Crate Expectations – Pt. 3

Ich mache gleich ohne Umschweife weiter, okay?

Dies ist der zweite Teil des Beitrags zur Kür unseres Ein-Kasten-Augustiner-Preises für den Song des Jahres 2018.

Worum es geht und wie wir bis hierher kamen, das lest ihr bitte HIER in Teil 1.

Zehn der zwanzig Kandidaten sind ausgeschieden, weiter geht’s!

Runde 2, Frage 1: Weckt der Song persönliche Assoziationen?
Fontaines DC – „Chequeless Reckless
vs HMLTD – „Proxy Love“

Assoziationen, das kann ja viel bedeuten. Erinnert mich der Songs an was bestimmtes, das ich dazu erlebt habe? Und: Wenn ich zu dem Song bisher noch nichts erlebt habe – löst er dennoch bei mir Assoziationen aus? Bilder vorm inneren Auge?

Zu Fontaines DC habe ich in der Tat eine Assoziation. Nur zwei Tage vor unserer Kür habe ich mit Sänger Grian Chatten telefoniert, für einen Artikel über die Dubliner im piranha-April-Heft. Ich bilde mir ein, das war ein gutes Gespräch und ich krähe das entsprechend stolz in die Runde.  

Hilft aber nix. Die anderen hatten Grian alle NICHT am Telefon und sind nicht so manipulierbar, dass sie meine Assoziation jetzt gleich als ihre übernehmen. Sie gehen nach den Bildern vorm inneren Auge – und da triggert die schräge Nummer der Londoner Paradiesvögel HMLTD offenbar mehr. Der Sieg geht mit 3:1 an HMLTD. (Es gab Enthaltungen, wie unschwer zu errechnen ist.)

Runde 2, Frage 2: Luftfaustfaktor!
I Know Leopard – „Landmine“
vs Rolling Blackouts Coastal Fever – „Mainland“

So, es darf wieder getanzt werden. Wir bewegen uns in Nat/Nicos Wohnzimmer zum Glampop von Sydneys I Know Leopard und warten auf den Moment, zu dem man triumphal die Faust in die Luft reckt. Nur: er kommt nicht wirklich. Ja, zum Refrain „Didn’t You Know? Lalalalalalove is a landmine!“ kann man die Arme in die Höhe recken – aber es ist mehr eine Zeitlupenluftfaust, die niemand richtig überzeugt.

Wie schaut’s bei ihren Melbourner Kollegen von RBCF aus? „Mainland“ hat zweifellos Pep. Allerdings ist die Nummer nicht so aufgebaut, dass der Refrain sich erkennbar von den Strophen absetzt und als Ventil vorher aufgebauter Spannungen funktioniert. Es gelingt den Rolling Blackouts nicht, zu profitieren. 

Wir einigen uns darauf, ein neue Frage zu ziehen. Es gibt den…

Luftgitarrenvergleich!

Na sowas. Fast die gleiche Frage. Na gut, der Zufall will’s halt so. Da können wir also gleich auf dem Dancefloor / dem Wohnzimmerteppich stehen bleiben und in die imaginären Saiten hauen. Nur, dass I Know Leopard nicht viel Arbeit für die Gitarre liefern. Synthies, Violine, ja. Die E-Gitarre aber zupft ein monotones D, in gleichbleibenden Achteln. Im Song hat das einen interessanten Effekt. Für den Luftgitarristen aber bedeutet es einen Aktionsradius, der sich von dem einer Marmorstatue nur marginal unterscheidet.

Wie viel mehr gibt es da bei RBCF zu tun, die in ihren Songs immer gleich drei überaktive Gitarren ineinander verquirlen! Der Sieg geht nach Melbourne!

Runde 3, Frage 3: Bei welchem Song ist die Stimme besser?
DMA’s – „Time And Money“
vs
Peace – „You Don’t Walk Away From Love“

Okay. Es ist ja nicht so, dass Harry Koisser von Peace ein miese Stimme hätte. Aber diese Frage ist ja wohl Tommy O’dell von den DMA’s auf den kleinen Leib geschneidert! Der Junge sieht so unscheinbar aus, aber fucken Hell – die DMA’s gelten nicht zuletzt deshalb als potentielle neue Oasis/Verve, weil Tommy so ein ausdrucksstarkes Organ hat. Eine Stimme, die mit Liam und Richard Ashcroft auf einer Stufe steht – und die Producer Kim Moyes auf dem zweiten Album der DMA’s regelrecht mit dem Scheinwerfer anstrahlt.
Keine Ahnung, warum er nur mit 5:1 gewinnt. Wer hat seine Stimme an Peace gegeben?

Runde 3 Frage 4: Google Bildersuche
DMA’s – „Emily Whyte“
vs 77:78 „Love Said (Let’s Go)“

Hmmm. Zugegeben, eine etwas willkürliche Frage. Was hat es mit der Qualität des Songs zu tun, welche Bilder erscheinen, wenn man den Titel googlet? Aber der Gedanke war wohl „Mehr Abwechslung“, als wir die Frage mit in den Pool aufnahmen. 

