Man kann nicht den ganzen Tag lang nur Indiemusik hören und drüber schreiben. Sonntag zum Beispiel war ich radeln. In Österreich. Ich erzähl’ mal, wie’s war. Ich hab mit meinem iphone auch ein paar Fotos gemacht.
Also, die Idee: Meine Eltern sind mit mir und meinen Geschwistern früher ein bis drei Mal im Jahr in das Hüttendörfchen Fallerschein in Tirol gefahren. Bis ich mich geweigert habe, mitzukommen, weil man als Teenager nun mal andere Dinge spannender findet als Abgeschiedenheit. Inzwischen aber hat mich doch der Gedanke gejuckt, mal wieder den Ort aufzusuchen, an dem ich als Jugendlicher letztlich doch sehr idyllische Zeiten erlebt habe. Also bin ich in der Frühe nach Pasing geradelt, um den 08:39-Zug Richtung Reutte/Tirol zu nehmen, das Fahrrad mit im Zug. In Ehrwald auf der österreichischen Seite der Zugspitze bin ich ausgestiegen, denn ich wollte ja auch ein paar Kilometer machen. Da also bin los geradelt auf meinem trusty Citybike.
Los geht’s. Dieser Berg (oben) ist die Ehrwalder Sonnenspitze.
Ich finde ja, die Zugspitze ist einfach zu massiv. (Das BiId ist in Lermoos gemacht.)
Nun gut. Die ersten Kilometer geht’s auf einem nicht immer geteerten Radweg mehr oder weniger parallel zum viel befahrenen Fernpass. Die Aussicht ist definitiv schön. Aber es ist halt laut, so neben der Hauptstraße.
Aber in Bichelbach wird’s besser werden, denn da geht’s dann links ab Richtung Berwang. Mein Plan: Ich will über Berwang, Kelmen und Namlos nach Fallerschein, dann runter nach Stanzach. Auf dem Weg liegen nur kleine Touristenörtchen. Auf der Straße wird nicht viel los sein. Auf Google Maps sah’s anspruchsvoll aus, aber machbar. Mit ein paar Steigungen, dass die Oberschenkel brennen.
Nach Berwang geht es ordentlich bergauf. Nie so richtig mörderisch steil, aber doch stetig. Bis auf 1350m Höhe, 250 Höhenmeter zwischen Bichelbach und Berwang auf nicht mal 4 km. In der prallen Sonne das Ganze. Aber gut, ich radl ja nicht zuletzt, um den inneren Schweinehund zu überwinden und um mich zu quälen.
Übrigens: Wenig Verkehr? Kaum bin ich auf der Straße, rauscht die erste Gruppe Motorradfahrer an mir vorbei. Bis ich in Berwang bin, haben mich Dutzende überholt. Ist heute Bikertreff? Hier draußen?
Bestimmt sind neun von zehn Bikern vernünftige Leute. Aber es ist schon ein Scheißgefühl, wenn man so auf seinem Radl auf der Passstraße hoch klettert, wenn ein Aggro-Biker nach dem nächsten keinen Abstand lässt und mit Radau wenige Zentimeter an einem vorbei röhrt.
Am Ortseingang von Berwang stehen zahlreiche Schilder, die sich an Motorradfahrer wenden. So nach dem Motto: Bitte kein Lärm, bitte Rücksicht. So langsam schwant mir was.
Nach Berwang geht es erst mal wieder steil bergab durch sieben Häuser namens Rinnen, dann wieder bergauf. Rechts von mir gehts steil runter, 120 unter mir fließt der Rotlech. Auch auf diesem Streckenabschnitt zischen die Motorräder zahlreich und gerne mal knapp an mir vorbei. Ich lerne: Wenn rechts von dir nicht der Hang ist, sondern die Schlucht, ist es ein noch beschisseneres Gefühl, von einem Biker nach dem anderen nur so eben nicht abgedrängt zu werden.
Die Straße führt nun in steilen Serpentinen runter zum Rotlech und auf der anderen Seite steil wieder hinauf. Es ist eine idyllische, menschenverlassene Gegend, eigentlich. Acht Kilometer kein Ort zwischen Rinnen und Kelmen, das jetzt kommt und nur ca 12 Häuser hat.
Also, ich kapier’s. Wenn man Motorrad fährt, dann ist so eine nahezu autofreie Serpentinenstraße wie die Strecke zwischen Berwang und Stanzach natürlich der Traum. Wenn man nicht von A nach B will, sondern wenn wenn man fährt um des Fahrens willen, dann gibt einem diese kurvenreiche Passstraße mit viel Gefälle so richtig schön was zum Lenken, zum Austoben, zum die-Maschine-Ausreizen.
