Review: The fin.

The fin. – „There“

Songwriting. Gerne rede ich über die Kunst des Songwriting. The fin. ignorieren die Regeln seit ein paar Jahren total. Aber das macht sie erst recht spannend.

Songs haben ein Gerüst, richtig? Es beginnt mit der Strophe, dann kommt der Refrain (und wer besonders motiviert ist, hat vielleicht dazwischen ein Bridge eingeflochten). Nochmal das Ganze. Dann die Middle Eight, Zurück zu Strophe und Refrain, zum Abschluss so richtig als Höhepunkt. ABABCAB.
Strophen haben üblicherweise 3-4 Akkorde, Refrains auch, aber normalerweise nicht die gleichen, jedenfalls nicht in der gleichen Reihenfolge. Mehr braucht’s normal nicht, außer man ist Progrocker. Aber wer zeigen will, dass er gut ist, zwirbelt vielleicht einen unerwarteten Tonartwechsel ein, einen key change.  

Auch The fin. können das. Sie haben mal so angefangen. Auf ihrem (übrigens tollen) ersten Album „Days With Uncertainty“ (2014) folgen sie diesen bekannten Schemata. Naja, jedenfalls treuer als jetzt. Damals waren The fin. eine Band, die zuhause in Kobe, Japan, besessen von europäischem Indiepop ihre Variante des Sounds nachbaute. Weil sie damit zu Hause aber ziemlich ignoriert wurden, entschieden sie sich, nach London zu gehen und das Ganze von Europa aus zu versuchen.  

Vielleicht ist ihnen hier dann klar geworden, dass es bedeuten würde, Eulen nach Athen zu tragen, wenn sie weiter typisch europäischen Indiepop machen würden und sie sagten sich, sie müssten einen anderen Ansatz finden. Vielleicht war’s auch einfach nur eine innere, nicht bewusst gesteuerte Entwicklung. So oder so, seit ihrer 2016er-EP „Through The Deep“ machen The fin. es anders. Seitdem ist ihnen das westlich-typische Songgerüst ziemlich egal. 

Die Akkordfolgen sind nicht mehr der Schwerpunkt bei The fin. Viel wichtiger ist ihnen das Arrangement bzw die Schichtung ihrer Sounds. Ein Lied kann bei ihnen heute komplett aus den zwei gleichen, sich abwechselnden Akkorden bestehen. Trotzdem sind Strophe und Refrain erkennbar, denn die Japaner definieren diese über andere Dinge: Die Dichte der Klänge, die Gesangsmelodie, darüber, welche Instrumente ein und aussetzen. Einen The fin. – Song zu verfolgen, das bleibt spannend, auch wenn sich im Unterbau des Songs nichts tut. Die gleichbleibenden Akkorde haben sogar einen interessanten Effekt:„Heat (It Covers Everything)“ scheint in der Luft zu stehen wie ein Zeppelin, während die Synth-, Bass- und Vocal-Lines und die Drumbeats daran vorbei ziehen wie das Wetter: reflektierender Sonnenschein, leichte Schleierwolken, dichte Regenwolken. „It reveals everything, it covers everything“ singt Yuto Uchino. Oha, wie das passt!

Die Texte von Yuto, sie bleiben sehr unkonkret, vage andeutend. Beispielzeilen aus „Through The Deep“: „We try to make it clear, but it’s too hazy to be in love. Like ships with no destination drifting on the waves“. Es gibt Leute, die finden sowas wischi-waschi. Ich finds in diesem Falle voll okay, weil es die abstrakt-blumige Atmosphäre der fin.-Songs nun mal sehr gut einfängt. 

Das Ganze macht „There“ zum sehr stimmigen, runden, in sich geschlossenen Album. Ein Album auch, das für sich allein steht. Konnte man „Days Of Uncertainty“ noch mit Euro-Bands vergleichen – vor allem Indie-Franzosen wie Tahiti 80, Rhesus oder Fugu klangen artverwandt – geht das bei „There“ nicht mehr. Denn unsere europäischen und amerikanischen Indiebands zielen bei ihren Alben nun mal meistens auf was Anderes. Auf eine Handlung, eine Geschichte. Wie eine Shoegaze-Band, aber mit anderen Mitteln, beschwören The fin. dagegen Stimmungen und Zustände. Auf „There“ schaffen sie Atmosphären seliger Melancholie und driftender Schönheit.

  

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