Schlagwort-Archive: Bob Dylan

Review: L.A. Salami

L.A. Salami – „The City Of Bootmakers“

Das letzte Album des Londoners Lookman Adekunle Salami war ein ziemliches Tohuwabohu. Aber es war trotzdem – oder gerade deswegen – interessant. Hier war ein sehr untypischer Charakter zugange: Singer/Songwriter, Aktivist, verstiegener Künstler, Protestsänger. Wer auf der Platte den roten Faden suchte, fand ein kunterbuntes, verheddertes Wollknäuel. Flüsterfolk, dissonante Noisegitarren, Sprechgesang auf dem Weg zum Rap, Jeff Buckley’sche Melodiepurzelbäume, all das gab’s zu finden auf „Dancing With Band Grammar“. (HIER noch mal mein Text von vom Sommer 2016.)

Zwei Jahre später hat Lookman zu einer klareren Definition seiner Kunst gefunden. Er hat sich dabei nicht dafür entschieden, einen der Seitenarme seines bisher verästelten kreativen Flusses zu verfolgen. Viel mehr er alles in einen Hauptstrom kanalisiert. 

Das Ergebnis ist ein Sound, den man wohl als Indie-Folkrock bezeichnet. Die Songs auf „The City Of Bootmakers“ sind immer noch nicht alle unter einen Hut zu bringen, aber sie sind längst nicht so disparat wie die auf dem Vorgänger. Review: L.A. Salami weiterlesen

Interview: Kyle Craft

Ich habe mich hier auf dem Blog schon mal darüber beschwert, dass es für das wunderbare englische Wort „unhinged“ keine wirklich ideale deutsche Übersetzung gibt. Denn „hinge“ ist bekanntlich das Scharnier bzw. Gelenk. „Unhinged“ wären also z.B. Türen oder Fenster, die nur noch lose in der Angel schwingen oder sogar völlig aus der Verankerung gefallen sind. Oder ein ausgekugelter Arm. Man könnte auf deutsch vielleicht „freischwingend“ sagen… aber wann verwendet man schon mal das Wort „freischwingend“?

Was hat das mit Kyle Craft zu tun? Nun, der US-Songwriter schreibt Lieder, die genau das sind: „unhinged“. Einerseits haben die Songs eine klassische 70s-Anmutung, andererseits sind sie irgendwie losgelöst, von der Leine gelassen, nicht ins Raster einzupassen. Kyle sagt das Wort „unhinged“ selbst mehrfach in unserem Gespräch – ich hatte den guten Mann anlässlich der Veröffentlichung seines zweiten Albums „Full Circle Nightmare“ nämlich am Telefon.
Im Text übersetze ich „unhinged“ dann zähneknirschend mal mit „freigeistig“, mal mit „losgelöst“.  Ihr merkt’s dann schon, wenn ihr an der Stelle ankommt. Interview: Kyle Craft weiterlesen

Meine Alben 2017, Pt.4 (15-11)

Unerbittlich ist er. Er zieht’s durch. Zählt seine persönlichen Lieblingsalben des Jahres 2017 runter, als müsste das irgendwen jucken. (Also ich jetzt.)

Aber hey – der Sinn der Aktion ist natürlich, tolle Platten des Jahres noch mal zu loben und zu highlighten. Vielleicht gibt’s für den/die eine(n) oder andere(n) Leser(in) ja nachträglich sogar noch was zu entdecken? Wir sind bei Platz 15-11 angekommen.

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Review: Trevor Sensor

Trevor Sensor – „Andy Warhol’s Dream“

Retro vs Zeitlosigkeit.

Musik ist dann retro, wenn sie sich auf einen bestimmten Zeitraum der Musikgeschichte beruft und versucht, die Sounds dieser Ära nachzuahmen. Das muss nicht unoriginell sein, es kann sehr viel Charme und augenzwinkernden Witz haben, aber auch neunmalklug hipstermäßig rüber kommen.

Und dann gibt’s zeitlose Musik. Eine solche Platte liegt hier vor uns. Der US-Amerikaner Trevor Sensor strebt keine bestimmt Ära an, um sie zu kopieren oder persiflieren. Statt dessen lässt sich gar nicht erst einordnen, in welchem Jahr sein Debüt wohl erschienen sein mag. Ist es ein Songwriter-Album der 70s? Ist er ein Springsteen/Bob Seger-Zeitgenosse der Achtziger? Oder ist „Andy Warhol’s Dream“ es eben doch eine brandneue Platte, die sich auf klassische Produktions- und Arrangement-Techniken besinnt? (Genau.)

