Review: The Coral

The Coral – „Move Through The Dawn“

Über zwei Wochen ist diese Platte schon draußen, als ich endlich dazu komme, was zu ihr zu schreiben. Aber passt das nicht irgendwie zu The Coral? Die Liverpooler sind eine Band, für die man keine Purzelbäume schlägt. Man übersieht sie fast ein bisschen, man nimmt sie für selbstverständlich. Weil sie nun mal so lange schon dabei sind und weil sie so verläßlich gute Platten machen, dass eine weitere davon niemanden überrascht.

Zugegeben, die Zeiten, als sie spektakuläre Hits wie „Dreaming Of You“ oder „Pass It On“ schrieben, als es auf ihren Alben auch Seeräuber-Popsongs wie „Spanish Main“ und lärmiges Gebell wie „Skeleton Key“ gab, die sind vorbei. Sowas gab’s noch auf ihren ersten Alben („The Coral“, 2002 / „Magic and Medicine“, 2003). Spätestens seit „Roots & Echoes“ (2007) ist die Band gemütlicher geworden und hat sich in ihrer Nische häuslich eingerichtet. Dafür ist es aber auch wirklich hübsche Nische: Klassischer, melodischer Sixties/Seventies-Gitarrensound, näher am Merseybeat-Original als am 90s-Britpop.  

Eben ein Einwurf: Wenn Musiker sich konkret auf Klänge der Vergangenheit berufen, ist es natürlich immer so eine Sache: Beim einen schimpft man „Retro!“, beim andern jubelt man „Klassisch!“ 

Aber wo liegt der Unterschied?
Klar: „Retro“ mosert man, wenn man das Gefühl hat, der Musiker/die Band ahmt nur nach und hat keine eigenen Ideen. „Klassisch“ ist, wenn man spürt, dass die Inspiration der Kern des Ganzen ist und der Musiker/die Band gar nicht anders könnte, als so zu klingen.

Sagen wir’s so: Ihr begegnet jemandem, der sich im Fasching als Cowboy verkleidet – der vertritt quasi „Retro“. Jetzt begegnet ihr jemandem, der tatsächlich als einer der letzten Vertreter des Berufs durch Alabama reitet und Kühe hütet. Er ist der Klassiker.

Jetzt folgendes: Wenn einem nun die zwei Cowboys gegenüberstehen, kann man erkennen, welcher real ist und welcher fake. Weil der eine den richtigen Hut trägt, die echten Stiefel, das echte Lasso bei sich hat und er einfach „Cowboy“ ausstrahlt, klar. Einen Hut, Stiefel und Lasso hat der andere aber auch – nur bei ihm sieht alles zu klischeehaft aus, comichaft, auch nicht benutzt, zu clean. 

Aber angenommen, ihr wollt einer Person, die beide Cowboys nicht sieht, erklären, welcher der echte und welcher der Karnevalist ist – ihr könnt nicht sagen: „Na, der eine hat einen Hut und ein Lasso und Cowboystiefel“ – ihr könnt nur sagen: „Na, beim einen ist’s erkennbar nicht echt und beim anderen erkennbar doch!“
Der, der beide nicht sieht, muss euch das einfach glauben.

Und wozu dieser ganze Umweg? 

Nur um zu sagen: The Coral sind für mich real. 

Ihr super-duper-klassisches Songwriting ist für mich kein Gimmick, kein „Wir-machen-auf-Sixties!“-Ding. Es ist die Art, wie die Jungs sich ausdrücken, weil sie so tief in der Materie stecken. Auch wenn’s sich’s manchmal anachronistisch anfühlen mag, weil man diese Melodien und diese Gitarrensounds halt mit anderen Zeiten verbindet, ist es doch der natürliche, gewachsene Sound dieser Band.

Es läuft hier andersrum: Man hört einen die wunderbare mehrstimmige Weise von „She’s A Runaway“ und muss sich vergewissern, dass dies kein Klassiker von 1969 ist. Man hört den Glamstomp von „Reaching Out For A Friend“ und checkt den Kalender, ob man nicht ins Jahr 1973 gebeamt wurde. 

Starke Songs, starke Instrumentierung. Das gilt fürs ganze Album, das aber am meisten mit seiner Hitdichte erstaunt. Nach drei, vier Durchläufen hat sich jeder einzelne Song als beinahe beatlesker Ohrwurm entpuppt. Man weiss gar nicht, welches Lied man hervorheben soll. Die Akustikpop-Nummer „In The Eyes Of The Moon“ mit ihren Flöten und der Sopranstimme? Das rockige „Sweet Release“? Das feine Folklied „After The Fair“? 

Erwähnen will ich auch: James Skelly, Sänger und Songwriter von The Coral, war zuletzt auch sehr erfolgreich als Producer und richtungsweisender Mentor von den jungen UK-Durchstartern Blossoms. Die setzen bekanntlich – nicht zuletzt aufgrund von Skellys Expertise auf dem Gebiet –  auch sehr auf 80s-Synthies. Skellys Blossoms-Produktion spiegelt sich nun an mancher Stelle zurück auf „Move Through The Dawn“. Man hört den Bezug am deutlichsten beim Song „Strangers In The Hollow“: Achtet hier auf die Keyboards, die Bassline und den straighten Drumbeat und sagt mir, dass da nicht Blossoms drin stecken! Aber auch an anderen Stellen wagen sich Drummachines und Synthies in den sonst doch so streng 60s/70s-mäßigen Sound der einstigen Leader und letzten Übriggebliebenen der Liverpooler „Bandwagon“-Szene (die 2001-2005 solche Bands wie The Zutons, The Stands, The Little Flames mit dem jungen Miles Kane, The Basement und The Bandits hervor brachte). 

Na, langer Rede kurzer Sinn: The Coral haben eine richtig starke Platte gemacht. Wieder mal. Ganz meisterlich sind, wie immer, ihre Melodien. Wirklich toll ist ihre große Bandbreite zwischen Filigran-Folk, Beinahe-Synthpop und Psychedelia-Rock.
Jetzt muss man’s nur noch zu schätzen wissen und nicht einfach nur abhaken. Denn dass eine Band so konstant einen hohen Level hält und sich ab und zu wieder selbst toppt, das ist keineswegs selbstverständlich. Das ist im Gegenteil sehr ungewöhnlich.

 

 

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