Review: The Vryll Society

The Vryll Society – „Course Of The Satellite“

Geduld. Wenn The Vryll Society eine Kerneigenschaft haben, so ist es Geduld. Das zieht sich durch ihre bisherige Karriere, aber es zieht sich auch durch ihre Musik.

Geduld, das war auch das erste, was ihr Entdecker und Mentor Alan Wills von ihnen eingefordert hat. Alan, eine Kultfigur in Liverpool als Ex-Drummer der 90s-Bands Top und Shack, war bekannt als der, der The Coral entdeckt hat, damals, um die Jahrtausendwende etwa. Extra um diese Band zu fördern, startete er sein eigenes Label Deltasonic. Der frühe Erfolg von The Coral (ich sage nur „Dreaming Of You“) gab ihm Recht.  Auch The Zutons, The Dead 60s und die ersten Bands von Miles Kane, The LIttle Flames und The Rascals, fanden auf Alans Label ihre Heimat. Ja, ein paar Jahre war Deltasonic eine große Nummer in Englands Welt der Gitarren. Aber die Implosion der Indie-Szene lief natürlich auch an ihnen nicht spurlos vorbei.

Alans letzte Entdeckung waren dann fünf langhaarige dürre Jungs, die verträumten, trippigen Gitarrensound machten. Und weil Alan eine Old School-Type war, sagte er zu den fünf Buben (natürlich reden wir hier von The Vryll Society) etwas, das man Bands heute normal nicht mehr sagt: „Geht erst mal ein Jahr in den Proberaum, schreibt Songs und noch mehr Songs, probt, probt und probt und spielt euch so richtig aufeinander ein.“ 

Denn heute ist es ja so: Da stellen Bands quasi das Ergebnis ihrer ersten Probe ins Internet und wollen gleich mal viral gehen. Früher dagegen war es die gängige Taktik von Plattenfirmen, Newcomer erst mal zwölf Monate wegzuschließen. So formten Bands ihre Persönlichkeit – oder zeigten eben, dass sie nicht das Durchhaltevermögen oder die Originalität hatten, dass man dauerhaft auf sie setzen konnte. Dann droppte man sie wieder, heimlich, still und leise. Im Idealfall aber kamen die Neulinge nach den 12 Monaten als fertige Band aus dem Proberaum-Exil, hatten ihre Identität gefunden und nicht nur genug Songs für ein Debütalbum, man konnte sogar schon die Folge der ersten drei Singles planen, die man dem Album voraus schicken würde.

Alan Wills kann die Früchte der Geduld leider nicht mehr hören. Er starb 2014 bei einem Fahrradunfall, mit gerade mal 52 Jahren. Aber The Vryll Society haben seine Lehre verinnerlicht. Sie haben nichts überstürzt. Dafür haben sie ihren Sound gesucht, gefunden und perfektioniert.

Und wie klingt er, dieser Sound? Sagen wir’s so: Er passt zu ihrer altmodisch-geduldigen Herangehensweise. The Vryll Society nehmen einen Faden auf, den melancholisch-transzendente Britbands wie (The) Verve, Witness (remember them?) oder die Doves gesponnen haben: Gitarrensongs, die den Hörer auf eine Reise nehmen. Hypnotischer Psychedelic-Pop. Träumerische Vocals, dynamisch rollende Bassläufe, treibende Rhythmen.

2015 begannen die Vryllies (wie sie niemand nennt) damit, ihre ersten Singles zu veröffentlichen. Zur EP „Coshh“ schrieb ich damals, sie klängen den frühen Verve zum Verwechseln ähnlich – also damals, als die noch kein „The“ im Namen trugen. Seitdem haben die Liverpooler sich unregelmäßig mit Singles zurück gemeldet, aber auf ihren Longplayer warten lassen. Immer, wenn eine neue Single erschien, fragte ich nervös: „Wo bleibt das Album?“ Aber es war keine falsche Entscheidung der Briten, uns auf die Folter zu spannen. Weil sich The Vryll Society die Zeit ließen, haben sie auch einen weiteren Schritt in ihrer Entwicklung genommen. Heute graben sie erkennbar ihre eigene Furche und haben sich aus dem Verve-Schatten ein gutes Stück heraus bewegt.

