenzen mehr gesetzt. Überhaupt bevorzugt der Hörer heute Tracks, keine Alben. Das sollte den Künstlern ziemliche Freiheiten geben, oder? Theoretisch könnte man sich mit einem 4-Stunden-Opus zurück melden. Oder man könnte jeden einzelnen neuen Track als Single direkt aus dem Studio posten, sobald er fertig ist. 

Oder man veröffentlicht eben eine EP, wenn man eine neue Handvoll Songs fertig gestellt hat. So haben’s jetzt die Middle Kids gemacht, ein Jahr nach ihrem famosen Album „Lost Friends“.

Falls jemand es noch nicht mitgekriegt hat: Ich LIEBE de Middle Kids. Review: Middle Kids weiterlesen

Review: King Gizzard and the Lizard Wizard

King Gizzard & The Lizard Wizard – „Fishing For Fishies“

Tja, da sieht man mal wieder, mit was für unterschiedlichen Maßstäben man an Alben ran gehen kann. Pitchfork hat dem neuen Album der produktiven australischen Freaktruppe King Gizzard & The Lizard Wizard gerade mal 4,8 Punkte gegeben und behauptet, die Platte wäre uninspiriert und streckenweise „downright boring“.

Tja, ich seh’s natürlich mal wieder komplett anders.

Erst mal: King Gizzard. Herrlich. Stu Mackenzie und seine Band drehen fröhlich ihr Ding, geben keinen australischen Cent auf das, was die Konventionen der Musikindustrie sagen. Trotzdem haben sie eine Nische zum Erblühen gebracht, die niemand auf dem Zettel hatte.

Dies ist schon ihr 14tes Album seit 2012, alleine 2017 lieferte das Team fünf (!) auf verschiedene Arten faszinierende Longplayer ab: „Flying Microtonal Banana“, gespielt auf experimentellen Tonleitern voller Zwischentönen. „Murder In The Universe“, die dreiteilige Psycho-Rock-Oper. „Sketches Of Brunswick East“, die Akustikjazz-Schlafliedplatte. „Polygondwanaland“, vertrackt und polyrhythmisch. „Gumboot Soup“, das Sammelsurium der Überbleibsel, trotzdem viel besser, als eine Resteplatte sein dürfte.

Okay, wenn man’s so sieht, ist die fröhlich wackelnde und schiebende Boogie-LP „Fishing For Fishies“ tatsächlich ein bisschen konventionell geraten.

Andererseits: Im realen Universum ist dies immer noch sonderlicher und schräger als alles, was normale Bands so anbieten. Review: King Gizzard and the Lizard Wizard weiterlesen

Review: Cayucas

Cayucas – „Real LIfe“

Ab und zu passiert’s, da erwischt einen ein Album wie eine warme Meerbrise. „Bigfoot“, das erste Album von Cayucas, war so eins. Auch schon wieder sechs Jahre her, das alles. 2013.

Jedenfalls, „Bigfoot“. Ein kurzes, knackiges Album war das. Acht Songs, gerade mal eine halbe Stunde lang. Cayucas hatten gar nicht die Zeit, viel falsch zu machen. Das Blau des Covers erinnerte an das erste Weezer-Album, und wenn diese ganz frühen Weezer leichtfüßige Surfpop-Songs der Beach Boys gecovert hätten, hätte es vielleicht ähnlich geklungen.

Es zeigte sich: Cayucas, das war nicht mal eine Band. Dahinter steckte ein gewisser Zach Yudin, aufgewachsen im kalifornischen Küstenörtchen Cayucos. Zach hatte zuletzt als Englischlehrer in Japan gearbeitet und der dort quasi als Hobby begonnen, Lieder zu schreiben und aufzunehmen, die ihn an die Heimat erinnerten. Wieder zuhause in Kalifornien merkte er, dass Leute diese Songs mochten. Er kriegte einen Plattenvertrag, sogar beim namhaften Indie Secretly Canadian. Zach sammelte ein Grüppchen Musiker um sich, das jetzt mit ihm auftrat, auch sein Zwillingsbruder Ben wurde Mitglied dieser Band. Im Kern war sein erstes Album aber das Ergebnis seiner Eigenarbeit. Review: Cayucas weiterlesen

Review: Fontaines D.C.

