Neu in den Läden ab heute (Freitag, 04.05.18.): „Can’t Wake Up“, das neue Album von Alejandro Rose-Garcia alias Shakey Graves. Wir haben den Texaner bisher als herausragenden Singer/Songwriter auf dem Gebiet der Americana kennen gelernt. Auf seiner neuen Platte aber begibt er sich auf einen Streifzug durch zahlreiche weitere Genres. Aber das soll er uns am Telefon am besten selbst erzählen:
Hallo, wie geht’s?
Super – und dir?
Leider nicht so toll – ich mache dieses Interview von zu Hause aus, ich hab’ die Grippe.
Ach nee – aber das kenne ich nur zu gut.
Passt schon! Bei dir läuft’s dafür: Zwei ausverkaufte Konzerte in Hamburg und Berlin. Gratuliere!
Danke! Ja, ich habe hier meinen Spaß. Ich bin gestern erst angekommen und heute schon sehr früh wach geworden, wegen meines Jetlags. Da bin ich heute schon vier Stunden ziellos durch die Stadt spaziert. Ich bin U-Bahn gefahren, das hat mit großen Spaß gemacht.
Aber hier ist es kälter, als du es aus Texas kennst, oder?
Ach, das geht. Erstens, es kann auch in Texas ganz schön kalt werden. Zweitens ist es heute sonnig und schön in Berlin.
Alles klar. Ich rufe ja aus München an.
Aaaah.
Ich war auch auf deinem letzten Konzert in München.
Oh, echt?
War ich. Ihr wart zu zweit, du und dein Drummer. Ist er heute wieder mit dir unterwegs?
Das ist er!
Das bleibt euer Setup, oder habt ihr euch erweitert zum Trio, zum Quartett?
Eigentlich sind wir ja zu viert – und das sogar schon seit ein paar Jahren. Wir waren schon vor meiner letzten Europatour ein Quartett. Wir konnten uns nur nicht leisten, alle vier mitzunehmen, deswegen waren wir nur zu zweit.
Ich mochte das, wie ihr zu zweit gespielt habt. Du hattest vier Varianten: Alleine mit der Akustischen, alleine mit der Elektrischen sowie mit Drummer akustisch und mit Drummer elektrisch.
Yep.
Das ergab vier klar verschiedene Sounds, obwohl ihr nur zu zweit wart.
Genau. Wenn wir zu viert sind, machen wir das aber auch. Auch da sind nicht immer alle gleichzeitig auf der Bühne.
Jedenfalls ein smarter Move. So habt ihr eine Variabilität, die andere Gitarre/Drums-Duos und sogar manch andere Band nicht an den Tag legen.
Ja. Das ist etwas, das ich mir bei meinen Lieblingskünstlern abgeguckt habe. Und so, wie ich meine Musik einspiele – auch wenn ich sie alleine aufnehme, verwende ich ja doch mehrere Gitarrenspuren und mehrere Gesangsspuren – na, da ist es quasi zwangsläufig, dass ich versuche, auch live diese Variation wiederzugeben. Ich könnte auch alles nur aufs Nötigste reduzieren. Aber ich mag Shows, die von allem ein bisschen bieten.
Alles klar. Das neue Album! Hattest du dir vor den Aufnahmen etwas bestimmtes vorgenommen? Hattest du eine Agenda?
Hast du die Platte gehört?
Habe ich, ja.
Also, ich hatte ein Bild im Kopf, und das ist eine bestimmte Szene aus dem „Wizard of Oz“. Und zwar der Moment, in dem aus der Schwarzweiss-Welt eine farbige wird. Ich wollte das auch auf der Platte mal so anlegen: Mit dem Sound anfangen, den man von mir kennt – und von da aus eine Metamorphose in dieses große, texturierte… Objekt folgen lassen. Aber letztendlich hat es sich anders ergeben und jetzt ist die Platte selbst mein Übergang in die Farbe. Das spiegelt sich auch in den Texten und im Cover: Es ist das erste Mal, dass ich eine LP mit einem Cover habe, das man fast wie ein Buch auffalten kann. Ich glaube, dass man das auch in der Musik mitkriegt. Die ist jetzt nicht drastisch anders als das, was ich in der Vergangenheit gemacht habe. Trotzdem ist die Platte in vielerlei Hinsicht etwas Neues für mich. Sie hat einen ziemlich elektrischen Ansatz.
