Fontaines D.C. – „Dogrel“
Ich sag’s euch gleich: Wenn ich am Ende dieses Textes Punkte vergebe, dann kriegen Fontaines D.C. – zum ersten Mal auf diesem Blog – die Höchstnote 10. Denn warum sollte man zehn Punkte überhaupt anbieten, wenn man sie nicht alle Jubeljahre doch mal jemandem gibt? Wenn echt ein Album erscheint, das vom ersten bis zum letzten Ton einfach nicht besser hätte gemacht werden können, dann muss man auch mal sagen: Wow! Und mir fällt nichts ein, nichts, womit man „Dogrel“ noch perfekter hinkriegen könnte.
Es ist ja nicht so, dass wir nicht vorgewarnt worden wären. Letztes Jahr haben die fünf Iren vier Singles á zwei Songs veröffentlicht. Acht Lieder also, die ein jedes für sich schon großartig waren. Die Songs waren zappelig nervös („Too Real“), frech („Liberty Belle“) oder stinkig („Chequeless Reckless“). Sie hatten Druck, sie packten dich am Kragen – aber sie waren nicht: aggressiv.
Die Wut von Fontaines D.C., das ist eine sehr artikulierte Wut, eine nahezu poetische Wut. Ihre Texte lesen sich wie Gedichte von ganz schön fixen Kerlchen. Klar, so ehrlich muss ich sein: „Poetisch“ hätte ich’s vermutlich nicht genannt, wenn ich nicht wüsste, dass die fünf Mitglieder der Fontaines D.C. tatsächlich ursprünglich mal als Dichter angefangen hätten. Dass sie kleine Lesungen veranstalteten und ihre Poesie in Fibeln in Dublins Buchläden auslegten, bevor sie Instrumente in die Hand nahmen.
Es macht so viel Sinn, das zu lesen! Dies ist spürbar eine Denker-Band. Zum Punkrock kamen sie über den Umweg der Dichtung. Der Radau reinsägender Gitarren, die Dynamik rollender Basslines und gedroschener Drums dient ihnen zum Zweck, den Ausdruck ihrer lyrischen Inhalte zu verkörpern und zu verstärken. Fontaines D.C. brüllen nicht, ihre Waffe ist nicht der Holzhammer. Sondern das Skalpell. Sie schneiden gezielt, sie schneiden präzise.
Über was singen Fontaines DC? Übers moderne Dublin. Zum Beispiel über den Materialismus in der boomenden Stadt.„As it stands, I’m about to make a lot of money, gold harps in the pan!“ hören wir den Protagonisten von „Too Real“ prahlen und es klingt wie eine Drohung.
Wer vom Boom nichts ab bekommt, spürt den Frust und findet sein Ventil. Wart ihr schon mal in Dublin? Bei mir ist’s zehn Jahre her etwa. Abends war’s wie in englischen Städten. Diese Atmosphäre, wo die Gewalt schon richtig in der Luft knistert, wie ein Gewitter, das garantiert noch kommt. Man steht im Fish’n’Chips-Imbiss, macht sich möglichst unsichtbar und sagt zum Kumpel: „Iss schnell auf, hier gibt’s sonst gleich aufs Maul.“ Dies ist das Thema von „Liberty Belle“. Im Text hören wir den, der gern mit prügelt („You know I love the violence that you get around, that kind of ready-steady violence“) und den, der mit den Schultern zuckt: „It happens all the time – what you’re gonna do about it.“
Irgendwo zwischen den Boomern und den Frustrierten sitzen Grian Chatten und seine Mit-Fontaines. Sie beobachten die Figuren der Stadt. Den „Briten raus!“ spuckenden Taxler, die aufgebrezelten Möchtegerns in der Warteschlange. die Rikscha-Fahrer, die nach arbeitsamer Nacht müde ihre Reifen aufpumpen.
„Chequeless Reckless“ ist eine Ausnahme. Hier sammelt Grian seine Gedanken, skizziert sein Weltbild. Nicht mal wütend, sondern eher konsterniert erkennt er „Charisma is exquisite manipulation – and money is the sandpit of the soul“.
All das gab’s schon auf den Singles. Fünf dieser bereits bekannten Nummern finden wir auf „Dogrel“, auch das turbulente „Hurricane Laughter“ und „Boys In The Better Land“ waren schon erhältlich. Der Longplayer aber hat elf Songs. Sechs neue also. Kümmern wir uns um die.
