Tusch! Fanfare! Tänzerinnen springen aus Torten! Delfine vollführen Saltos in ihren Pools! Neymar hat eine Samba-Band gebucht und 500 Freunde in seinen Partykeller eingeladen, vor lauter ungeduldiger Erwartung dieser Bekanntgabe! Wir sind tatsächlich bei den Top Five meiner Lieblingsalben des Jahres 2020 angekommen. Die einzige Statistik, die in diesem Jahr was gilt! Jetzt tut euch den Gefallen und klickt!
5. Fontaines D.C. – „A Hero’s Death“
Als Erstes war man überrascht. Denn das umwerfende Debüt der fünf Dubliner Fontaines DC war doch kaum älter als ein Jahr? Seitdem waren sie quasi ununterbrochen auf Tour. Trotzdem schon in der ersten Jahreshälfte die Zweite?
Als ich „A Hero’s Death“ dann zum ersten Mal hörte, war ich auch enttäuscht, so ehrlich muss ich sein. Auf „Dogrel“ waren die Fontaines DC bissig und räudig, aufgezwirbelt und angespannt. Auf dem Nachfolger klangen sie bereits müde, ausgelaugt, desillusioniert. Triste Joy Division Vibes hatten die punkige Struppigkeit abgelöst. Okay, man erlebte die Band in real time dabei, wie sie sich entwickelte – und das war spannend. Andererseits: Das, wo sie sich hin entwickelte, das packte mich weniger als die so unmittelbaren Songs ihrer Ersten.
Zumindest am Anfang. Dann veröffentlichten die Iren das Youtube-Konzert „A Night At Montrose, Dublin“. Da machte es dann „Klick“. In dieser Liveperformance entwickelten die Songs eine unfassbare Intensität. Dass kein Publikum dabei war, war dafür völlig irrelevant. Ich hab’s noch nicht erlebt, dass mir bei einem Youtube-Konzert Schauer über den Rücken laufen. Hier ist’s passiert.
Grian Chattan & Co spielten nur neue Songs – als sie, quasi zur Zugabe, zum Schluss doch noch Lieder von der Ersten addierten, da war’s fast, als wären dies Songs einer anderen Band. Fazit: Okay, Fontaines DC haben das Tempo reduziert auf ihrer Zweiten. Aber die Intensität, die haben sie sogar erhöht.
4. The Beths – „Jump Rope Gazers“
Schon ihr Debüt „Future Me Hates Me“ hat mich vor zwei Jahren begeistert. The Beths, das Quartett aus Auckland, ist eine kecke, energiegeladene Indie-Band, die es nicht nur versteht, die Regeln des Powerpop perfekt auf ihre Songs anzuwenden, sondern auch, raffiniert mit ihnen zu spielen.
Mit ihrer Sängerin Elizabeth Stokes haben sie eine sympathische Identifikationsfigur an ihrer Spitze, denn Beth textet mit Selbstironie, Witz, Zärtlichkeit, Ehrlichkeit. Wenn sie ein Liebeslied schreibt – wie hier z.B. den Titelsong – dann spürt man alles: Das Glück, die Wärme, die sie dem Gegenüber empfindet, auch die eigene Unsicherheit und die Zweifel.
„Jump Rope Gazers“ hat – in meinen Ohren – mehr Variation als das Debüt. Man kann’s natürlich auch anders formulieren und sagen: Es gibt mehr Balladen als auf der Ersten. Ein Buddy von mir findet die Neue daher nicht so fresh wie „Future Me Hates Me“. Ich bin nicht seiner Meinung. Ich finde, „Jump Rope Gazers“ ist der ideale zweite Schritt für diese Band.
3. HAIM – „Women In Music, Pt. III“
HAIMs bisherige Geschichte, ich seh’ sie so: „Days Are Gone“ (2013) war gesteckt voll mit brillant konstruierten, clever durchdachten und gewitzt arrangierten Popsingles. Aber auf „Something To Tell You“ (2017) versuchten die drei Schwestern aus Kalifornien, dies zu bemüht zu wiederholen. Der Funke von der Ersten, ich hab’ ihn nicht mehr gespürt. Ich hatte HAIM schon abgehakt als eine dieser Bands, die ihre frühen Versprechen nicht einlösen kann.
Umso überraschender war dann die Single „Summer Girl“ von 2019. Hier war alles mühelos: Die wurlige Bassline, das minimalistisch-luftige Arrangement, das unerwartete Saxophon. Dies wirkte nicht konstruiert, sondern spontan, easygoing, inspiriert.
HAIM haben diesen Spirit aufs ganze folgende Album anwenden können. Diese Lieder sind verspielte Popwunder. Jede, wirklich jede Tonspur, die das Klangbild entert, macht was Nettes. Und das gilt für jeden dieser sechzehn Songs – auch wenn natürlich ein paar Highlights wie „Now I’m In It“, „Los Angeles“, „The Steps“ oder „Don’t Wanna“ besonders heraus ragen.
Sagen wir’s so: dies das Gegenteil einer von diesen schlauen Pop-Platten, denen man anhört: „Aha, hier hat in Producer Fleetwood Mac haarklein analysiert und dann friemelig nachgebaut.“ Statt dessen ist es eine Platte, die Producer der Zukunft haarklein auseinander nehmen werden, um sie friemelig nachzubauen. Weil sie vergessen, dass spontane Eingabe, Magie und Spielwitz nicht konstruieren kann.