Also, ich finde, die ersten Songs gehen ein bisschen in Richtung Indierock. Ich dachte: Wenn dies das erste ist, das jemand von dir hört, der dich noch nicht kennt, würde er denken, dass du ein Künstler so etwa im Stile von Ryan Adams bist. Also ein Songwriter mit einem gewissen Dreh zu Folk & Country, aber dieser Dreh ist das Gewürz und nicht die Hauptmahlzeit.
Verstehe. Also, ich habe ja eigentlich nie bewusst in die Schublade rein gewollt, als Country oder rootsy Künstler kategorisiert zu werden. Viel kam wahrscheinlich immer davon, was ich selbst gehört habe. Früher habe ich auch tatsächlich viel Alan Lomax und alte Bluessänger gehört. Das war das, wo mein Geschmack war, vor acht Jahren. Aber ich habe immer auch Indierock gehört. Wahrscheinlich ist es sogar der Sound, den ich in meinem Leben insgesamt am meisten gehört habe. Ich wollte sowas auch immer schon so spielen, das war ein Sound, den ich immer machen wollte. Lange konnte ich das aber nicht. Weil mir das technische Know-how fehlte, oder weil mir Leute fehlten, mit denen ich den Sound gemeinsam machen konnte. Aber deswegen heisst mein Projekt Shakey Graves – und nicht Alejandro Rose-Garcia. Weil ich wollte, dass dieses Projekt nach allen Seiten offen ist. Es kann sich verändern, wenn ich mal meinen Geschmack verändere oder einen neuen Sound suche. Aber jetzt ist quasi das erste Mal, dass ich das auch entsprechend auf die Beine gestellt habe.
Die Platte heisst „Can’t Wake Up“ und der erste Song heisst „Counting Sheep“ – was man ja bekanntlich tut, wenn man einschlafen will. Das bedeutet, Schlafen und Träumen ist ein zentrales Thema dieser Platte? Der rote Faden?
Ja, das stimmt genau. In vielerlei Hinsicht natürlich metaphorisch. Und es ist auch nicht so, dass der Titel feststand und ich dann die anderen Songs entsprechend geschrieben habe, wie bei einem Konzeptalbum. Aber als ich das Material sortierte und zusammenstellte, fiel es mir auf, dass Träume und Fantasien ein übergreifendes Thema in den Liedern waren. Aber letztlich ist es eine Platte, die darüber geht, ein Mensch zu sein in dieser Welt, mit Hoffnungen, Träumen und Ängsten. Es ist ja auch so: Jeder einzelne von uns trägt viele Hüte. Das Gesicht, das wir auf der Straße zeigen, ist ein anderes als das, das wir uns selbst zeigen, und das kann sich wiederum unterscheiden von dem, das wir unseren Freunden und der Familie zeigen. Oft sind die Unterschiede auch kleiner und man verhält sich jedem einzelnen Menschen gegenüber anders.
Ich fand’s jedenfalls interessant, dass Schlaf und Träume hier so oft auftauchten, weil ich mich neulich erst mit einem Freund darüber unterhalten habe – über Schlafmuster und wie sich die auswirken. Man redet sehr wenig über den Schlaf, gerade wenn man bedenkt, dass wir alle ein Drittel unseres Lebens damit verbringen und er sich so extrem auf unsere Persönlichkeit auswirken kann.
Haha, das stimmt.
Mein Kumpel erzählte, dass es ihm lange richtig schlecht ging, bis er beim Arzt war und der ihm sagte, dass er seinen Schlaf verändern müsse. Und mein Kumpel meinte, seit er das getan habe, ginge es ihm extrem viel besser. Also wollte ich dich zu deinem Schlaf befragen: Bist du jemand, der gut durchschläft oder der Typ, der sich leicht Sorgen macht und dann nachts wach liegt?