Um nun das Charakteristische am Vryll-Sound zu beschreiben, ziehe ich trotzdem die frühen Verve als Vergleich her, okay? Beginnen wir mit Sänger Mark Ellis. Dessen Stimme ist klarer, unschuldiger als die von Richard Ashcroft, der ja von Anfang an schon eine innere Spannung transportierte. Es ist eine fast knabenhafte Stimme. Sie passt aber sehr gut in den Zusammenhang.

Die Namen der anderen Vryll-Mitglieder fehlen mir leider. Trotzdem führe ich die Gegenüberstellung weiter, ok? Also: Verve hatten mit Nick McCabe einen Gitarristen, der immer ein echtes Feuerwerk von sich gab. The Vryll Society gehen meist mit zwei Sechssaitern an die Sache ran. Wie in einem Frage-Antwort-Spiel plinkert Gitarre 1 dabei oft verspielte One-Note-Melodien, Wendeltreppen aufwärts, und wieder herab. Gitarre 2 reagiert darauf bevorzugt mit schwurligen Soundscapes.

Beim Bass gibt’s nun wieder Parallelen. Simon Jones (Verve) war ein Meister des Bass-Riffs. Oft trug er mit seiner Melodie und seinem Groove die Hookline der Songs. Eine Taktik, die auch der Tieftöner der Vryllies anwendet – und dennoch hat er dabei seinen eigenen Style.  

Was die Rhythmen angeht, arbeitet der Schlagzeuger von The Vryll Society fast sogar noch komplexer als Pete Salisbury von Verve. Musterbeispiel: Der stolpernde und doch vorwärts treibende Beat von „A Perfect Rhythm“ (kein Zufall, dieser Titel), immer mal zersetzt durch Breaks.

Zuletzt: Wichtiges Element bei The Vryll Society, bei Verve aber gar nicht dabei: flächige Keyboards, die die Atmosphäre verdichten.

Mit diesen sich wiederholenden Elementen schaffen The Vryll Society ein sehr stimmiges Klangbild, von dem sie sich nie weit entfernen. Abwechslungsreich ist „Course Of The Satellite“ dennoch, und das liegt an den Grooves und den Tempi. Da sind die Liverpooler breit aufgestellt: Mal flüssig, mal flott, mal krautrockig-linear, mal groovy, mal schleppend, mal schleichend. Sagen wir: Das Album hat seine beständige Atmosphäre – aber innerhalb dieser gibt es viel Wetter.

Um nun noch mal auf das Schlagwort Geduld zurück zu kommen: Die Lieder von The Vryll Society sind geduldig. Sie preschen nicht rein, sie springen einen nicht an. Diese fünf Jungs schreiben keine Ohrwürmer, die beim ersten Hören hängen bleiben. Bei ihnen läuft’s subtiler ab. Man muss den Songs schon ein paar Mal gelauscht haben, damit sich eine Melodie einprägt – und auch dann ist es oft erst mal die Bassline oder das Gitarrenriff, das hängen bleibt, bevor es auch der Refrain tut. Das aber ist kein Schwachpunkt – es ist einfach eine Eigenschaft. The Vryll Society gehen eben nicht in-your-face, sondern entfalten sich Schritt für Schritt.

Doch, die Wartezeit hat sich gelohnt. Ja, die fünf haben sich verdammt Zeit gelassen. Dafür aber sind sie sanft gereift. So legen The Vryll Society nun mit „Course Of The Satellite“ ein Album hin, das von seiner Klangästhetik her so perfekt ausgeformt ist, wie Debütalben es nur selten sind. Ein treffender Titel ist das eigentlich, „der Kurs des Satelliten“: Spacig, schwerelos – aber doch präzise und klar definiert. Prima.

 

  

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