MGMT – „Little Dark Age“
Kontext. Andrew van Wyngarden und Ben Goldwasser haben sich am Wesleyan College in Middletown, Connecticut, kennen gelernt. Das hat Relevanz.
Denn Wesleyan ist eine extrem liberale, fortschrittliche Hochschule, die auf die Förderung der Künste setzt wie wohl keine zweite in den USA. Ihr Ruf ist makellos und das zu Recht: Obwohl es nur eine kleine Uni ist (aktuell lernen hier etwa 3.200 Studenten – zum Vergleich, Harvard hat ca 21.000, die LMU München ca 51.000), tummeln sich ihre Absolventen sich in frappierender Menge in den höchsten US-Zirkeln in Sachen Kunst, Medien, Wissenschaft und Politik. Es gibt eine Liste auf Wikipedia, da klappt einem der Kiefer runter.
Diese Uni ist aber nicht nur krass fortschrittlich. Sie ist auch: privat. Sie kostet. Zur Zeit etwa – ich hab‘ nachgeschaut – 67.000$ plus etwa 2.600$ für Bücher und Nebenkosten pro Studienjahr. In etwa das Vierfache der durchschnittlichen US-Uni, fast doppelt so viel wie Harvard oder Yale. Wer seinen Balg also durch ein normal vier Jahre dauerndes Bachelor-Studium durchschleusen will, darf dafür also mal eben mit schlappen 300.000$ rechnen.
Naja, die Eltern haben’s ja meistens. Worauf ich hinaus wollte: Wesleyan ist nicht nur ne Elite-Uni – es ist voll die Etepetete-Uni. Wer hier hin geht, der ist nicht mit Silberlöffel im Mund geboren, sondern mit diamantbesetzter Kaviar-Pinzette. Und wer die Uni abbricht, wird von Daddy bestimmt immer noch bei einem Kumpel in bester Position unter gebracht.
Worauf willst du hinaus, Henning? Ah, ich ahne es schon: Ist das wieder so ein Klassenkampf-Ding? Willst du jetzt was nach dem Motto hervor kramen wie: Nur wer sich aus der Working Class hoch arbeitet, macht auch Kunst, die was gilt? So wie Oasis, alleinerziehende Mutter, prügelnder Vater, Jobs auf dem Bau, Musik, Rock’n’Roll als Aufstiegsschance und Katharsis?
Nein. Will ich nicht. Die Liste mit den Absolventen spricht für sich. Es steht außer Zweifel, dass an dieser Schule tolle Geister zum Erblühen gebracht werden, die ernsthaft was für den Fortschritt der Menschheit beitrugen und beitragen. Streiten kann man sich darüber, wie fair es ist, dass nur eine kleine Clique längst Privilegierter Zugang zu diesen Fördermöglichkeiten hat. Aber nicht mal darum geht’s mir hier.
Keiner von uns hat sich seine Eltern ausgesucht. Ich glaube deshalb nicht, dass ein Kind der Eliten nur seiner Herkunft wegen keine irre, bewegende, nachvollziehbare Kunst machen können sollte. Genausowenig glaube ich, dass ein Kind der Straße nicht zu so etwas fähig sein sollte. Denn Schmerz und Glück und Empathie ist etwas, das wir alle ähnlich empfinden – und es geht letztlich nur darum, diese Gefühle nachvollziehbar und ästhetisch zu artikulieren. Wenn sie von ihrer Liebsten verlassen werden, bricht das Herz eines Musical-Studenten nicht anders als das eines Pfandflaschensammlers.