Der Typ bin ich durchaus. Aber im Großen und Ganzen ist mein Schlaf gut. Und ich achte auch bewusst drauf. Wenn ich immer die Möglichkeit hätte, würde ich den ganzen Tag kleine Nickerchen machen. Meine Träume wiederum haben schon manche echte Auswirkungen auf mein Leben gehabt. Meine Traumwelt ist sehr lebhaft. Ein Kumpel von mir sagt: Je mehr du dein waches Bewusstsein in deine Träume einbringen kannst, desto mehr werden auch deine Träume in deinem wachen Leben stattfinden.
Hast du dafür eine Taktik, um dein Leben in deine Träume einzuflechten?
Ich glaube, da hilft es, einfach über seine Träume zu sprechen, oder sie nieder zu schreiben, ganz grundsätzlich sie als einen Teil deines Lebens zu behandeln. Ich jedenfalls kann meine Träume auf diese Weise besser in Erinnerung behalten. Und ich glaube, dass meine eigene Traumanalyse mir im Leben schon oft weiter geholfen hat. In dem Sinne, dass ich meine eigenen Träume noch mal betrachte und mir dabei vielleicht Dinge klar werden, die unterbewusst stattfanden. Du hast Recht, Schlaf ist ein wichtiger Teil unseres Lebens, fast die Hälfte unseres Lebens liegen wir im Bett. Und unsere Träume gehören zu uns wie unser Schatten. Wenn man unser Ganzes sehen will, muss man die Träume mit betrachten. Gerade, wenn man ein Leben führt wie ich. Klar, dass meine Schlaf unregelmäßig ist, wenn ich viel reise. Jetzt zum Beispiel fühle ich mich ja fast wie in einem Traum: Ich wache auf, und ich bin in Berlin! Das ist genauso schräg wie alles, wovon man träumt. Und wenn ich meinem Ich von vor zehn Jahren erzählen würde, was ich heute manchmal so erlebe, könnte er es genauso für einen Traumphantasie halten. So surreal ist das, was mir heute im Alltag passiert.
Finden dann deine Träume auch manchmal in deine Arbeit, zum Beispiel in deine Texte?
Ja, definitiv. Ich denke, das ist letztlich das, was Shakey Graves darstellt: Einen Ausdruck meiner Fantasien und meines Unterbewusstseins. Mehr jedenfalls als meines bewussten Lebens. Über die realen, alltäglichen Dinge, die mir passieren, schreibe ich eigentlich nie. Ich arbeite viel mit Figuren. Der Protagonist in den meisten Liedern, das bin nicht ich.
Kannst du einen Song nennen, der direkt aus einem Traum entstand? Oder läuft das nicht so direkt ab?
Hmm – also jedenfalls nicht ganz so spezifisch. Ein Beispiel wäre vielleicht „Tin Man“, das letzte Lied auf dem Album. Wobei der „Tin Man“ natürlich klar eine Referenz an den Wizard of Oz ist. Trotzdem, die Fragestellung in dem Lied ist eher: „Ist die Fantasie wirklich das, was du möchtest? Würdest du lieber in einem Traum leben oder in wärst du lieber wach?“ Es gibt Leute, die ihr ganzes Leben in eine Traumwelt flüchten. Oder die sich wünschen, ihr Leben wäre ein anderes, als das, was sie führen. Ich meine, ich selbst lebe ja in einem gewissen Rahmen ein Phantasie – dieses Rockstar-Ding. Da ist es auch einfach zu sagen „Live Fast, Die Young!“ Aber schwerer ist es eigentlich, einfach sein Leben zu leben. Und dann halt irgendwann später zu sterben. Diese Fantasie haben doch viele Leute: Ein wildes Leben zu führen, mit einem großen Knall zu verschwinden und einen großen Schatten zu hinterlassen. Aber einfach von Tag zu Tag aufzuwachen, seinen Alltag durchzuziehen, langsam älter zu werden und dabei vielleicht auch seine Freunde sterben zu sehen, das ist auf seine Weise härter und grausamer.
Ich habe ein paar Songs aus dem Album rausgesucht, die mir aufgefallen sind. Einer ist zum Beispiel „My Neighbour“. Da fragte ich mich: Geht das vielleicht um deinen realen Nachbarn?
