Interview: Albert Hammond Jr.

Oha. Ein echter Stroke am Telefon! Albert Hammond Jr. hat nicht nur sein viertes Soloalbum fertig, sondern auch ein neues Alter Ego: „Francis Trouble“ ist sowohl der Albumtitel als auch eine Kunstfigur, benannt nach Alberts Zwillingsbruder Francis, der als Fehlgeburt schon im Mutterleib starb.

Ich finde: Man spürt, dass Albert sich mehr und mehr als Solist emanzipiert. Seine ersten zwei Soloalben, sie klangen für mich noch wie Überbrückungen der Phasen, in denen The Strokes auf Eis lagen. Seit „Momentary Masters“ (2015) aber merkt man, dass „AHJ“ auf seine Alleingänge die gleiche, wenn nicht mehr Betonung legt als auf die Platten seiner Band. Macht ja auch Sinn. Die Strokes liegen auf Eis und ob es noch mal weitergeht, weiss niemand.

Albert hat einen Interview-Marathon-Tag und steht spürbar unter Strom, das merkt man sogar durchs Telefon. In der Viertelstunde, die ich zugeteilt bekomme, redet er schnell und viel.

Hey wie geht’s?

Mir geht’s gut, und dir?

Mir auch, danke, ich habe mich gefreut auf dieses Interview. Deinen alten Herren habe ich nämlich inzwischen schon drei Mal gesprochen.

Oh, nett.

So ein Gentleman! Der hat echt Klasse, dein Vater. Ich hoffe mal, das hat abgefärbt, oder so. Haha.

Ha, dazu sage ich natürlich: Ich bin sogar ein besserer Typ als mein alter Herr.

Ich fragte mich: Da ja dein Vater schon ein Songwriter war, hat das deinen Weg irgendwie vorgezeichnet? Hattest du überhaupt eine andere Möglichkeit, als auch Songwriter zu werden?

Oh, so war das ganz und gar nicht. Ich habe meinen Zugang zur Musik nicht über meinen Dad bekommen. Ich habe als Kind nie groß über Musik nachgedacht. Als ich mich dann später in Musik verliebte, da kam das aus mir selbst raus. Irgendwie so, wie… also, ich meine: Du weisst, deine Eltern sind ein Paar. Aber wenn du dich selbst das erste Mal in ein Mädchen verliebst, dann denkst du da ja nicht an deine Eltern. Sondern du erlebst das ganz selbst. Also muss ich sagen: Es hat nichts mit ihm zu tun. Gar nichts.

Aber jetzt, da ihr beide in der Branche arbeitet, sucht ihr manchmal gegenseitig euren Rat und eure Meinung? Spielst du ihm dein neues Zeug vor und er dir seins?

Also ganz ehrlich, das ist jetzt für mich eine komische Zeit, um über meinen Dad zu reden. Nein, ich suche nicht seine Zustimmung.

Alles klar. Trotzdem spielt Familie eine Rolle auf der neuen Platte. Denn ich lese, dass die Platte inspiriert wurde dadurch, dass du erfahren hast, dass du einen Zwillingsbruder hattest, der vor dir als Fehlgeburt zur Welt kam. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man sich da fühlt, wenn man das erfährt.

Naja, also ich wusste das schon immer. Neu war für mich nur die Information, dass ich bei meiner Geburt wohl noch Überreste von ihm in meiner Placenta hatte – naja, meine Placenta? Sie gehört ja nicht mir.
Aber sagen wir’s so: Alle Platten beginnen mit einem kleinen Funken, mit einer Idee, in die man sich verliebt hat. Diese Story verzwirbelte sich mit anderen Dingen, die gerade in meinem Leben passierten. Man muss sich Lieder wie Menschen vorstellen: Am Anfang sind sie Kinder, und später trifft man sie wieder und sie sind selbstständig, dann entdeckt man ihre Geschichte. Das passiert nicht alles gleichzeitig. Ich habe nicht alle Musik geschrieben und nur an diese Sache gedacht. Aber ich fand, es war ein wahnsinniger Zufall, dass ich all das erfuhr, genau zu einem Zeitpunkt, in einem Alter, in dem all die Zahlen zusammen passten. Das passte in diese Phase von meinem Leben und in meinen Plan, ein Album zu machen, auf dem ich der Frontmann bin, der Entertainer, jemand, der eine Geschichte zu erzählen hat, auch wenn sie nicht so heavy sein musste. Mir kommt’s manchmal so vor, als gäbe es nur Pop und Indie, aber keinen Ort, an dem man einfach nur verdammten Spaß haben kann. Weinen und Lachen sind immer getrennt. Aber ich wollte die Mitte finden, wo Lieder Spaß machen können, aber trotzdem Tiefe haben.