Scheiße halt, dass da ein einzelner Radler mit auf der Straße rumgurkt. Was hat der da verloren?
Ich will von A nach B. Von Ehrwald nach Fallerschein. Ich dachte, das wird ein schöner Ausflug und eine Herausforderung für meine Oberschenkel. Aber die Fahrt macht mir null Spaß. Auch die Aussicht kann ich nicht genießen. Weil mir die Biker um die Ohren fetzen, als wäre ich in einen Grand Prix geraten.
Echt jetzt, die Motorräder sind der Fluch dieses Tals.
Namlos hat 72 Einwohner und liegt auf 1225 m am Hang. Sollte hier nicht Bergesruhe herrschen? Von wegen. Alle paar Sekunden ist alles erfüllt von wildem Donnern und Röhren. Drei Biker. Vier Biker. Ein Biker. Fünf Biker. Zwei Biker. Statt Wasserfällen rauschen brüllende Motoren. Wenn ich Urlaub in Namlos gebucht hätte, um mal Ruhe zu haben, ich würde reklamieren und nach einer Viertelstunde abreisen. Denn da kann ich ja auch gleich in der Einflugschneise campieren.
Und die Kerle benehmen sich so, als wäre das ihre offizielle Rennstrecke. Als wär’s am Ende noch meine Schuld, wenn mich einer in die Tiefe rempelt. Was mache ich da auch auf ihrem Parcours? „Das hier ist Bikerrevier!“ wird mir zu verstehen gegeben.
Nur ein Typ ist noch schlimmer als die Biker. So richtig beschissen kackdoof ist der Porschefahrer mit dem FFB-Kennzeichen, der die Strecke mehrfach hin und zurück donnert, Vollgas gibt, Kurven schneidet, den Motor aufheulen lässt. Wahnsinn, wie jämmerlich muss man drauf sein, wenn man das nötig hat.
Aber gut. Ich habe auch Namlos hinter mich gebracht, es geht links ab Richtung Fallerschein. Zwei Kilometer ohne Motorbikes. Hach. Im Örtchen angekommen erkenne ich von früher alles wieder und kriege einen kleinen Nostalgie-Flash. Das Panorama ist in meine innere Retina eingebrannt. Alles fühlt sich heimelig an. Ich stelle das Rad ab, kraxle ins Bachbett des Leitenbachs, hänge meine Beine ins vom Schneefeld noch eiskalte Wasser und mache ein halbes Stündchen Pause.
Dann geht’s wieder weiter. Nach Stanzach im Lechtal geht’s nun quasi permanent bergab. So eine Abfahrt, die man sich erklettert hat, sollte man als Radler geniessen dürfen. Aber klar, die Prozession der Biker, die mich immer wieder an den äußersten rechten Fahrbahnrand drängt (wo’s 80 m steil tief runter geht) nimmt mir jeden Spaß. Ich will nur, dass dies endlich vorbei ist und ich heil unten ankomme!
An zwei, drei Stellen halte ich trotzdem an für Fotos. Immer schön am abseits der Straße, nicht dass einer in mich rein rauscht. Und irgendwann habe ich’s geschafft. Da vorne liegt Stanzach und ich atme auf.
Im Tal sind die Radwege gut ausgebaut. Da fahren sich die letzten 20 km schön stressfrei am breiten Bett des Lechs (unten) entlang. Ich pedale bis nach Reutte und nehme von da wieder den Zug zurück nach München.
Fazit: Okay, ich hatte mir lange vorgenommen, diese Tour mal zu machen. Einerseits bin ich froh, mir mal endlich den Tritt in den Hintern gegeben und es getan zu haben. Ich bin auch zufrieden mit meiner Leistung. Das waren zwar nur etwa 70 km, aber die Steigungen waren nicht ohne.
Aber es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass meine Vorstellungen einer schönen Bergtour auf dem Radl erfüllt worden wären. Hätte ich geahnt, dass auf der Straße zwischen Stanzach und Berwang reiner Bikerterror herrscht, hätte ich das Ganze gelassen. Ich kann die Tour daher auch keinen anderen Radlern empfehlen. Nicht, so lange die Beschlagnahme dieser Strecke von den Motorradfahren als ihr Rennkurs gilt.