2. Spacey Jane – „Sunlight“
In jede Top 5 gehört immer auch eine Platte, bei der die Leute sagen: Was HÖRT der Kerl in dieser Band? (Naja, behaupten wir mal, dass ihr das nicht eh schon bei 90% meiner Auswahl so empfunden habt.)
Na jedenfalls: Spacey Jane aus Fremantle/Perth sind ja wieder mal so ein Gitarrenquartett, das aber echt gar nichts Neues macht. Aber dafür ist das, was die vier machen, das ist halt genau das, weswegen wir uns einst in Gitarrenmusik von Bands wie Lemonheads oder Teenage Fanclub rein steigerten. Spacey Jane machen diese unaufdringlichen Ohrwürmer, die sich mit jedem neuen Hören tiefer in die Hirnrinde eingraben.
Mit diesen Vorzeichen würde ich diese Band auch lieben, wenn die Texte von Sänger Caleb Harper unbedeutend wären. Das sind sie aber nicht. Caleb findet die richtigen Worte und Bilder, wenn er von zerrütteten Familien singt, von gescheiterter, unerwiderter und enttäuschter Liebe.
Es gibt einen Moment im Song „Skin“. Da fragt Caleb zum Abschluss des zweiten Refrains: „Did you call me up just to tell me that you kissed him?“ – und zack, der Noise ist weg, es bleibt nur eine kleine Melodie, auf den tiefen Saiten gespielt. Das ist SO stark! Wie dieser Sound in dem Moment so korrespondiert mit dem Gefühl! Zwei streiten man sich und einer spricht das aus, was alles auf den Punkt bringt, und jetzt ist Stille, aber es geht ja immer irgendwie weiter.
Spacey Jane mögen einfach nur eine Gitarrenband von vielen sein. Wenn ihr die Band so erlebt, kann ich das akzeptieren. Aber: Mich hat „Sunlight“ dieses Jahr einfach voll erwischt.
1. DMA’s – „The Glow“
Ist irgendjemand überrascht? Wie sehr ich diese Band liebe, das trompete ich von den Dächern, seit ich diesen Blog führe.
Aber auch Johnny, Tommy und Mason sind nur Sterbliche. Der Tag wird kommen, da werden sie eine neue Platte veröffentlichen und ich werde sagen: „Naja, okay.“
„The Glow“ ist nicht diese Platte. Auch auf ihrem dritten Album reihen die drei Aussies einen Song, der alle Knöpfchen bei mir drückt, an den nächsten! Der Madchester-Rave-Beat von „Never Before“! Das bombige „The Glow“, das mit seiner Zeile „I’m sick and tired of chasing the glow“ so viel auf den Punkt bringt! „Hello Girlfriend“ als Beatles-würdiger Ohrwurm!
Schon nach „For Now“ hatten die drei aus Sydney gesagt, dass sie mehr Variation ins Spiel bringen wollten, dass sie zum Beispiel ihr Faible für Dancemusic in di Tat umsetzen wollten. Ich habe das mit einer gewissen Vorsicht gelesen. Man denkt ja: Was, wenn sie das nicht wirklich hinkriegen? Aber dafür ihre Stärken vernachlässigen? Aber es hat geklappt! Die 90s-Disconummer „Life Is A Game Of Changing“ funktioniert prima – und „Cobracaine“ erst! Auf dem finalen Song toben sich Producer Stuart Price und die Band so richtig rave-ig aus – und es haut mich aus den Socken! Trotz Autotune-Momenten – dabei rollen sich mir bei Autotune normal die Zehennägel hoch vor Hate!
Also, yeah, wow. Die DMA’s haben sich mit ihrem idealen Britpop-Throwback eh schon als meine Lieblingsband der letzten Jahre festgesetzt – und sie haben sich hier noch mal selbst getoppt. Wenn sie den Rest ihrer Zeit neue Varianten von „Hill’s End“ machen würden, wäre ich ja schon happy. Aber sie machen mehr. Sie verändern und entwickeln sich. Ihre Kernkompetenzen tasten dabei nicht antasten, sondern leuchten sie neu aus.
Sieh an. Es ist geschafft. Ein Schlusswort? Natürlich war 2020 ein ganz, ganz sonderbares Jahr. Man verbindet Lieblingsplatten normal ja auch mit Lieblingsmomenten, in denen Musik vorkommt. Davon gab’s diesem Jahr der Pandemie natürlich weniger als normal, weil man isoliert im Lockdown saß, seine Freunde viel seltener traf. Wenn wir mal auf diese Alben und Lieder zurück blicken, dann vielleicht auch mit mulmigen Erinnerungen an eine schräge Zeit. Ob diese Lieder überhaupt die Chance kriegen, zu Klassikern zu werden? Das kann nur die Zeit zeigen.
Naja, sehen wir’s so: 2021 kann nur besser werden. Versuchen wir, im neuen Jahr neue, bessere Erinnerungen zu kreieren – und vorher den uns möglichen Beitrag zu leisten, damit der ganze Spuk dann auch in absehbarer Zeit hoffentlich vorbei geht.
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