Wo du gerade Frontmann sagst: Du hast neulich die Single „Muted Beatings“ bei Conan O’Briens Show performt. Da ist mir aufgefallen, dass du keine Gitarre umhängen hattest. Da habe ich erst gemerkt: Irgendwie kannte ich dich immer nur mit Gitarre. Wenn man an dich denkt, hat man automatisch ein Bild vorm Auge, auf dem du eine Gitarre um den Hals hast. 

Das sagst DU! Ich aber nicht. So bin ich nicht groß geworden. Der letzte Interviewer, bei dem war das genauso, der sagte das Gleiche. Und er meinte: „Buddy Holly hatte doch auch eine Gitarre und hat trotzdem gesungen.“ Es hatte keinen besonderen Grund. Ich habe auf dem Song nur keinen Part zu spielen. Im Set mache ich alle drei Kombinationen: Manchmal spiele ich Gitarre und singe, manchmal singe ich nur, manchmal spiele ich nur Gitarre. Ich habe jetzt eine Band, da kann ich alle drei Dinge machen.
Aber das Wichtige und das Knifflige an der Sache ist, die Wahrnehmung zu verändern. Wenn du in einer Band bist und da der Gitarrist bist, dann wirst du auf eine bestimmte Weise wahrgenommen, ob du willst oder nicht. Meistens stimmt diese Wahrnehmung ja auch. Die meisten Gitarristen sind diese Art Typ, wie man sie sich vorstellt. Nur die wenigstens machen es anders. Aber ich bin einer von diesen Anderen! Ich bin ein Frontmann! Das sieht man, wenn man auf meine Shows geht, das sieht man, wenn man mein Albumcover anschaut. Ich will diese Wahrnehmung umschmeißen: Okay, ihr kennt mich von dieser Band, aber ich bin definitiv DIES, etwas Neues und Anderes! Das ist das Schwerste. Es ist eine Herausforderung die Spaß macht, aber ich kann es vor mir sehen. Wie du sagst: Hey, ich sehe dich vor mir mit einer Gitarre. Verstehe.

Verstehe, aus dieser Schublade willst du raus.

Das ist die Sache! Mir war nicht mal klar, dass ich in der Schublade drin stecke! Aber wenn man sich die Historie der Musik anschaut und andere Gitarristen betrachtet, macht das Sinn. Viele haben’s einfach nicht. Weil sie nicht der Frontmann sind. Aber wenn ich mich anschaue: Ich hab’s! Ich bin der Frontmann!

Die hast ja auch schon lange Bühnenerfahrung…

Da hatte ich es aber noch nicht! Auch auf meinen ersten drei Soloalben hatte ich’s nicht! Deswegen kann ich’s jetzt sehen! Weil ich’s damals nicht hatte!

Ach, vorher hattest du es NICHT?

Nein. Nicht so wie jetzt. Vielleicht hatte ich Elemente davon. Aber es war nicht so deutlich wie jetzt.

Hmm. Also ich mochte „Momentary Masters“ sehr gerne. Ich fand, die Platte war ein großer Schritt für dich.

Nein, ich sage ja nicht, dass ich dafür nicht ein paar Schritte gebraucht habe! Das Leben besteht aus Baby-Schritten, die man kaum bemerkt. Aber später ist es komplett anders. Das Leben geht Bruchteil um Bruchteil vorwärts und man bemerkt fast keine Änderung, aber später ist man eine komplett neue Person. Klar gab es Schritte. Aber die gesamte Zeitspanne, die war ein Spannungsbogen, der sich jetzt endlich aufgelöst hat. Der Schritt mit dem letzten Album war wichtig. Das war der Moment, an dem mir auffiel, was mir fehlte – nämlich, was ich gerade sage. Aber wenn man noch nicht weiss, was man will, weiss man auch nicht, was man angreifen und verbessern muss.

Ist es ein neues Gefühl für dich, auf der Bühne auch mal mit die Arme frei zu haben?