Trotzdem, auf irgendwas wollte ich natürlich hinaus mit dem Elite-Uni-Kram. Dazu noch mal wieder der Vergleich mit Oasis. Oasis kamen von unten, aber ihr erstes Album begann mit „Toniiiight I’m a Rock’n’Roll Star!“ Das hatte Trotz, das hatte Wut. Das sagte aus: „Ihr da oben, ihr kriegt mich nicht klein! Ich klettere jetzt zu euch in die Loge und mache Ramba-Zamba!“
Auch MGMT begannen ihre Karriere mit einer Popstar-Fantasie: „Time To Pretend“. Aber ihr Blick kam von oben herab, man machte sich übers Popstar-Leben lustig. MGMT sangen: „Let’s make some music make some money find some models for wives / I’ll move to Paris, shoot some heroin and fuck with the stars“ Oasis wollten raus aus der Gosse. Für sie war Rock’n’Roll der Weg nach oben. Für MGMT war’s ein flippiger Trip. Sie wollten nur keinen Bürojob („What else can we do? Get jobs in offices and wake up for the morning commute?“) und sie lästerten auch schon über das Ende ihres Ausflugs. „The models will have children, we’ll get a divorce, We’ll find some more models, everything must run its course. We’ll choke on our vomit and that will be the end.“
Ich sage nicht, dass das eine was Besseres ist als das Andere, ich will nur zeigen: Die Beweggründe sind verschieden. Beide Bands wollten mehr vom ihnen vorgezeichneten Leben, aber bei Oasis war es ein Drang, sich durchzusetzen, bei MGMT der Wunsch, vom goldenen Hamsterrad zu springen. Von Anfang an. Eine schräg gekleidete Hippie-Elektroband zu gründen, war ihre Art des Ausbruchs.
Ein Ausbruch, den viele Kids nachvollziehen konnten. 2008 war die Welt eine andere als 1995 zu Oasis’ Durchbruch. Jobs befanden sich jetzt in größerer Zahl hinter einem Monitor. Es machte schon Sinn, dass MGMTs Fantasie bei den Hörern offene Türen einrannte. Dann kam auch noch „Kids“, der noch viel größere Welterfolg.
Der Rest vom Album „Oracular Spectacular“ war vielfach unausgegoren und verpeilt, aber die HIts machten das Album zum Welterfolg. Van Wyngarden und Goldwasser hatten das mit der Band gar nicht so ernst gemeint, plötzlich waren sie Stars. Als MGMT ihre auf Anhieb ausverkauften Tourneen spielten, nervte es sie dann extrem, dass die Hallen nur die zwei Hits hören wollten. Über kurz oder lang verbannten sie „Kids“ und „Time To Pretend“ aus ihrem Set.
Auf ihren zwei folgenden Alben „Congratulations“ und „MGMT“ verweigerten sich die zwei ähnlicher Pop-Sounds. Ein Mix aus obskurem LoFi-80s-Indie und fragmentarischer Sixties-Psychedelia war jetzt ihr Ding. Das ganze klang, als wollten sie ihr „Kids“-Publikum foppen. Es war nicht mal gut. Wer sich vorher auch nur ein kleines Bisschen um Psychedelia-Pop gekümmert hat, der erkannte, wie gewollt, gestellt und hochnäsig diese zwei Platten waren. Der wusste, dass MGMT in dm Sound, in dem sie sich jetzt bewegten, bestenfalls Drittligisten waren. Dass Bands wie The Olivia Tremor Control oder Connan Mockasin, das, als was MGMT jetzt in Fasching gingen, schon ewig personifizierten.
Ich habe mich richtig geärgert über die Platten. Noch mehr ärgerte ich mich über eine bestimmte Gruppe Menschen: Und zwar die Leute, die MGMT aufgrund ihrer blöden sperrigen Platten zu waldschratigen Genies erklärten. Zu radikalen Konsumverweigerern, die sich trauten, ihrer irren Muse zu folgen. So: „Boah, diese MGMT, die sind so krass, die fahren absichtlich ihre Karriere an die Wand, weil sie so konsequente Künstler sind!“ Aber tja, diese fröhlich die eigene Karriere sabotierende Haltung fällt eben leicht, wenn man von den Eltern aufs Wesleyan geschickt wurde. Wenn man bei Misserfolg nicht am Hungertuch nagt, sondern schlimmstenfalls in ein Bett aus Pfauenfedern fällt. Es ist nicht vergleichbar mit dem, was eine wirklich vom Sound getriebene Psychedelic-Band macht, die von der Hand in den Mund lebt, um ihrer Musik zu folgen. Wenn man aber Pop eh nur als folly betreibt, dann kann man sich schnell mal selbstgerecht für jemand halten, der sich zu gut ist, um in seiner Kunst auf solche Sachen wie Verständlichkeit und Zugänglichkeit Wert legen zu müssen. Ihr merkt schon: Ich fand MGMTs Einstellung beleidigend snobistisch.
