Gwenno – „Le Kov“
Da ist Gwenno doch tatsächlich hergegangen und hat ein Album auf KORNISCH aufgenommen! Ich finde, das ist ’ne echt interessante Geschichte, also schreibe ich da jetzt drüber.
Aber, äh, wer ist Gwenno? Und was ist Kornisch?
Wo fange ich an?
Ich fange mit Kornisch an.
Finger hoch, wer weiß, was Kornisch ist? Also ich wusste es nicht. Kornisch ist eine Sprache. Man sprach sie am äußersten südwestlichen Zipfelchen Großbritanniens. Links unten auf der Landkarte, Cornwall. Genau! Das ist da, wo die Rosamunde Pilcher-Filme spielen.
Dazu ein Abriss der Geschichte der Insel. Ich mach’s kurz, versprochen. Im Englisch-Unterricht wurde man ja genug damit gelangweilt.
Also, nachdem die Eiszeit vorbei ging und Großbritannien vom Eisschild freigelegt wurde, kamen zuerst keltische Stämme als Siedler auf die Inseln. Später folgten zahllose andere. Die Römer, die Angeln und die Sachsen und auch immer mal Wikinger. Wie all die anderen Völker so eintrafen, sich hier und dort niederließen, eroberten und bekriegten, vermengten sie sich mit der Urbevölkerung. Dabei entwickelten die Neuankömmlinge die Sprache Englisch, als Mix, der auf germanischen und altnordischen Wurzeln basierte, aber auch viel aus dem Lateinischen und dem Französischen und weniger aus dem Keltischen übernahm. Bis in die Randgebiete aber breitete sich der Völkermix nicht ganz aus. Hier blieben keltische Minderheiten noch lange unter sich, ohne assimiliert zu werden. In Schottland oder in Wales zum Beispiel. In diesen Gegenden blieb auch die Sprache der Kelten erhalten. Auf den Hebrideninseln wie Lewis, North Uist und South Uist wird noch schottisches Gälisch gesprochen, in Wales walisisch.
Bis ins 18te Jahrhundert hinein gab es auch in Cornwall noch Sprecher des Kornischen, dann wurde es endgültig verdrängt. Nein, nicht endgültig. Denn inzwischen war ja die Schrift erfunden worden. Zeugnisse der Wörter und der Aussprache wurden überliefert und festgehalten. Man konnte es sich theoretisch wieder aneignen, so wie man ja die „tote Sprache“ Latein weiterhin lernt. Auch wenn es keine Muttersprachler mehr gab, es entwickelte sich irgendwann eine kleine, aber begeisterte Bewegung zur Wiedererweckung des Kornischen (das übrigens nahe verwandt mit dem Bretonischen und dem Walisischen ist). Besonders um 1920-30 machte die Strömung wichtige Fortschritte, seitdem hält sie sich konsequent und breitet sich langsam aus.
Natürlich kann man da jetzt schon anfangen, zu diskutieren. Die Welt wächst zusammen – ist es da nötig, dass sich Leute zur Minderheit der „Cornish people“ erklären? Dass sie z.B. zweisprachige Verkehrsschilder in einer Sprache fordern, in der zwischenzeitlich gar niemand mehr redete und die sich geschätzt gerade mal etwa 600 (Schätzung von außen) bis 2.000 Leute (Schätzung der Bewegung) heute nachträglich wieder angeeignet haben?
Naja, ich finde: Wenn man’s nicht übertreibt, ist das doch hochinteressant. Ich sehe es so: Die Gentechnik wird es uns vielleicht bald ermöglichen, Tiere, die wir ausgerottet haben, wieder zurück zu holen. Sollte man denn zum Beispiel den australischen Beutelwolf dann nicht rebooten? Würde das irgendwas kaputt machen, irgendwem schaden? Oder würde man nicht ein Stück Reichtum der Natur zurück holen? Wenn man eine Sprache ins Leben zurück ruft, holt man ein Stück Reichtum der Kultur zurück. Ein Stück Menschheitsgeschichte. Ich finde, das ist sogar unbedingt zu unterstützen.
Aber klar, es gibt gewisse affige Auswüchse, über die kann man streiten. Es gibt zum Beispiel übermotivierte Sprachfanatiker, die ihre Kinder auf Kornisch großziehen – nur damit es endlich wieder Muttersprachler gibt. Englischsprachige Kultur versuchen sie, ihren Kindern so gut es ihnen möglich ist, vorzuenthalten.
Und damit kommen wir zu Gwenno Mererid Saunders, geboren in Cardiff. Tochter genau solcher Eltern. Ihre Mutter Lyn Mererid ist walisische Sprachaktivistin und Übersetzerin. Ihr Vater ist der Dichter und Linguist Tim Saunders, der Bücher auf Kornisch, Bretonisch, Walisisch und irischem Gälisch verfasst hat. Die beiden zogen ihre Töchter Gwenno und Ani zweisprachig auf: Walisisch und Kornisch. Der Fernseher wurde nur angemacht, wenn das walisische Sprachfenster lief. Ich finde das freaky.
Es hat Gwenno im Nachhinein aber offenbar nicht nachhaltig geschadet. Mit 36 hat die Musikerin bereits eine spannende Lebensgeschichte zu erzählen. Nach ihrer schrägen Jugend ging sie mit 16 als Tänzerin für „Lord Of The Dance“ nach LA und Las Vegas. Später spielte sie zurück auf der Insel mit ihrer Schwester und einer Freundin im stylischen Indie Girl Pop Trio The Pipettes – eine Band, die respektable Erfolge feierte und noch mehr verdient gehabt hätte. Danach tourte sie als Keyboarderin u.a. mit PNAU und mit Elton John.
Tja, und inzwischen macht Gwenno solo Musik. Ihre erste LP („Y Dydd Olaf“, 2014) war auf Walisisch. Die zweite, „Le Kov“ ist eben in der Tat auf Kornisch. Vermutlich ist es das erste Album, das überhaupt je in dieser reanimierten Sprache aufgenommen wurde.
So. Das ist die Story. Schon kurios genug, dass man das Ganze mal hören will. Mich juckt es, die Platte jemand vorzuspielen und ihn/sie raten zu lassen, welche Sprache das ist. Das errät doch KEIN MENSCH!
Aber wenn die Songs nix taugen, dann ist „Le Kov“ trotzdem nur etwas fürs Kuriositätenkabinett. Dahingehend freue ich mich, mitteilen zu dürfen: Nein, das ist nicht der Fall. Auch wenn die Texte englisch wären, wäre diese Platte hörenswert. Dies ist wurbelig-schwurbeliger, melodiöser Alice-im-Wunderland-Fantasie-Folkpop voller spacig-psychedelischer Melodien. Nicht von ungefähr kommen mir als Vergleiche Waliser in den Sinn: Mich erinnert die Platte an das Solowerk von Super Furry Animals-Sänger Gruff Rhys oder an die herrlichen Gorky’s Zygotic Mynci.
Die Platte kann man wunderbar nebenher vor sich hin blubbern und gurgeln lassen, wenn man was anderes macht – was normal keine Qualität ist, die ich hervorhebe, weil mir normal ja auch Texte durchaus wichtig sind. Aber klar, zu den wenigen Kornisch-Sprechern zähle ich nicht und das wird auch nicht mehr passieren. Ich werde also nie erfahren, was Gwenno uns da erzählt, aber ich weiss, das sie angenehm säuselt, summt, gurrt und flötet in ihrer geheimnisvollen Zunge. Ich finde das Ganze ist eine ausgefallene Idee und eine gelungene Umsetzung. Daumen hoch, ganz klar.