Nun gut. Auf geht’s. „Emily Whyte“, das ist die Tonstudio-Mitarbeiterin, auf die DMA’s Gitarrist Mason bei den Aufnahmen zur neuen Platte ganz offenbar ein Auge geworfen hatte.
Vermutlich ist sie nicht die einzige Emily Whyte auf der Welt. Wenn man diesen Namen googlet, dann kommen so einige sonderbare Figuren zum Vorschein, die bestimmt nicht die Zielscheibe dieser feinen Ballade waren.

Was aber wohl passiert, wenn man die Allerweltswörter „Love“, „Said“, „Let’s“ und Go“ googlet? Zu unserer Überraschung zeigt der erste Bildschirm tatsächlich ausschließlich Artwork des britischen Duos 77:78! Singlecover, Remixcover, Albumcover, Video-Stills… alles in einer stimmigen Farbwelt. Das ergibt einen schicken Bildschirm.

Ergo geben wir die Punkte an die zwei ehemaligen Mitglieder von The Bees, die sich dieses Jahr als 77:78 zurück meldeten.

Runde 2, Frage 5: Welcher Song hat die besseren ersten 15 Sekunden?
Middle Kids – „Don’t Be Hiding“
vs Sam Fender – „Poundshop Kardashians“

Diskussionsstoff! Die Middle Kids brauchen ein bisschen, bis ihr „Don’t Be Hiding“ in die Gänge kommt, aber dafür kann Hannah Joy mit ihrer Nachtigall-Stimme den Hörer natürlich schnell für sich vereinnahmen. Als wir bei Sekunde 15 schon aus dem Song raus müssen, scheint es viel zu früh.

Sam Fender macht es genau andersrum. Er fällt mit der Tür ins Haus mit einem satten Intro voller Bläser. Dafür tritt er danach gleich mal auf der Stelle. Das Intro wiederholt sich ohne Variation im Kreis. Nach 15 Sekunden ist kaum mehr passiert als nach den ersten vier.

Am Ende ist es aber trotzdem der energetischere Anfang, der Sam Fender in der Abstimmung ein knappes 3:5 zu 2:5 beschert.

Und damit ist auch Runde 2 schon wieder um und Peng! Schon sind wir im Halbfinale!!

Halbfinale 1: Welcher Song ist besser geeignet für Sexytime?
77:78 „Love Said (Let’s Go)“
vs Rolling Blackouts Coastal Fever – „Mainland“

Tja. Die Frage möge der geneigte Leser sich selbst stellen. Wenn ihr mit eurem/r Partner/in oder neuen Eroberung im Knäuel über die Matratze robbt, was ist da der geeignete Soundtrack? 

Der Song von 77:78 hat ein angenehmes Midtempo, er ist in gewissem Rahmen groovy. Mehr was fürs Vorspiel als für den Akt selbst? Jedenfalls, der Song lädt zwar nicht explizit zu Sex ein, würde aber auch nicht abtörnen.

Wie schaut’s bei Rolling Blackouts Coastal Fever aus? Lasziv sind die auch nicht. Das linear vorpreschende Tempo von „Mainland“ versprüht nicht gerade Sexyness – außer vielleicht für Springmäuse?

„Ihr seht Sex viel zu heteronormativ. Das ist nicht nur rein-raus-rein-raus!“ erklärt uns Julian, der gerade seine Seminararbeit geschrieben hat, die „Aufklärung und Sexualkunde in bayerischen Jugendherbergen“ (oder sowas Ähnliches?) zum Thema hatte. Er ist jetzt Experte für das, was in unseren Köpfen vorgeht.

Naja, ich als langjähriger Single muss eh immer weiter verblassende Erinnerungen bemühen, wenn ich da mitreden will…

So oder so – eine Entscheidung muss her. Die fällt mit 3:2 für 77:78 aus! Wir haben unseren ersten Finalisten!

Halbfinale 2: Welcher Song hat das bessere Video?
HMLTD – „Proxy Love“
vs Sam Fender – „Poundshop Kardashians“
vs DMA’s – „Time & Money“

Wir haben mal in ungerade Zahl von Halbfinalisten, also gibt es in dieser Stelle mal wieder einen Dreikampf. Wir versammeln uns um Nicos & Nats Fernseher und Nico spielt die Youtube-Videos drauf.
Es geht los mit HMLTD

Also ich mag den Clip. Wenn auch alleine für die grellbunten Performance-Szenen der Band. Die Story drumrum mit dem Heini, der das „Lieb dich selbst!“-Credo so weit führt, dass er sich gleich selbst heiratet, die brauche ich nicht. Die anderen Mitspieler gehen da noch weiter – sie finden diesen Teil des Videos sogar richtig nervig. Mit Genderbending holt man heute erstens nicht mehr wirklich wen hinterm Ofen hervor („Ein Mann in Frauenklamotten – nein wie originell!“, so Nico) und zweitens werden im Clip Breaks gesetzt, die den Flow des Songs störend unterbrechen. „Bevor ich das Video gesehen habe, mochte ich den Song viel lieber als hinterher“ findet Karin. Das ist für den Regisseur echt kein gutes Urteil.

