Ian Brown – „Ripples“
Im Nachhinein eigentlich unglaublich, The Stone Roses. Was war das eigentlich für eine Kombi?! Gleich drei ganz herausragende Musiker: John Squire, flippiger GItarrenvirtuose, Griffbrettakrobat, fast zu gut mit den Fingern – sein Solowerk litt auch darunter, dass er Muckertendenzen nachgab und im Zweifelsfalle lieber zu viele Töne spielte, als sie schwingen zu lassen. Aber in den Stone Roses, da war sein Spiel zwar auch immer mal flashy, aber (zumindest vorm „Second Coming“) noch genau auf der richtigen Seite des Grates.
Mani! Was für ein Tieftöner! Unsterbliche Bassmelodien! Auf so einigen Klassikern der Roses ist der Bass eigentlich das Lead-Instrument: „I Wanna Be Adored“, „She Bangs The Drums“, I Am The Resurrection“… und obendrein hatte er den mühelosen Groove, was ihn zum perfekten Partner machte für…
Für Drummer Reni, den Mann, der die lässigsten, schmoofsten Rhythmen der Nordhalbkugel aus dem Handgelenk schüttelte.
Nehmen wir mal „Fool’s Gold“ – man weiss gar nicht, wer hier der Star ist. Ist es Renis steincooler funky Beat? Ist es Manis Basslauf, der wieder mal die Hookline des Songs besetzt? Oder ist es John Squires Wah-Wah-Feuerwerk?
Wie konnte in dieser unglaublichen Kombi ausgerechnet Ian Brown, der damals keine Töne traf und heute keine Töne trifft, trotzdem der Fokus von allem sein?
Deshalb: Weil der Mann Persönlichkeit hat. Weil er ne Type ist. Auch wenn die anderen drei eine irre Musikalität hatten, war Ian Brown trotzdem der Leader, der Charakterkopf. Der Typ, über den man staunte, bei dem man sich auch mal an den Kopf griff, der aber nie uninteressant war.
Deswegen ist Ian Brown auch derjenige, dessen Solokarriere auch nach dem ersten Ende der Stone Roses am besten weiter lief. Sicher, Mani hinterließ als Mitglied bei Primal Scream ebenfalls bleibende Eindrücke. John Squires The Seahorses und sein Solowerk aber litten unter gesteigertem Rumgegniedel – und Reni? Reni verschwand komplett von der Bildfläche. Gerüchteweise trommelte er hie und da für Lokalbands in Manchester.
Ausgerechnet Ian Brown also, der lange gar kein Instrument spielen konnte und der sich erst fürs Solodebüt „Unfinished Monkey Business“ leidlich erste Gitarrenakkorde beibrachte, hielt sich langfristig. Er legte immer wieder echte Hits hin und kann zwischen 1998 und 2009 sechs erfolgreiche Soloalben und eine Best-Of vorweisen,
Als es zur Stone Roses-Reunion kam, ließ Ian trotzdem alles stehen und liegen und stellte sich voll in den Dienst der Band. Das war 2011.
Inzwischen sind die wiedervereinigten Stone Roses aber auch wieder Geschichte. Was Ian immerhin die Möglichkeit gibt, den Faden seiner Solokarriere wieder aufzugreifen.
Einen Namen muss man aber erwähnen, wenn’s um Ian Browns Solowerk geht: Dave McCracken. Dieser Producer und Songwriter war Ians neuer kreativer Partner. Von Soloalbum zwei („Golden Greats“, 1999) bis „My Way“ (2009) gab McCracken Ians Ideen Form. Mit seiner Mitarbeit kamen die echten Knüller: „Golden Gaze“, „FEAR“, „All Ablaze“, „Stellify“ und und und.
Dave McCracken ist auf „Ripples“ nicht dabei. Warum, weiss ich nicht. Vielleicht war er einfach zu beschäftigt. Vielleicht wäre es auch nicht gegangen, nach 10 Jahren Pause einfach wieder da anzuknüpfen, wo man war.
Vielleicht hatte Ian aber nach der erneuten Implosion der Stone Roses auch erst mal keinen Bock mehr darauf, sich von irgendjemandem reinreden zu lassen. Auf „Ripples“ machte er nämlich tatsächlich alles selbst. Alles. Er schrieb die Songs, spielte die Instrumente, setzte sich in den Produzentensessel. Die Einzigen, die mitspielen durften, kommen aus dem allerengsten Umfeld und sind Neulinge im Geschäft: Es sind Ians Söhne.
