Verge Collection – „Flaneur“
All the lights in my room, they’re flickering dim.
I could get off my arse, go and change them.
But the circle, it always repeats
and eventually I’ll have to change them again.“
(Verge Collection – „Sleep It Off“)
Haha! Wer mal bei mir zu Hause war, muss jetzt lachen. Weil mein Licht im Flur nicht geht. Die Glühbirne muss nämlich so auf den Mikromillimeter genau in der Fassung sitzen, dass sie das quasi nie tut. Wie von Geisterhand dreht sie sich auch beim kleinsten Anlass wieder raus. Wie oft habe ich das Ding schon entnervt hin und her bewegt! Mit Gewalt, mit Feingefühl, mit gutem Zureden. Bis ich es irgendwann einfach gelassen habe. Lieber gar kein Licht, als dass es dauernd flackert oder dass man sich permanent hin und her justierend den Grant holt.
Klar ist also schon mal, das ich eine sofortige Seelenverwandtschaft zu Verge Collection empfinden muss. Ben Arnold, so der Name des Sängers des Quartetts, beschreibt eine vermutlich bezeichenende Szene aus meinem Leben – und das vom anderen Ende der Welt aus. Verge Collection stammen nämlich aus Perth und Verge Collection, so nennt man in Westaustralien die Sperrmüllsammlung.
Wenn eine Band sich so einen Namen gibt, stellt sie damit auch klar: Glamourös wird das, was jetzt kommt, nicht. Hier wird nicht aus der Perspektive von jemand erzählt, der auf Rosen gebettet ist. Wie zum Beweis startet dieses Album mit den Worten „I’m way too old to be living at home“.
Ben und seine Band haben ihr erstes Album „Flaneur“ genannt. Auch das zeigt uns ihren self-deprecating humour. Ein Flaneur, das ist jemand, der Zeit hat. Er beobachtet von der Parkbank aus oder über die Strandpromenade schlendernd die Anderen. Die hektischen Leute, die sich auf dem Weg zur Arbeit abhetzen. Die Jugendlichen bei der Balz. Die Konsumsüchtigen, wie sie Dinge einkaufen, die sie nicht brauchen. Aber „Flaneur“ ist man als Rentner und freiwillig. Wenn jemand mit Mitte 20 schon diesen Lifestyle hat, läuft was falsch. Dann hat man nicht den Job, den man sich vorgestellt hat. Vermutlich hat man nicht mal einen Job.
Man hat den typisch australischen Janglepop-Style der letzten Jahre ja nicht ohne Hintergrund Dolewave genannt. Klar, der Name war mal als Witz gemeint, aber er blieb hängen. Wave, weil man gerade alles Wave nannte. Dole wegen Arbeitslosenunterstützung.
Dolewave blühte zuerst auf in Melbourne. Die Bands heißen z.B. Twerps, Dick Diver, Lower Plenty. Ihnen gemeinsam ist: Erstens haben sie haben hörbar nicht viel Asche, sie nehmen ihre Songs sehr Lo-Fi auf. Zweitens haben sie erkennbar viel Zeit. Ihre Lieder sind unaufgeregte, smarte Beobachtungen einer Gesellschaft, in der sie nicht im Zentrum stehen. Musikalisch ist’s verwandt einerseits mit Pavement’schem Slacker-Rock der 90er, andererseits mit dem feinen Sensibel-Pop von Australiens 80s-Indie-Überhelden The Go-Betweens oder dem Jangle der Neuseeländer Flying Nun-Clique.
Dolewave hat sich über Australien ausgebreitet. Auch in Brisbane (The Goon Sax), Hobart (Treehouse) oder in Adelaide (Bitch Prefect) gibt’s Dolewave-Bands. Dabei kopieren sich die Gruppen nicht – sie kommen nur erkennbar aus der gleichen Ausgangsposition, bewegen sich im gleichen Style, zeigen aber ihre eigenen Nuancen.
Stilistisch hat sich Dolewave aufgefächert bzw seine Spuren hinterlassen. Auch der Indierock von Rolling Blackouts Coastal Fever und Alex Lahey sowie der Slacker-Gitarrenpop von Courtney Barnett oder The Ocean Party weisen unverkennbar die Dolewave-Elemente auf.
Jetzt gibt’s Dolewave also auch in Perth. All die Elemente sind da: Der peppige Gitarrenpop, die fehlende Präzision, die mit augenzwinkerndem Charme ausgeglichen wird. Die Lebenseinstellung zwischen Frust und kreativer Motivation, dieser Konflikt zwischen Hummeln im Hintern und den-Arsch-nicht-Hochkriegen. Was reissen zu wollen, aber die Mittel nicht zu haben.
Ben Arnold erzählt davon nie bitter, sondern immer mit einem Augenzwinkern. Er nennt es „Working Class Poetry“. Das Schöne daran ist, dass seine Erfahrungen zwar erkennbar persönlich, aber auch so universell sind. Der Refrain von „Stop! Think about it“ beispielsweise: „Stop! Think about it, what are you really trying to prove?“ Das kann jeder, aber auch jeder auf sein Leben anwenden, auf quasi jede Situation. Trotzdem kommt es in diesem Song in seiner struppigen Umsetzung nicht platt rüber.
So haben wir hier eine Platte, die verdammt viel von dem, was ich an Indie mag, auf sich vereint: Schwurlig-wurlige Gitarren, flotte Garagen-Rhythmen – und die richtige Einstellung: Clever, ohne sich selbst zu wichtig zu nehmen. Daraus folgen konsequent: Refrains, die man mitsingen will. Weil sie Schmiss haben und Melodien, vor allem aber die Art gewitzt-melancholischer Aussagen, denen man sich anschließen will. „Flaneur“ ist keine Platte, die irgendwas neu macht – aber es sind 33 Minuten bestmögliche kurzweilige Unterhaltung, wenn man Indiegitarren mag.
(frühere Singles, nicht auf dem Album:)