Also weiter zu Sam Fender.

Der ist natürlich im Nachteil, denn zu „Poundshop Kardashians“ gibt es nur ein so genanntes „Lyric Video“. Ein Animationsfilmchen, in dem sich viele Szenen wiederholen. Dafür ist es auf die Lyrics des Songs abgestimmt und untermalt somit immerhin seinen Inhalt.

Kommen wir zu den DMA’s.

Das ist jetzt auch kein Spitzenvideo. Tommy, Johnny und Mason sehen aus, als sei es ihnen richtig unangenehm, im eigenen Video mitzuspielen. Die Jungs sind top-Typen, aber sie sind nicht die personifizierte Coolness. Das wissen sie auch. Ergo fällt es ihnen umso schwerer, wenn man ihnen sagt: „Hey, steht einfach rum und stellt euch cool!“ „Hoffentlich ist das bald vorbei!“ steht in ihre Gesichter geschrieben. Immerhin aber: Die Farbwelt und die visuellen Effekte des Clips, die haben eine innere Stimmigkeit. Trotz des vielen Blaugrau geben sie dem Song fast was Psychedelisches. Das kommt gut an. Oder: Weniger schlecht als die anderen zwei Clips.

Kommen wir zur Abstimmung. HMLTD kriegen meine Stimme, aber es bleibt die einzige. Sam Fender kriegt der Stimmen zwei. Drei Stimmen gehen an die DMA’s! „Time + Money“ ist im Finale!

FINAAALE:
77:78 – „Love Said (Let’s Go)“
vs DMA’s! – „Time & Money“

So. Welche Frage ziehen wir? Es ist…

 „Hält mich dieser Song auf der Tanzfläche?“

Szenario: Man ist auf dem Dancefloor und zuckt fröhlich mit. Das Lieblingslied geht vorbei, aber man hat eigentlich noch Lust zu tanzen. Also wartet das man nächste Lied kurz ab und entscheidet in den ersten Takten: Nehme ich die Nummer noch mit? Oder kehre ich wieder zu meinem Grüppchen zurück? 

Wer selbst auflegt, weiss: Es ist eine nicht zu unterschätzende Stärke eines Songs, wenn dieser diese Fähigkeit hat, die Wankelmütigen auf der Tanzfläche schnell positiv zu stimmen und für sich einzunehmen. Wenn er sie dazu bringt, weiter zu tanzen, auch wenn man den Song nicht zwangsweise kennt. 

Dass dies eine Fähigkeit ist, die „Love Said (Let’s Go)“ besitzt, habe ich neulich erst auf dem Dancefloor des Folks gesehen, als ich die Nummer mal ausprobierte und die Tänzer dem drolligen  Retro-Charme des Songs tatsächlich eine Chance gaben, anstatt den Floor zu leeren. Wird nicht angeblich ein neuer Austin Powers gedreht? Ich finde ja, 77:78 wären eine Band, die man für den Soundtrack verpflichten könnte. 

Die DMA’s und ihr schönes, aber schleppendes „Time + Money“ scheinen da weniger für den Dancefloor geschaffen. Oder?

Wir verteilen den Preis nach all dem Aufwand natürlich nicht mal eben nach dem Gefühl. Die Sache will ausgetestet werden. Wir legen die Strokes ein, spulen ans Ende, tanzen zu den letzten Takten und machen den Übergang. Mal zu „Love Said“, mal zu „Time + Money“. 

Und wir haben einen Gewinner!

Aaron Fletcher und Tim Parkin von der Isle of Wight sind’s. Größere Erfolge haben die zwei in den Nullerjahren als Mitglieder von The Bees gefeiert, ihr Comeback als Duo 77:78 mit dem Album „Jellies“ hat vergleichsweise wenige Wellen gemacht. 

Bis jetzt. Denn jetzt sind die beiden die Gewinner des, ähem, prestigereichen (?) Ein-Kasten-Augustiner-Prises für den Song des Jahres 2018. Für ihre feine, fluppige Sixties-Retropop-Single „Love Said (Let’s Go)“, die mich immer auch ein bisschen an „Herr Rossi sucht das Glück“ erinnert. Ein unerwarteter, aber kein unverdienter Sieger. Ein schönes Lied. 

Und jetzt stellt sich wieder die Frage, ob/wie wir den Herren den Kasten überbringen. Aber dazu ein andermal.  Congrats, 77:78!!

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