Review: Marius Ziska

Marius Ziska – Portur

Tja. Wäre natürlich cool, färöisch zu sprechen. Das tun nur etwa 48.000 Menschen. Die Leute, die auf den Färöer Inseln leben. Auf diesen grasgrünen Steilhängen, die zwischen Island und Norwegen aus dem Nordatlantiknebel ragen, auf denen es keine Bäume gibt und mehr Schafe als Menschen. Einer davon ist Hans Marius Ziska aus Søldarfjørður.

Hans Marius hat sein neues Album komplett in seiner Muttersprache eingesungen. Was man als eine durchaus befremdliche und möglicherweise folgenreiche Entscheidung sehen kann. Denn vor fünf Jahren, da schrieb der Songwriter und Sänger auf Englisch und bekam für sein Album „Recreation“ gleich internationale Aufmerksamkeit. Nicht, dass er durch die Decke gegangen wäre, aber als Basis für eine internationale Karriere wäre dieser erste Achtungserfolg mehr als solide gewesen.

„Recreation“ war ein pfiffiges Album. Zu hören gab’s verspielte Indiegitarrensongs und ein paar himmlisch schöne Harmonieballaden. Dass Hans Marius ein echtes Talent für Melodien hatte, fiel sofort auf. Auch die spielerische Leichtigkeit der Songs ließ aufhorchen. Denn nicht viele können das, was der Färöer Insulaner hier tat: Einfaches auch mal einfach lassen. Songs wie „While You Were Sleeping“ oder „One In The Masses“, das waren unkomplizierte feine Liedchen, schlicht und angenehm unverquast umgesetzt. Hans Marius kriegte zu Recht einen internationalen Plattenvertrag, er tourte durch Europa und die Staaten. Darauf konnte man aufbauen.

Kurzer Einwurf: Marius Ziska, das ist genau genommen der Name für die ganze Band, die der Songwriter um sich geschart hat. Wenn ich vom Kopf der Band selbst spreche, werde ich also Hans Marius sagen.

Anyway. Als die Band dann das folgende 2015er-Album „Home / Heima“ aufnahm, hatten sich ein paar Dinge getan. Hans Marius hatte erstens angefangen, Lieder auch auf färöisch zu schreiben. Seite 1 der LP war auf Englisch, die Lieder von Seite 2 trugen Titel wie „Villingarsjönin“ – was unsereins nun mal leider nicht versteht, was aber auf den Inseln selbst enorm gut ankam. Zweitens wandte die Band sich vom Element der Schlichtheit ab. Jetzt machten die Songs auch mal Verläufe durch, in denen sie von einem schlichten akustischen Beginn zu dicht instrumentierten Soundscapes anwuchsen und dabei bis zu siebeneinhalb Minuten dauern konnten. Was natürlich nichts Schlechtes ist. Im Gegenteil, es waren schöne Reisen, auf die unsere Ohren auf Songs wie „Aftur Til Jørðina“ oder „The House“ mitgenommen wurden. Der Punkt ist nur: Diese Art des Songaufbaus war halt anders als auf dem Debüt, auf dem alles noch so schön unkompliziert war. (Link: Zum zweiten Album hatte ich Hans Marius auch im Interview.)

Nun ist der dritte Longplayer der Insulaner erschienen. Marius Ziska führen die Entwicklung weiter, die zwischen Album eins und zwei stattgefunden hat. Erstens: Inzwischen gibt’s gar keine englischen Lieder mehr. Zweitens: Die acht Songs sind inzwischen allesamt komplex umgesetzt, wie in Kapitel aufgeteilt, sorgfältig geschichtet und neben Gitarren und Synthies mit einem regelrechten Orchesterchen instrumentiert. 

„Dansa I Nattini“ beispielsweise beginnt als stille Ballade, nur mit Holzbläsern untermalt. Von hier aus entwickelt sich das Stück zum dezenten Midtempo-Synthpopsong. „Longsul“ beginnt nur mit durch einen Computereffekt modifizierter Stimme, Teil zwei des Songs hat marschierende Drums, Streicher, Glockenspiel und Flöten. So geht es quasi hin und zurück. 

Keine Frage, all das ist sehr gekonnt und stimmungsvoll. Die Kombi aus Synthies und klassischen Instrumenten ist durchaus unorthodox, die Klangauswahl letztlich aber immer stimmig.

Zu der Sache mit dem Färöischen: Es ist eine klangvolle Sprache, die zu den Liedern passt. Man kann’s vielleicht sogar ein bisschen exotisch finden, einer Platte in diesem eher selten gehörten Idiom zu lauschen. Es stört also nicht, klingt eher angenehm rätselhaft. Aber: Wenn ich Singer/Songwriter beurteile, dann sind Texte natürlich normalerweise immer ein wichtiges Element. Weil ich sie nicht verstehe, muss Hans Marius mich alleine mit seinen Melodien und seiner Klangmalerei überzeugen.

Okay, das war gelogen. Überzeugen muss er mich nicht mehr, weil ich seit „Recreation“ ja längst überzeugt bin. Wenn ich lese, es gibt Neues von Marius Ziska, dann spitze ich meine Ohren und freue mich sowieso.

Fragen wir so: Wäre ich denn genauso überzeugt, wenn „Portur“ meine erste Begegnung mit dem Guten wäre? Ich glaube, Hans Marius täte sich zumindest schwerer, meine Aufmerksamkeit genau so zu gewinnen. Weil seine neuen Songs sich nun mal alle erst langsam entfalten (die Hälfte der acht Songs hier dauert über 5 Minuten) und weil man sich einen Refrain, dessen Sprache man nicht spricht, auch schwerer merkt. Ich will die Sache, dass Hans Marius nun auf färöisch singt, nicht in Frage stellen. Sicher war das eine künstlerische Entscheidung (eine kommerzielle kann’s ja nicht gewesen sein), eine Frage der Inspiration. Fakt ist halt, mit Englisch tut man sich beim internationalen Publikum wohl leichter.

Was ich letztlich sagen will: Ich sehe ein, wenn man sich schwer tut, den Zugang zu dieser Platte zu finden. Man versteht die Texte nicht. Es sind ohnehin Songs, die man mehrfach hören muss, bis sie einen gepackt haben, weil sie so verschlungenen Pfaden folgen. Die Melodien, so hübsch sie sind, sind keine unmittelbaren Ohrwürmer, sondern schleichen sich subtiler ins Unterbewusstsein. 

Wenn dies das Debüt der Band Marius Ziska wäre, frage ich mich, ob man es wohl außerhalb der Färöer wahrgenommen hätte – und ich würde mich auch nicht wundern, wenn diese Platte den Punkt markiert, an dem die Band ihre internationalen Ambitionen ad acta legt. Ich bin daher froh, dass es zuerst „Recreation“ gab. Als Ausgangspunkt für mich als Hörer, um Hans Marius leichter kennen zu lernen, als Ausgangspunkt für Hans Marius, um seine Kunst von sympathischen Songs zu ausgeklügelten Kompositionen auszuprägen. Auch wenn man die Texte nicht versteht, bleibt „Portur“ ein Album, dessen elegante Klangmalerei es Wert ist, dass man ihm aufmerksam lauscht.

Nur Mitsingen würde ich halt trotzdem gerne.

  

 

 

  

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