Hmm. Ich denke, irgendwie ja. Aber ich mache das jetzt ja schon länger. Also… nein. Es fühlt sich ganz natürlich an für mich. Nein, ich fühle mich gut dabei. Ich stehe darauf, mich so frei bewegen zu können auf der Bühne. Ich habe neulich die Show der Killers eröffnet – über die Bühne laufen zu können, auf hohe Dinge klettern zu können, das war super. ich bin eine sehr aktive Person, was das angeht. Ich mag es, mich zu verbiegen und mich zu verzerren und über die Bühne zu rennen. Es gibt ein Video von einer Umsonst-Show in LA, da klettere ich über dieses Ding, übers Publikum. Ich stehe darauf, die Umgebung auf der Bühne zu erkunden, ich erlebe das mit kindlicher Neugier. Das Kind, dem man immer gesagt hat „Du hast keinen Rhythmus“ und „Du kannst das nicht!“ und „Deine Songs sind mies!“- das sagt jetzt „Fick dich, mir geht’s jetzt super!“

Wie jetzt – man hat man dir vorher gesagt, deine Songs wären nicht gut? Das ist, was passiert ist?

Das ist buchstäblich das, was ich dir gerade gesagt habe!

Okay, ja, schon, nur… (Kurze verlegene Pause, in der wir beide verschämt kichern. Hat Albert gerade einen tiefen Riss innerhalb der Strokes offenbart?)

Also ich rede von Zeiten, in denen ich ein Kind war. Heute siehst du eine andere Version von mir auf der Bühne. Jemand, dem man jetzt gesagt hat: Du darfst das! Du darfst deinen Spaß haben! Du kannst alles loslassen! Vergiss das Business und was du erreichen willst, das kannst du alles loslassen! Denn aus welchen Gründen auch immer, ich hatte dieses Selbstvertrauen verloren. Aber jetzt bin ich selbstbewusst genug, um zu sagen: Doch, das kann ich – und ich ziehe es durch! Es ging nicht immer aufwärts, aber man fällt hin und steht wieder auf, fällt hin und steht wieder auf, so ist das.

Okay… um noch mal auf deinen ungeborenen Bruder zurück zu kommen – der Text, den die Plattenfirma uns mitgab, klang so, als sei dies DAS zentrale Thema des Albums gewesen. Bedeutet das, du hast Songs konkret über dieses Thema geschrieben? Gibt es zum Beispiel Textzeilen, die du quasi an deinen Bruder richtest?

Also ich glaube, wenn du mit diesem Vorstellung an die Songs ran gehst, wirst du sie unter einem bestimmten Blickwinkel betrachten und ganz bestimmte Dinge heraushören – und das ist ist stark.
Aber wenn du die Platte ohne diese Vorstellung anhörst, dann wirst du genauso bestimmte Sachen heraus hören, und das ist nicht weniger stark.
Letztlich geht es immer zuallererst darum, eine Verbindung zu knüpfen. Ich schreibe die Texte für mich selbst – aber es werden mehrere Interpretationsmöglichkeiten gleich mit eingewoben. Viele Geschichten auf der Platte gehen nur um mich – und zwar sehr deutlich. „Darkness vs Light“, „Harder Harder Harder“… oder „Strangers“, in dem Text geht es darum, dass wir eigentlich niemals jemand anders wirklich kennen können, weil alles, was wir erleben, nur in unserem Kopf stattfindet, unser ganzes Universum ist nur in unserem Kopf. Wir wollen andere Leute kennen, aber wir laufen alleine rum und kennen uns nicht. Naja, ich könnte die Texte jetzt auseinander friemeln und würde schon etwas finden. Aber… wenn du aus Fäden eine Jacke webst, dann wirst du die einzelnen Fäden nicht mehr unbedingt sehen, wenn du die Jacke anziehst. Trotzdem sind es die Fäden, die die Jacke zusammen halten. Deswegen fällt es mir schwer, einfach einen Faden aus dem Album heraus zu ziehen. Das Gesamte, das entspricht dem Thema sehr wohl. „Darkness vs Light“ behandelt das auf jeden Fall.  Bei anderen Songs sind es nur bestimmte Anteile, die das entsprechen. „Rockets“ zum Beispiel. Ich habe so das Gefühl, dass Francis Trouble, die Figur, sich über Jahre entwickelte. Auch über das letzte Album, mit den Schattenspielen auf dem Cover, auf dem die Farben nur weiss und schwarz waren. Die Neue ist knallbunt, hast du das Cover gesehen?

Ja, habe ich.

