Review: Lowtide

Lowtide – „Southern Mind“

Ich beginne eben – mal wieder – mit einem kurzen Abriss der bisherigen Shoegazing-Historie. Die späten 80s, frühen 90s, brachten bekanntlich eine ganze Welle der UK-Bands, die mit Feedback und Noise hypnotische Effekte erzeugten. Los ging’s mit The Jesus and Mary Chain, das entwickelte sich über MBV zu Ride, Chapterhouse, Swervedriver, The Boo Radleys, Pale Saints, Lush, Moose etc. Picken wir uns als Musterbeispiel Slowdive. Wenn andere Bands aus Feedback „Klanggewitter“ schufen, dann untermalten die fünf aus Oxford den Morgennebel, durch den die ersten Sonnenstrahlen brechen. Wolkige Schwaden aus Gitarren und süßer Schimmer. Morningrise.

Parallel aber entwickelte sich auf der anderen Seite des Atlantik der Grunge. Als Nirvanas „Nevermind“ mit seinem schroffen Expressionismus explodierte, sahen die schüchternen englischen abstrakten Klangmaler daneben plötzlich wischi-waschi und zahnlos aus. Als nicht lange danach auch noch der Britpop kam, wurden die Überlebenden vollends verdrängt. Slowdive versuchten damals die Flucht nach vorne in den Ambient-Minimalismus – es half nichts. Ihr drittes Album „Pygmalion“ wurde nicht mal mehr wahrgenommen. Mann, waren Slowdive 1995 out! Wenn ihnen damals jemand erzählt hätte, dass sie eines Tages als gefeierte Pioniere zurück kommen würden, dass ihr Reunion-Album als eine der besten Platten des Jahres 2017 bejubelt werden würde – sie hätten nur laut gelacht. Ja klar.

Es  war ja auch ein langer Weg dahin. Es dauerte bis in die frühen 2000er, dass der Sound wieder akzeptiert wurde und neue Bands die Fäden der Shoegazer langsam wieder aufnahmen. Schwedens The Radio Dept. zum Beispiel, die brachten eine rumpelige LoFi-Komponente ins Spiel. Die Londoner Engineers gaben dem Sound einen Prog-Effet. Islands Sigur Rós setzten auf das Transzendent-Träumerische. Nothing aus den USA nahmen den Sound als Schmerzmittel für emotionale Härtefälle.

Allerdings: Die neue Band, die genau wie Slowdive diesen bestimmten Sweet Spot zwischen schwelgerisch, lieblich und schummrig anpeilte, die fehlte. Enter Lowtide aus Melbourne.

Sicher, die Band wird sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, dass man sie einfach als  Slowdive-Tribut-Act bezeichnet. Lowtide werden Shoegazing allgemein als Einfluss nennen und weiteren 80s/90s-Indie wie Cranes, Low, Siouxsie, The Cure und The Church. Aber hey – sogar ihr Bandname reimt sich auf Slowdive. Und die Soundelemente, die Lowtide einsetzten, vom Boy/Girl-Gesang über sie schwurligen Gitarren zu den scheuen Shuffle der Drums, die sind nun mal 1:1 das, was Slowdive Anfang der 90er machten.

Aber vergessen wir nicht: Als die Band sich 2008 in Melbourne gründete, da war Slowdive ein Name mit Kultstatus in einer kleinen Nische. Als 2011 Lowtides erste Singles kamen, da war es regelrecht originell, diesen für breitere Schichten so obskuren Sound wieder aufzubereiten.

2014 war es so weit, dass Lowtide ihr gleichnamiges Debütalbum veröffentlichten. Ich als Slowdive-Fan störte mich nicht daran, dass die Platte sich so erkennbar an einer meiner Lieblingsbands orientierte. Slowdives „Just For A Day“ (1991) und „Souvlaki“ (1993) und die B-Seiten dieser Ära ergeben ja nur etwa 30 Songs. Über 20 Jahre später wieder neue Lieder in diesem Sound zu bekommen – wer könnte etwas dagegen haben, wenn er diese Musik gern hört? Scheiss auf den Originalitätspreis, dies waren traumhafte Töne. Zumal, wer genau hinhörte, dem fiel auf: Lowtide spielten mit zwei Bässen. Auf diese Interaktion der Basslines konnte man zeigen, wenn man was suchte, das doch irgendwie das eigene Ding der Australier war.

Das war 2014. In dem Jahr passierte noch etwas: Slowdive feierten Wiedervereinigung. Zuerst als Liveband. Letztes Jahr legten sie dann auch ein neues Album vor, das von der ersten bis zur letzten Note alle Wünsche übertraf.

War dies wohl eine gute oder eine schlechte Nachricht für Lowtide? Einerseits müssen sie ja riesige Slowdive-Fans und entsprechend happy sein. Andererseits, ihr Selling Point war bisher: „Methadon für Slowdive-Junkies“. Wie sollen sie darauf reagieren? Krampfhaft einen neuen Sound suchen?

Lowtide haben sich dagegen entschieden. Sie machen ziemlich genau da weiter, wo sie beim ersten Album abgesetzt haben.

Der Albumtitel „Southern Mind“ – Kann man ihn als Antwort auf The Verves „A Northern Soul“ deuten? In der Tat wollen Lowtide mit diesem Titel ihre südaustralische Herkunft betonen. Das Cover ziert ein Drohnen-Foto eines Küstenabschnitts als Hinweis auf den Ort, wo diese Musik herkommt. Die Botschaft: Diese träumerische Stimmung, sie kann sehr wohl von der Bass Strait inspiriert werden. Es muss nicht der Nordatlantik sein.

Übrigens: Bassist/Sänger Giles Simon hat die Band kurz nach Abschluss der Aufnahmen verlassen. Nach neun Jahren ein ziemlich radikaler Schnitt. Ob Sängerin/Bassistin Lucy Buckeridge künftig als alleinige Frontfrau agieren wird, oder jemand seine Stelle einnehmen wird? So oder so, bei den Aufnahmen war Giles noch dabei, entsprechend haben wir wieder die Boy/Girl-Vocals und die doppelte Bass-Verzwirbelung wie beim Debütalbum. Sagen wir’s so: Ich habe beide Alben diesen Morgen im Shuffle-Modus gehört. Zu sagen „Das ist erkennbar von der Ersten“ bzw. „und das ist von der Neuen“ – mir gelang es nicht, das zu unterscheiden.

Aber gut. Das ist kein Problem, das ich mit dem Album habe. Denn Lowtide bewegen sich in einem Klangfeld, das mich grundsätzlich happy macht. Schillernd reflektierende Echo-Gitarren, Treppauf/treppab-Bassläufe und sehnsüchtige, sich verzwirbelnde Gesangslinien, damit kriegt man mich einfach. Ich denke, wer so etwas wie ich gerne hört, kann über die Frage des „Wer hat’s erfunden?“ hinweg sehen.

Aber wenn jemand die Nase rümpfen will, weil er die Australier als reine Nachahmer einordnet, dann werde ich jetzt hier keine kämpferischen Gegenargumente suchen. „Southern Mind“ ist eine Genreplatte. Mit all den Stärken und Schwächen, die das impliziert.  

 

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