Es ist natürlich ein ziemlich radikaler Schritt, sich so abzukapseln. Und er führt zum erwartbaren Ergebnis.
Was bedeutet? Hurra, einige Songs hier sind große Klasse. Sie zeigen Ian, den Charakterkopf, der konsequent bei seinen früheren Solosongs ansetzt und unbeirrt weiter sein Ding dreht.
Aber: Bei ein paar anderen Songs aber wäre es ganz sicher nicht verkehrt gewesen, wenn jemand quasi als Lektor fungiert hätte.
Prima sind zum Beispiel die drei groovy Tanznummern „First World Problems“, „The Dream And The Dreamer“ und „Ripples“. Sie führen den steincoolen Monkey Shuffle fort, den wir von anderen Ian Brown Solohits wie „Dolphins Were Monkeys“ oder „Illegal Attacks“ kennen.
Dafür sind andere Tracks bestenfalls unausgereift. Die Melodie von „Breathe And Breathe Easy“ zum Beispiel wäre an sich ja ganz fein. Man hätte mit einer flockig-fruchtigen Gitarre einen richtig netten Sixties-Folksong draus machen können, so im Stile von „Waterfall“ oder „My Sweet Lord“. Aber die tatsächlich begleitende Gitarre tut fast weh: Grobmotorisch geklampft wie von einem Viertklässler bei seinem ersten Schulabschlusskonzert.
Auch das schleppende „From Chaos To Harmony“ stampft einfach zu demomäßig, zu klotzig durch seine vier Minuten.
Und okay, wenn Ian Brown ein Reggae-Cover auf seine Platte packen will, um seine Liebe zu dem Genre zu demonstrieren, dann kann man das ja mal schlucken. Aber gleich zwei?
Das abschließende „Break Down The Walls“ von Mikey Dread stolpert hölzern und stumpf – aber wenigstens ist es nicht „Black Roses“ von Barrington Levy. Diesen Song hat Ian zur ungelenken, breiigen Rocknummer umgedeutet und es funktioniert mal so richtig überhaupt nicht.
Nun gut. Ein Anagramm von Ian Brown ist „Own Brain“ – und da legt Ian Wert drauf. Er betont, auch in seinen Texten, dass er sich seine eigenen Gedanken macht. Dass er sich den Normen nicht unterwirft, die man ihm so aufdrücken will. Seine Perspektive ist auch oft augenöffnend. Zum Beispiel in „Blue Sky Day“. Da beobachtet Ian den Himmel und stellt fest, dass es keine Tage mehr ohne Kondensstreifen gibt und er droppt die Art Weisheit, wie sie einfach nur einem Ian Brown einfällt: „Graffiti is not allowed – but (they) vandalise the stratospheric sky“.
Leider kippt er auf dem gleichen Song aber auch in Konspirationstheorien ab. Er singt tatsächlich von „Jetplanes making chemtrails, geo-engineering of the skies“. Und damit wird der „Blue Sky Day“ exemplarisch für das, was Ian mit diesem Soloalbum im Großen und Ganzen abliefert: Ian gibt einem sowohl immer wieder Anlass, seine unverwechselbare Genialität zu bejubeln – und dennoch sorgt er auch für Fremdschäm-Momente von einem Kaliber, dass man diesmal nicht immer mit einem „Hach, das ist halt Ian Brown!“ drüber hinweg sehen kann.
Deswegen wäre ein Lektor/Editor/Producer bei dieser Platte was Gutes gewesen. Um Ians gute Ideen zu kanalisieren und die miesen auszusieben.
Klar, Ian Brown/Own Brain würde mir, wenn er dies lesen würde, antworten: „Hey, deine Vorstellungen, wie ein Album zu klingen und was es zu sagen hat, sind normiert! Ich stehe da drüber und halte mich an diese Regeln nicht!“
Fair enough. Dafür muss ich aber auch nicht alles mögen auf der Platte. Manches finde ich ja auch echt super. Manches halt nicht.
Im Großen und Ganzen: Ian Brown bleibt Ian Brown, mit all seinen Stärken, aber diesmal halt leider auch mit einigen unübersehbaren Schwächen.