Haha!
Oder mehr um „deinen Nächsten“, so im biblischen Sinne?
Es geht eigentlich um die Angst vorm Unbekannten. Speziell in den USA unserer Zeit. Fremdenhass und Rassismus ist immer noch Teil unserer Kultur. Denn es ist einfacher, Dinge, die um einen rum stattfinden, erst mal abzuwehren und abzulehnen und Angst vor ihnen zu haben, anstatt sich etwas anzunähern und etwas gegenüber zu öffnen, das man noch nicht kennt. Und das beginnt oft schon beim Nachbarn: Man kann seinen Nachbarn entweder kennenlernen und sich ihm öffnen, oder sich ängstlich vor ihm verstecken und verschließen.
Auch „Climb On The Cross“ habe ich notiert – ich glaube darin eine Kritik zu erkennen an dem blinden Vertrauen, das manche Leute Priestern entgegen bringen?
Sicher, ja. Wobei ich vorausschicken will: Ich unterstütze jeden dabei, sein Leben zu führen, wie er will. Ich habe nichts gegen organisierte Religion. Aber womit ich ein Problem habe, ist Scheinheiligkeit. Und damit, wenn sich manche Leute auf eine Sache extrem versteifen. Also: Wenn sich jemand einer organisierten Religion verschreibt und es hilft ihm im alltäglichen Leben, dann ist das okay. Aber wenn es bedeutet, dass man sich stur vor allem anderen verschließt – was soll das?
Ich betrachte das ja nur von außen, aber das ist definitiv etwas, das uns Europäer an Amerikanern verwirren kann. Wenn zum Beispiele diese Evangelisten, die ja angeblich ach-so-christlich unterwegs sind, allesamt Trump unterstützen…
… dann macht das einfach keinen Sinn! Donald Trump ist mal echt ein Typ, der so wenig Spiritualität ausstrahlt wie niemand sonst. Wie man das vereinbaren kann mit einer Botschaft der Liebe?! Also echt jetzt!
Und es gibt diese Typen, die sich SO sicher sind, dass sie auf der richtigen Seite stehen. Ich bin Christ, ich gehe immer in die Kirche, und alleine deswegen muss ich Recht haben!
Tja, so läuft das! Wenn man sich der Sache anschließt, muss man das offenbar mit Haut und Haaren tun! Tja, das ist was, wo ich einfach raus bin. Ich glaube an Gott, auf meine Weise. Aber wenn du mir erzählen willst, dass ein christlicher Gott Donald Trump unterstützt – dann kann ich diesen christlichen Gott nicht unterstützen. Das ist unmöglich, diese beiden Dinge sind nicht in einem Herzen vereinbar, da fehlt die Verbindung zur Menschlichkeit. Aber Gott und Religion drehen sich zuallererst um Menschlichkeit, um Mitgefühl – und eben nicht darum, Ängste zu schüren. Da wird es zu leicht, zu sagen: Der und der mag keine dunkelhäutigen Menschen – also mag Gott sie wohl auch nicht.
Ja, ich fragte mich, inwieweit die Songs politisch sind. Du schreibst ja keine erkennbaren Anti-Trump-Songs.
Nein.
Ich meine, du heißt Alejandro, also denke ich, du bist Hispanic.