Trevor Sensor hatte gar nicht vor, seine Songs zur Karriere zu machen. Er stammt aus dem Örtchen Sterling, Illinois, einem durchschnittlichen, unbedeutenden, Durchschnittsstädtchen (das wir übrigens im Video zu „High Beams“ sehen können). Als Teenager war er in der einen oder anderen Band, aber keiner seiner Mitmusiker war ähnlich motiviert. Also begann Trevor ein Literaturstudium in Pella, Iowa (noch so ein nichtssagender Ort). Songs schrieb er nur noch für sich selbst.

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Single Review: Kyle Craft

Kyle Craft Before the Wall - SingleKyle Craft – „Before The Wall“

Erst habe ich mich ein bisschen gewundert. Kyle Craft hat doch gerade erst vor Kurzem sein Debütalbum veröffentlicht? „Dolls Of Highland“ ist eine famose Platte, auf der sich der Songwriter aus Louisiana als schriller Retro-Vogel auszeichnet. Der blonde Wuschelkopf klingt auf seinen Songs wie ein angeschickerter, depressiver Barsänger mit Federboa, der sich in den Siebziger Jahren am Piano austobt – in einem verrauchten Schuppen, der wiederum im Retro-Stil auf Zwanziger Jahre macht. Zu wirr? Sorry. Die Typen von Seattles Superlabel Sub Pop haben jedenfalls mal wieder alles richtig gemacht, als sie den Typen unter Vertrag nahmen.

Aber jetzt schon wieder eine neue Single? Die keine Auskoppelung aus dem Album ist? Obwohl der Longplayer doch noch locker Material für drei, vier Singles bereit hielte? Und dann ist die neue Single auch kein Piano-Glam-Stampfer, sondern ein Folksong nur mit Klampfe und drei Sekunden Mundharmonika?

Kyle CraftDann habe ich auf den Text geachtet – aber ich hätte es ja schon beim Titel ahnen können. Was Kyle hier macht, ist eine Tradition der Sixties neu zu erwecken: Den Protest-Folksong. Kyle macht uns den Arlo Guthrie/Bob Dylan des Jahres 2016. Mitten im US-Präsidentschaftswahlkampf ist jetzt der richtige Zeitpunkt, seinen Standpunkt zu beziehen. Da geht es nicht um Release-Pläne.

Natürlich ist dies ein Anti-Trump-Song. Wer redet denn die ganze Zeit davon, dass er eine Mauer bauen will?

Kyle Craft stellt sich also eine Welt des Präsident Trump vor und hakt in elf Strophen alles ab, was gesagt werden muss. Single Review: Kyle Craft weiterlesen

Review – The Avett Brothers

True SadnessThe Avett Brothers – „True Sadness“

Ihren großen Wurf landeten The Avett Brothers 2009 mit ihrem Album „I And Love And You“. Ihre erste Platte auf einem Majorlabel sowie mit Producer Rick Rubin hinter den Reglern war ihr großer Aufstieg raus aus den Americana/alt.Country-Kennerkreisen. Ab jetzt waren sie eine der größten Bands ihres Genres. Höhepunkt war damals ihr Auftritt bei den Grammy Awards 2011: Die Macher der Show wollten damals der großen Wiederauferstehung des Folk Rechnung tragen, also luden sie Ur-Folkmeister Bob Dylan sowie die Hit-Folkies Mumford & Sons gemeinsam auf die Bühne. Dazu durfte noch ein Vertreter der Americana nicht fehlen – und dass man die Avett Brothers pickte, nicht etwa Ryan Adams, die Band of Horses oder Jason Isbell, zeigt den Stellenwert, den die Durchstarter aus North Carolina zu dem Zeitpunkt hatten. Man rechnete damit, dass sie das nächste Mega-Ding des Folk Rock würden.

Fünf Jahre später käme wohl kein Grammy-Producer darauf, die Avetts wieder in solcher Gesellschaft zu positionieren. Nicht, dass ihre letzten beiden Alben gefloppt wären – nein, sowohl „The Carpenter“ (2012) als auch „The Magpie and The Dandelion“ (2013) gingen in die Billboard Top 5. Die zwei Alben zementierten zweifellos den Status der Avetts als eine der größten Bands der erweiterten Americana.