Fontaines D.C. – „Dogrel“

Ich sag’s euch gleich: Wenn ich am Ende dieses Textes Punkte vergebe, dann kriegen Fontaines D.C. – zum ersten Mal auf diesem Blog – die Höchstnote 10. Denn warum sollte man zehn Punkte überhaupt anbieten, wenn man sie nicht alle Jubeljahre doch mal jemandem gibt? Wenn echt ein Album erscheint, das vom ersten bis zum letzten Ton einfach nicht besser hätte gemacht werden können, dann muss man auch mal sagen: Wow! Und mir fällt nichts ein, nichts, womit man „Dogrel“ noch perfekter hinkriegen könnte.  

Es ist ja nicht so, dass wir nicht vorgewarnt worden wären. Letztes Jahr haben die fünf Iren vier Singles á zwei Songs veröffentlicht. Acht Lieder also, die ein jedes für sich schon großartig waren. Die Songs waren zappelig nervös („Too Real“), frech („Liberty Belle“) oder stinkig („Chequeless Reckless“). Sie hatten Druck, sie packten dich am Kragen – aber sie waren nicht: aggressiv. 

Die Wut von Fontaines D.C., das ist eine sehr artikulierte Wut, eine nahezu poetische Wut. Ihre Texte lesen sich wie Gedichte von ganz schön fixen Kerlchen. Klar, so ehrlich muss ich sein: „Poetisch“ hätte ich’s vermutlich nicht genannt, wenn ich nicht wüsste, dass die fünf Mitglieder der Fontaines D.C. tatsächlich ursprünglich mal als Dichter angefangen hätten. Dass sie kleine Lesungen veranstalteten und ihre Poesie in Fibeln in Dublins Buchläden auslegten, bevor sie Instrumente in die Hand nahmen. 

Es macht so viel Sinn, das zu lesen! Dies ist spürbar eine Denker-Band. Zum Punkrock kamen sie über den Umweg der Dichtung. Der Radau reinsägender Gitarren, die Dynamik rollender Basslines  und gedroschener Drums dient ihnen zum Zweck, den Ausdruck ihrer lyrischen Inhalte zu verkörpern und zu verstärken. Fontaines D.C. brüllen nicht, ihre Waffe ist nicht der Holzhammer. Sondern das Skalpell. Sie schneiden gezielt, sie schneiden präzise.

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Review: I Know Leopard

I Know Leopard – „Love Is A Landmine“

Zeit. Zeit ist ein wichtiger Faktor im Pop. Man geht auf youtube und findet bis zu sieben Jahre alte Videos von I Know Leopard, die einen nicht vorbereiten auf die Art-Glam-Farbbombe, die die Australier uns hier kredenzen. 

Es gibt Clips, da sind I Know Leopard einfach noch typische Indiegitarrenrocker und Sänger Luke O’Loughlin versucht noch, seine Stimme tiefer zu stellen. Später präsentieren sie sich als legere Indie-Folk-Combo. Irgendwann dürfen Streicher und Synthies Nebenrollen übernehmen. Heute sind Synthies ganz vorne bei den zwei Damen und Herren aus Sydney.

Ganz schön lange hat die Band also an ihren Debütalbum geschraubt, sie musste erst ein paar Umwege nehmen, um ihren eigenen Pfad zu finden. Das Schöne daran ist, dass sie ihn gefunden haben.

Denn habt ihr das Video zu „Landmine“ schon gesehen? Seit dieser Single aus dem letzten Herbst ist von den früheren I Know Leopard quasi nichts mehr wieder zu erkennen. Plötzlich sind diese vier Sydneysider zu außerirdischen Sex-Technikern mutiert. Schminke, Synthies, Glitzer, Retrofuturismus, schillernder Herzschmerz! Diese Glanznummer ist nicht nur arty und glamourös, es ist auch ein HIT! Ein Ohrwurm: „La La La La La La Love Is a Landmaaa-hine“! Mit einem Text, den man zitieren will! Ich meine: „There Is a landmine out there, waiting just for you.“ Ist das Trost oder eine Drohung? Es ist auf jeden Fall mal clever.