Stimmt, ja,
Und da haben wir diesen Präsidenten, der sagt, deine Art Menschen seien Vergewaltiger! Immerhin, ein paar von ihnen seien okay…
Hahahaha, echt jetzt. Also, das ist so alptraumartig wie etwas nur sein kann. Ich meine, generell mache ich keine politischen Songs – aber ich kriege im Internet auch Kommentare á la: „Mir ist deine Meinung egal, bleib gefälligst bei der Musik!“ Das ist wieder einer dieser Momente, wo ich frage: Wie soll man das denn trennen? Wovon redest du überhaupt? Musik bedeutet, das Menschsein auszudrücken! Damit MUSS es auf gewisse Weise politisch sein, weil es sich mit meiner Umwelt und dem, was um mich passiert, befassen muss. Deswegen kommen mein Ärger und meine Desillusion in meiner Musik auch zum Vorschein. Ich finde es nur nicht besonders geschmackvoll, wenn jemand anfängt, wie ein Prediger rüber so kommen – wobei, klar, ein paar können das großartig. Manche können klare und direkte Protestmusik machen, es ist ja auch traditionell eine Säule der Folkmusic. Trotzdem, das ist nicht die Art, wie ich mich ausdrücke. ich habe auch nicht vor, etwas zu wiederholen, das andere Leute schon seit langem machen. Ich drücke nur aus, wie es mir geht, und wenn es dir ähnlich geht, dann entdeckst du in darin vielleicht eine gewisse Hoffnung, oder ein Verständnis, oder du spürst diese gemeinsame Verbindung. Die wiederum, glaube ich, ist das, was die Leute in der Religion suchen: Etwas, an das man glauben kann. Naja, nicht leicht, ganz schön schwierig.
Alles klar. Ich wechsle mal das Thema und gehe zum Song „Aibohphobia“ – denn da ist das Arrangement besonders auffällig. Barbershop Vocals, Holzbläser, E-Gitarren…
Ja, genau, richtig. Das zeigt die andere Seite, eine Leichtfüßigkeit. Nicht alles, was man tut, muss einen schwerwiegenden Grund haben. Ich meine, sogar der Songtitel! Das ist ein Kunstwort, es beschreibt die irrationale Angst vor Palindromen – und das Wort selbst ist ein Palindrom (= ein Wort, das man vorwärts wie rückwärts lesen kann)
Ich weiss – ich hab’s nachgeschlagen!
Haha, eben, der Titel sagt doch schon alles: Die irrationale Angst vor dem Ding, was das Wort selbst ist.
Soll ich dir sagen, woran die Musik mich erinnert? An die Musik, die man hört, wenn man einen Bugs Bunny oder Daffy Duck-Cartoon sieht.
Yeah! Gut! Das war so quasi die Idee dahinter!
Ach, sieh an!
Wenn du dir diese Cartoons anschaust – die sollen lustig sein, aber in echt sind sie erstaunlich gewalttätig und manchmal richtig beängstigend! Das war in etwa die Stimmung, die ich erzielen wollte. Dieses Chaos, gewissermaßen. Kindliches Chaos.
Ich mag’s – als Einfluss im Indie Rock ist das noch nicht oft eingesetzt worden!
Haha, yeah. Das ist mein Rockidol, Bugs Bunny! Ein Kaninchen, das sich Frauenklamotten anzieht!
Mir gefällt in dem Zusammenhang auch das Cover. Wenn ich es sehe, stelle ich es mir als Szenenbild aus einem Zeichentrickfilm vor.
Aha.
Die Hauptfiguren, das wären die Silhouetten von zwei schwarzen Katzen, oder so.
Genau! Weisst du, es ist echt spannend für mich, über diese Platte zu reden. Bevor man sie den Leuten zeigt, macht sie zwar im eigenen Kopf Sinn – aber man weiss ja nie, ob die Ideen, die man hatte, auch beim Hörer ankommen. Da freut es mich zu hören, dass all die kleinen Details, die ich so als Tupfer setze, nicht verloren gehen. Das ist alles Absicht.
Tja, äh, Danke!
(lacht) Du hast es verstanden, super!
Tja, dann haben wir aber nicht mehr viel, worüber wir reden können!
(lacht) Stimmt!
Übrigens, morgen will ich mir einen Musiker anschauen, der auch im gleichen Fach wie du im Plattenladen eingeordnet wird: Pokey LaFarge.
Au ja!
Ich hab’ da gestern drüber nachgedacht – mein erster Gedanke war: Ihr kennt euch bestimmt gut. Dann dachte ich mir: Das muss ja gar nicht so sein. Du kommst aus Texas, er ist aus Missouri – und nur, weil wir Europäer euch beide ins Genre „Americana“ oder „Insurgent Country“ einordnen, heisst das ja noch lange nicht, dass ihr auch gemeinsam abhängt, wenn ihr z.B. das gleiche Festival spielt.