So, ist die Ausgangsposition geklärt? Ich halte Goldwasser und van Wyngarden also für affige, verzogene Gecken, die bis zu den Schultern in ihren eigenen Popos stecken und deren absichtlich erfolglose Platten 2 und 3 nur irregeführten Idioten gefallen können, die keine Ahnung haben, wovon sie sprechen, aber sich doll wünschen, dass man sie für schlau hält. Na, da konnte ja nichts mehr schiefgehen, als MGMT letzten Dezember das Video zu „Little Dark Age“ teilten, oder?
Tja. Und nach der ewigen voraus geschickten Tirade jetzt die genauso große Überraschung: Ich fand’s super!
Doch, echt. „Little Dark Age“ ist eine irre 80s-Synthiepop-Nummer mit schnittig kühldunklem Gary Numan-Feel und – zumindest in der Strophe – sehr unorthodoxer Akkord- und Melodieführung. MGMT haben sich zurück zum Pop bewegt, aber sie lassen Platz für Quirks und Fragezeichen. Es ist ein Hit. Es ist griffig. Es ist packend – und dennoch nicht offensichtlich. Es ist haargenau das, was ich mag. Was ich mir von Pop / Indie wünsche.
Es ist ein Sound und eine Taktik, die die zwei auf dem Album durchziehen. Die zweite Single „When You Die“ ist eine genauso unverschämt poppige Nummer und damit die Art Song, über die MGMT auf den letzten zwei Platten noch komplett die Nase gerümpft hätten. Klar, völlig straight fahren sie das nicht. Auf den Song haben sie spleenige Elemente aufgeklebt, durch die das Ganze immer etwas sonderbar bleibt: Tremolo-Effekte bringen die Melodien von Keyboard und Gitarre zum leichten Leiern. Das Ergebnis klingt einerseits irgendwie japanisch, andererseits leicht betrunken. Cool.
In dem Song steckt auch diese Textzeile: „I’ll be laughing with you when you die“. Andrew van Wyngarden hat dieser Zeile im Interview mit dem Guardian besondere Bedeutung zugemessen. Er gibt quasi zu: MGMT haben ihr Publikum zuletzt oft ausgelacht. Jetzt aber ist es anders. Sie lachen mit dem Publikum.
Was das bedeutet, kann man vielleicht an „Me And Michael“ festmachen. Eine NOCH poppigere Nummer als die ersten zwei Singles. Es ist ein Crowdpleaser, der auf den Konzerten die Hallen zum Beben bringen wird. Aber diesmal hat man das Gefühl: Diesmal kommen MGMT den Konzertgängern mit diesem Song entgegen. Sie werden sich nicht wieder von dem Song distanzieren wie von „Kids“. Auch wenn sie ein super-ironisches, albernes Video zum Lied gedreht haben, das andeutet: Irgendwie ist ihnen ihre Rückkehr zur ins Radioprogramm doch noch nicht so ganz geheuer.
Nicht jeder Song auf dem Album geht den Weg so weit und so erfolgreich wie die drei genannten Singles. Trotzdem ist eine Sache klar: Irgendetwas hat MGMT sind von der Illusion kuriert, wonach werthaltige Kunst unbedingt unzugänglichere Kunst sein muss. Zyniker würden vermuten, dass vielleicht doch ein wenig Asche in die Bandkasse muss? Aber wie oben gesagt, die zwei sollten eigentlich auf Rosen gebettet sein, so oder so.
Was natürlich grundsätzlich schon keine verkehrte Ausgangsposition ist. Wer sich nie materielle Sorgen machen muss, kann seine Kunst ganz frei vom Gesichtspunkt der Vermarktbarkeit machen. Trotzdem: Schräges Zeug, das keiner anhören will, kann jeder. Schräges Zeug, das einen trotzdem packt? Das ist doch viel kniffliger, oder?
Auf „Little Dark Age“ haben MGMT einige Popmonster geschaffen, die über den Indie-Dancefloor herrschen, sich aber gleichzeitig durch abseitige Ideen, unerwartete Sounds, Witz und Cleverness auszeichnen. Ich bin extrem positiv erstaunt. Also gut: Ich lasse mich sogar breitschlagen, meine Meinung über MGMT zu revidieren: Diese zwei reichen Schnösel, die ich als verhätschelte, selbstverliebte, gestelzte Wichtigtuer abgehakt hatte – sie zeigen mir hier, dass sie sehr wohl was drauf haben.