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Review: Weeping Willows

Weeping Willows – „After Us“

Ich bin alt genug, um bestätigen zu können, dass ich die Konsequenzen des Klimawandels mit eigenen Augen und auf der eigenen Haut erlebe. Ich erinnere mich an Winter, in denen es üblich war, dass mir der Schnee mindestens bis zur Hüfte ging – heute bleibt die Schneedecke selten länger als eine Woche geschlossen. Im Sommer gab es hitzefrei bei 27° – eine Temperatur, auf die das Thermometer in Münchens August nicht mal mehr nachts sinkt. Wenn ich durch mein heimatliches Allgäu radle, komme ich an Bächen vorbei, die, von einem Schneefeld gespeist, den ganzen Sommer Wasser führten – und inzwischen in den heissen Monaten oft ausgetrocknet sind.

Was hat das alles mit dem neuen Album der Weeping Willows zu tun?

Die wunderbaren Weeping Willows haben sich in über 20 Jahren einen festen Platz in den Herzen der schwedischen Musikfans erspielt. Magnus Carlson, ein echter Ausnahmesänger, und seine Mitstreiter begannen mit ihrem gefeierten Debüt „Broken Promise Land“ (1997) als orchestrale Bombast-Retropopper. Auf folgenden Alben zeigten sie sich auch als Könner in Gebieten wie Synthpop/Indie und Akustikfolk, aber seit ihrem sechsten Album „The Time Has Come“ (2014) sind sie zurück bei dem Sound ihrer ersten Alben angekommen: Die Trauerweiden machen herrlich sentimentale Popsongs voll großer Geste und voll gefühlsseligem Pathos. Manch einer wird ihre Musik sogar schwülstig und schnulzig finden – aber das ist eine Fehldeutung. Denn das Ganze findet auf einem viel zu hohen Level statt, um kitschig sein zu können.

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Review: Sports Team

Sports Team – „Keep Walking! EP“

Als das Sextett Sports Team im letzten Jahr vom englischen Webportal Noisey porträtiert wurde, da schlug Frontmann Alex Rice dem Autoren folgende Kurzfassung vor: „Sexy Sänger, gebremst von Trittbrettfahrern“. Das sagt uns schon eine Menge über diesen Typen bzw. über seine Art Humor. Alex ist cheeky. Frech. Alex stellt diese selbstironische gespielte Arroganz zur Schau, die man nur zeigen kann, wenn dieses Selbstbewusstsein eben nicht nur vorgespielt ist. Sagen wir’s so: Auch ein Pfau, der auf dem Rasen ungelenke Purzelbäume hinlegt und der „Schaut, ich bin’s, der blöde selbstverliebte Pfau!“ kräht, bevor er mit seinen Federn ein Rad schlägt, bliebt ein Pfau. Die Hühner und Gänse neben ihm werden nie so interessant sein.

Wem das obige Zitat nicht reicht als Beispiel für Alex‘ Keckheit, der kann sich anschauen, wie er im Video zur Single „Margate“ exaltiert durchs Zentrum des gleichnamigen Küstenstädtchens tanzt. Sehr schön: Die Reaktion der verwirrten Fussgänger. 

Drittes Beispiel für Alex’ Witz: Die Tatsache, dass sein Aussehen wiederholt mit dem von US-Schauspieler Ashton Kutcher verglichen wurde, nutzt er zur Single. Refrain: „Ashton Kutcher’s got nothing on you!“ 

Kurz und gut. Wir haben hier einen Typen vor uns, der auffällt. Eine Charakterfigur, die man sich merkt und die auch mal aneckt: Ein Buddy von mir hat Sports Team z.B. unlängst live gesehen und er meinte: „Der Sänger war mir zu viel.“

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