Oh, aber ich kenne Pokey gut. Wir werden immer mal wieder auf die gleichen Shows gebucht. Auf einem Festival vor eineinhalb Jahren haben wir uns mal näher kennen gelernt und gleich einen Draht zueinander gefunden. Wir hingen den ganzen Nachmittag gemeinsam rum und haben Blödsinn gemacht. Wir haben auch ein sehr interessantes Gespräch geführt – denn er macht ja sehr bewusst eine Sache, die ich sehr bewusst vermeide: So abwechslungsreich seine Musik ist, so sehr legt er es doch mit seinem Kleidungsstil, seinem Image und so weiter darauf an, Nostalgie zu wecken. Es ist nicht so, dass ich das nicht auch immer mal getan hätte. Aber grundsätzlich ist mir beim Shakey Graves schon wichtig, dass die Leute wissen, dass das Nostalgie-Ding nicht das ist, worum es mir geht. Das war ziemlich genau das, worüber wir uns unterhalten haben. Dass er auch zum Teil in eine Schublade gesteckt und abgeschrieben wird, schon alleine weil er einen Hut aus den alten Zeiten trägt. Denn das weckt nun mal gewisse Vorstellungen bei den Leuten.
Aber ein Image ist natürlich wichtig und ich habe meins ja auch irgendwie kultiviert. In einem gewissen Grade entspricht das auch einer Kunstfigur – was Pokey ja auch macht. Bei ihm ist es der Schwerpunkt – aber das macht er dafür perfekt! Trotzdem hat er natürlich ähnliche Probleme. Auch er will nicht in eine Schublade gesteckt werden. Was natürlich schwer ist, wenn du aussiehst, redest und dich verhältst wie er. Weil er immer so drauf ist, das ist urkomisch.
Es ist also so, dass er klingt, wie aus den 40ern, wenn man mit ihm redet?
Ja, total! Außerdem steht er voll auf Baseball! Er kann dir den ganzen Tag Baseball-Statistiken runterbeten. Er ist seiner Karikatur echt sehr ähnlich. Dann fängt er an, über die Chicago Bears zu schwadronieren – echt, Mann.
Diese „Alternative Country“ Geschichte hat ja zuletzt einen definitiven Aufschwung erlebt mit dem Erfolg von Leuten wie Chris Stapleton und Sturgill Simpson. Triffst du die auch?
Schon, ja. Chris habe ich noch nicht getroffen, Sturgill aber schon öfter. Unsere Wege überkreuzen sich immer mal wieder. Bei Sturgill ist es ähnlich wie bei Pokey, da geht es darum, etwas wieder zu beleben. Er klingt echt 1:1 wie Waylon Jennings. Wobei er das mit seinen Texten natürlich untergräbt. Man denkt, man hört einen traditionellen Country-Text, aber in echt geht’s um transzendenten Spiritualismus und echt tief gehende Gedanken. Dahin hat er einen dann hin gelotst mit Musik, von der man denkt, man kennt sie gut. Das ist aber wiederum das, was ich versuche, nicht zu tun. Ich versuche, Musik zu machen, die ich so noch nicht gehört habe und die du hoffentlich auch noch nicht gehört hast. Klar gibt es Referenzen an Musik, die es schon gab, ich lebe ja nicht in einem Vakuum. Aber ich versuche nicht, die Vergangenheit durch Musik nachzuerleben.
Und damit komme ich zu meiner Frage nach der Anekdote. Kannst du mir von der verrücktesten Show erzählen, die du je gespielt hast?
Oh Mann, die schrägste Show… lass mich nachdenken… äh… also, einmal, in Europa, da hatte ich den heftigsten Zwischenrufer überhaupt. Das war in Hamburg, und er hatte diesen (TUUT TUUT TUUT TUUT TUUT)
Tja. Das war mal ein abruptes Ende unseres Telefonats. Auf einmal waren der Kontakt und Shakey weg. Der Kollege von der Promo-Agentur rief zwar noch mal an, aber weil wir eh so gut wie fertig waren und Shakey schon im nächsten Gespräch steckte, haben wir den Faden nicht noch mal neu aufgenommen. Tja. Auch sowas kommt vor.