Ja, das Kind, das immer ignoriert wurde, dieser Schatten von der dritten Platte, der darf sich jetzt ausleben! Das ist Francis Trouble. Das ist, wer ich immer sein wollte. Und naja, zu hören, dass ich immer einen Zwilling hatte, das machte einfach Sinn. Weil ich immer diese Dualität in mir spürte, weil ich immer Hell und Dunkel in mir hatte – darum geht es noch auf der dritten Platte. Jetzt machte alles auf einmal Sinn. Also habe ich entschieden, Francis groß werden zu lassen und ihn auszumalen. Und das wurde zu dieser Platte. Also, es ist nicht so, dass einem eine einzelne konkrete Idee in den Kopf kommt und man das dann runter schreibt. Statt dessen kommen mehrere Dinge gleichzeitig auf einen zu… aber sie verknüpfen all diese großen Themen aus deinem Leben, so dass alles auf einmal Sinn macht und dass Neues entstehen kann. Das ist wie in dem Zitat, das im Label-Info steht: Die Themen können mehrschichtig sein, sie können Bedeutung haben, sie können tiefgründig sein – aber vor allem will ich unterhalten. Ich will Substanz liefern, aber ich will auch einfach nur Musik machen und Spaß haben. Und ich will, dass die Leute genauso daran Spaß haben, und dass sie vielschichtige Empfindungen mitnehmen. Du kannst sagen: Ich bin der Typ für multiple Orgasmen!

Okay, das wird gemacht! 

(Der Kollege der Plattenfirma schaltet sich ein: „Letzte Frage bitte“)

Alles klar. Also, was ich noch interessant fand, war zu lesen, dass du New York den Rücken gekehrt hast und in die Einsamkeit der Catskill Mountains gezogen bist. Du nennst es eine Henry David Thoreau-Erfahrung, ein Einsiedler-Leben. Dazu die Frage: Was stellt es mit deiner Psyche an, in der Natur zu leben und nicht mehr in der wuseligen Stadt mit ihren Millionen Menschen?

Also, was mir auf jeden Fall auffiel, ist wie krass wir uns von der Natur entfernt haben. Dabei sind die Kreisläufe der Natur alles. Eigentlich sind sie alles, was wir wissen müssen und alles, was wir haben. Naja, man verbindet sich wieder mit der Erde, man bemerkt, wie sich die Dinge bewegen. Man lernt Geduld, man spürt den andauernden Kreislauf von Leben und Tod, man lernt Wiedergeburt. Also, mir ist klar, dass das wie ein Klischee klingt. Aber für mich war es der perfekte Zeitpunkt, die Natur zu entdecken, während mir auch all diese anderen Dinge klar wurden. Ich kriegte eine enorme Energie, als ich dort draußen war. Dafür entzieht mir die Stadt jetzt immer Energie.

Ich kann das nachvollziehen. Ich komme aus einer Kleinstadt in den Alpen und mir geht es heute auch so, dass ich manchmal dort hin muss, als müsste ich meine Batterien aufzuladen.

Ja! Aber früher ging mir das nie so! Wenn man mir das früher mal erzählt hätte! Früher hätte ich gesagt „Ich bleibe für immer in New York! Ich hasse es da draußen!“ Ich hatte richtig ANGST vor diesem Schritt. Aber dann haben meine Frau und ich gesagt: Probieren wir’s aus! Schlimmstenfalls ziehen wir halt zurück! Aber es ist nie dazu gekommen, dass wir es dort draußen gehasst hätten. Andererseits bin ich natürlich auch so viel auf Reisen – und das nimmt mir natürlich auch immer viel Energie. Zuhause ist für mich der Ort, an dem ich schnell wieder aufladen kann. Und wenn ich nur ein paar Tage dort draußen bin, fühle ich mich sehr schnell wieder lebendig und will wieder was anpacken. Das heisst, ich arbeite dort von selbst ein bisschen disziplinierter.

Vielen Dank! Ich will dich nicht unterbrechen, aber ich glaube, unser Freund von der Plattenfirma wird schon ganz ungeduldig, denn wir überziehen gerade unsere Zeit!

Ja, ich habe heute leider so viele Interviews durchzuziehen. Vielleicht können wir uns ja zusammensetzen und länger sprechen, wenn ich das nächste Mal in Deutschland bin.

Das würde mich natürlich freuen. 

Dann kann ich auch viel tiefer ins Detail gehen.

Alles klar! Vielen Dank für deine Zeit, und viel Erfolg fürs Album!

Danke! Take care!

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