Zuerst mal: „Big“, der Album-Opener. Man könnte meinen, dies sei ein statement-of-intent. „Dublin in the rain is mine“ brüstet sich Grian gleich mal und proklamiert „My childhood was small – but I’m gonna be big!“. Das meint er aber nicht wirklich. Vielmehr soll „Big“ außer Kontrolle geratenen Ehrgeiz porträtieren.
Es folgt „Sha Sha Sha“. Auf diesem Album die ideale Nummer für den Indie-Dancefloor, denn sie rumpelt vorwärts wie ein Clash-Klassiker. Es geht passenderweise um eine Partynacht in Dublin. Kurz verguckt sich Grian in jemand „I feel like a old tattoo, I feel like I’m faling for you“, er weiss aber auch „There’s always gonna be tears“. Am Ende steht der ausnüchternde Taxifahrer, der auf nicht mehr kommende Gäste wartet und die Nacht ist geschafft. „Here comes the sun, that’s another one done.“
Anmerkung: Sowohl die acht bekannten Songs als auch die ersten beiden neuen waren ziemlich raue Dinger. Mal nörgliger, mal flotter, aber immer Uptempo. Alle mit dem Adjektiv „punky“ nicht verkehrt beschrieben. Mit „Television Screen“ gehen die Iren erstmals vom Verzerrer-Pedal. Und sieh an, das können sie auch.
Die Jobunsicherheits-Ballade „Roy’s Tune“ und „The Lotts“, irgendwo zwischen Joy Division und „Some Girls Are Bigger Than Others“, gehen sogar noch eine Stufe weiter vom Gas
An dieser Stelle ein Vergleich. Das Album, an das mich „Dogrel“ insgesamt am meisten erinnert, ist „Hope Is Important“. Man wirft die Dubliner zur Zeit ja gerne in einen Topf mit IDLES und Shame und da ist auch was dran. Aber für mich drängen sich die Parallelen zu den frühen Idlewild sogar noch mehr auf. Auch Idlewilds Sänger Roddie Woomble war, obwohl er sich kreischend über den Boden wälzte, von Anfang an ein Fan von Poesie. Auch für Idlewild waren die Heimat – in ihrem Fall Schottland – und der Akzent ein wichtiger Aspekt ihrer Identität. Auch Idlewild kannte man nur als struppige Schmirgelpunkband, ehe sie auf „Hope Is Important“ auch erstmals den einen oder anderen Gang runter schalteten und andeuteten, dass ihre Zukunft woanders liegen würde.
Was Idlewild aber auf ihrem Debüt nicht hatten – und was „Dogrel“ endgültig heute schon zum Klassiker erhebt – ist der letzte Song. Vor „Dublin City Sky“ stehen drei der bekannten Singles, sie fetzen noch mal so richtig mit dem Dreschflegel durch die Tenne. So kommt das Finale umso unerwarteter aus dem Blauen. Denn „Dublin City Sky“ ist Irish Folk. Eine Ballade, so spröde und filigran, dass die Pogues nur baff staunen können. Ein leiser, unaufdringlicher Schlusspunkt, der dennoch noch mal die Tür aufstößt zu ganz anderen Möglichkeiten. So klassisch, so… irisch!
Also echt jetzt. Diese Platte hat alles. Sie hat Biss, sie fetzt, sie sägt rein. Sie identifiziert Dublins wunde Stellen mit dem Auge eines Falken. Sie ist so artikuliert wie kunstvoll und sie schafft es trotz des Schlagworts „Poesie“, komplett unprätentiös zu bleiben. Nie verkopft zu werden, immer zuerst über das Herz und den Bauch zu kommen. Es ist so wahnsinnig gut. Ich kann mir nichts vorstellen, womit man „Dogrel“ besser machen könnte.
p.s. Mir ist übrigens klar, dass ich mich über die meisten Alben, über die ich hier schreibe, sehr positiv äußere. Unter acht Punkten kriegt selten jemand. Das hat einen Grund: Dieser Blog ist nun mal nur ein Hobby. Ich kann mich der Sache nur ein paar Stunden in der Woche widmen. Also schreibe ich halt über die Platten, die mir gerade gefallen. Nicht über die, die ich schwächer finde. Manchmal kann auch eine gute Platte durchrutschen, weil sie eh genug Aufmerksamkeit kriegt – so war’s zuletzt bei der neuen Foals, die ich stark finde.
p.p.s. Normal ist es auch so: Wenn ich eine Band im Interview hatte, spare ich mir die Rezension zum Album. Eine Ausnahme mache ich hier bei den Fontaines DC. Da darf ich ankündigen, dass ich das Transkript meines Interviews mit Grian Chatten in den kommenden Tagen online stelle.