Was allerdings nicht stattfand, das war der Durchbruch über die Genregrenzen heraus, den man prophezeit hatte. Review – The Avett Brothers weiterlesen

Vinterview: The Avett Brothers

Vinterview Header Avett BrothersHeute erscheint „True Sadness“, das inzwischen neunte Album von The Avett Brothers, die spätestens seit „I And Love And You“ (2009) zu den großen Namen der Americana gehören. In den kommenden Tagen will ich eine Rezension zur Neuen hier platzieren, vorerst aber kruschteln wir wieder im Archiv. Denn zu „The Carpenter“ (2012), dem vorletzten Album der Brüder, hatte ich Seth Avett am Telefon.

Was fällt mir im Nachhinein beim neuerlichen Lesen auf? Vor allem, wie unglaublich höflich Seth war. Das ist halt US-Provinz-Style. Auch wenn die ländlichen Staaten einen schlechten Ruf haben, man sagt „Sir“ und „Madam“ zueinander und man spricht sich immer wieder mit dem Vornamen an – so wie Seth mich tatsächlich im Gespräch immer Henning nennt, wenn er etwas betont.  Das ist unüblich – und etwas, das ich mir gerne angewöhnen würde. Ich nenne im normalen Gespräch, glaube ich, nicht mal meine Freunde mit Namen. Mal schauen, ob das etwas ist, das ich aus diesem Interview nachträglich mitnehmen kann, außer der Information.

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Review: Jake Bugg

Jake Bugg On My One Albumcover - CMS SourceJake Bugg – „On My One“

Am Wochenende habe ich mein drei Jahre altes Interview mit Jake Bugg zu seinem zweiten Album als „Vinterview“ hier platziert. Beim Nachträglich-noch-mal-drüber-Lesen fiel mir auf: Auf meine Frage nach „Authentizität“ reagierte er ganz schön pikiert. Jake glaubte, ich wolle ihn aufs Glatteis führen. Da ist ein wunder Punkt angesprochen worden. Die Tatsache, dass das Wunderkind aus Nottingham seine Songs in Kollaboration mit Profi-Songwritern aus den Hinterzimmern der Musikindustrie schrieb, die wurde von seinen Gegnern immer als willkommener Angriffspunkt verwendet.

Dabei finde ich selbst es ja gar nicht schlimm, wenn jemand mit den „Experten“ arbeitet. Das machen auch andere „credibile“ Bands, oft heimlich. Was zählt, ist doch das Ergebnis. Und wenn am Ende ein guter Song steht, der ins Ohr flutscht und dort hängen bleibt, haben doch alle gewonnen.

Seien wir doch ehrlich: Auch wenn es immer als schlimmer Eingriff in die Persönlichkeit gewertet wird, als kommerzgeile Normierung, als anmaßender Overreach und als kleingeistiges Zeichen von kreativer Angst bzw. kreativer Armut – Labels haben oft genug Recht, wenn sie die hochtrabenden Ideen ihrer Künstler durch Input von außen kanalisieren und fokussieren lassen.

Wie war’s bei Jake Bugg? Ein 16jähriges Songwriter-Talent kriegte einen Plattenvertrag. Man brachte den Jungen mit ein paar Profi-Autoren zusammen, bei denen er quasi in die Lehre gehen sollte. Als er dann mit 17 sein Debüt veröffentlichte, wurde gejubelt: Die Songs dieses Teenagers waren prima. Man sprach vom neuen Noel Gallagher, sogar vom neuen Bob Dylan.

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Interview: Corb Lund

 

CorbLund Header

Hierauf habe ich mich gefreut: Corb Lund! Kanadas Nummer Eins in Sachen Alternative Country! Der Mann schreibt urige Songs mit gewitzten Texten und hat sich in seiner Heimat innerhalb von zwei Jahrzehnten von ganz unten nach ganz oben gespielt – da weiß man schon vorher, das Gespräch KANN nur gut werden.  So war’s dann auch!

Lunds aktuelles Album „Things That Can’t Be Undone“ – sein achtes – steht ab morgen auch in Deutschland in den Läden.  Das ist natürlich der Hauptgrund unseres Gesprächs, aber wir reden auch über Pop Country vs Alternative Country, Gentrifikation in Berlin und Fracking in Alberta.

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