Ich habe mich hier auf dem Blog schon mal darüber beschwert, dass es für das wunderbare englische Wort „unhinged“ keine wirklich ideale deutsche Übersetzung gibt. Denn „hinge“ ist bekanntlich das Scharnier bzw. Gelenk. „Unhinged“ wären also z.B. Türen oder Fenster, die nur noch lose in der Angel schwingen oder sogar völlig aus der Verankerung gefallen sind. Oder ein ausgekugelter Arm. Man könnte auf deutsch vielleicht „freischwingend“ sagen… aber wann verwendet man schon mal das Wort „freischwingend“?
Was hat das mit Kyle Craft zu tun? Nun, der US-Songwriter schreibt Lieder, die genau das sind: „unhinged“. Einerseits haben die Songs eine klassische 70s-Anmutung, andererseits sind sie irgendwie losgelöst, von der Leine gelassen, nicht ins Raster einzupassen. Kyle sagt das Wort „unhinged“ selbst mehrfach in unserem Gespräch – ich hatte den guten Mann anlässlich der Veröffentlichung seines zweiten Albums „Full Circle Nightmare“ nämlich am Telefon.
Im Text übersetze ich „unhinged“ dann zähneknirschend mal mit „freigeistig“, mal mit „losgelöst“. Ihr merkt’s dann schon, wenn ihr an der Stelle ankommt.
Helloooo?
Hallo, Henning hier, vom piranha Magazin aus München, Deutschland.
Hey hey!
Ich spreche mit Kyle, richtig?
Das stimmt!
Perfekt! Na, wie läuft’s?
Ziemlich gut. Ich arbeite gerade auf einer Farm.
Auf einer FARM?
Genau, ja.
Was machst du DA denn?
Ach, du weisst schon. Es ist eine von diesen kalifornischen Farms.
In der Tat weiss ich nicht, was „eine von diesen kalifornischen Farms“ bedeutet.
Na, da werde ich deiner Fantasie freien Lauf lassen, haha!
Und da arbeitest du, obwohl deine Platte bald erscheint? Ist das zur Zeit so etwas wie dein Tagesjob?
Ach, es ist … in gewisser Weise ja. Ich mach das einfach manchmal, wenn ich ein bisschen Zeit habe. So ein bisschen was nebenbei verdienen.
Ein bisschen körperliche Arbeit, denn die Kopfarbeit machst du mit der Kunst in deinem anderen Job.
So ziemlich, ja.
Ich dachte ja, ich erwische dich in Portland. Ich dachte, das sei, wo du wohnst.
Das tue ich auch. Ich werde in ein paar Tagen wieder dorthin zurück kehren.
So, dein zweites Album kommt.
Genau, ja.
Ich mochte ja schon dein Debüt sehr gerne, aber das kam für mich wie aus dem Nichts. Deine erste Band hat es glaube ich nie bis nach Europa geschafft, oder?
Nein, ich bin tatsächlich noch nie in Europa gewesen.
Na, dann wird’s aber Zeit!
Ich weiss!
Jedenfalls, auf einmal landete dein erstes Album auf meinem Schreibtisch, natürlich habe ich gleich mal reingehört wegen des SUB POP Logos auf der CD und die Platte hat mir super gefallen. Aber ich hatte noch nirgends etwas von dir gelesen. Das heisst, du musst mir jetzt ganz viel von dir erzählen.
Oha. Also, Louisiana. Ich stamme eigentlich aus Louisiana. Sag mir übrigens bitte, wenn der Empfang schlecht wird, ja? Das passiert hier immer, ich bin hier mitten im Nirgendwo.
Also, ich bin aufgewachsen in einer kleinen Stadt in Louisiana, mit ungefähr 4.000 Einwohnern. Die Stadt liegt direkt am Mississippi. Nicht direkt am Delta, ein gutes Stück flussaufwärts. Später bin ich dann eine Zeitlang nach Austin, Texas gezogen. So ein Jahr etwa. Dann habe ich mal hier, mal da gewohnt, bis ich nach Portland gezogen bin, um diese erste Platte zu machen. Die Sub Pop dann veröffentlicht hat.
Davor habe ich so do-it-yourself-mäßig die Tourneen meiner damaligen Band selbst gebucht. Gleich die erste war schon ziemlich ambitioniert. Die hat uns gleich bis nach Seattle geführt. Naja, und weil wir schon in der Stadt waren, hat meine damalige Freundin – sie war auch in meiner Band – mich überzeugt, dass ich doch ein Demo bei Sub Pop vorbei bringen sollte. Ich war da eigentlich sehr zögerlich. Aber wir sind dann zum Label gefahren. Wir haben uns regelrecht in die Büros geschlichen und haben das Demo persönlich abgeliefert. Ein paar Monate später haben sie mich tatsächlich angerufen. Sie haben von dem Material damals nichts veröffentlicht, aber wir blieben in Kontakt und wir bauten sowas wie eine persönliche Beziehung auf. Tja, und als ich dann mit meinem Solomaterial angefangen hatte, entschieden sie sich, es zu veröffentlichen. Die Platte damals, „Dolls of Highland“, die habe ich in Shreveport aufgenommen. Bei einem Kumpel, in dessen Waschküche, auf meinem Laptop. Tja, und dann zog ich zurück nach Portland und stellte mir eine Band zusammen.
Dass du die erste Platte auf dem Laptop aufgenommen hast, hatte ich gelesen. Und ich war erstaunt, weil man Laptops ja normalerweise mit elektronischer Musik verbindet. Dein handgemachter Sound mit viel Klavier… naja, man denkt einfach automatisch, der muss live im Studio von mehreren Leuten gespielt worden sein.
Das stimmt wohl, die Musik hat nicht unbedingt ein elektronisches Element. Naja, ich wollte mich lieber auf das beschränken, was ich kann und es möglichst so real wie möglich belassen. Womit ich nicht sagen will, dass elektronische Musik keine reale Musik ist. Ich mag halt nur lieber echte Drums und mit der Hand gespielte Instrumente.
Hier in Europa haben wir ein möglicherweise verzerrtes Klischee-Bild von den Staaten, in dem Louisiana und Portland so ziemlich den krassesten Kontrast darstellen. Louisiana ist demnach ein schwüler, sumpfiger Ort, wo die Leute sehr religiös sind und Opossums fangen und grillen…
Hanahaha!
Portland dagegen kennen wir von „Portlandia“ als dieses fortschrittliche, liberale Utopia.
Und es ist wirklich so! Die zwei sind Orte wirklich das komplette Gegenteil voneinander, unterschiedlicher könnte es innerhalb der USA nicht sein. Aber schon als ich groß geworden bin, da fühlte ich mich immer, als wäre ich irgendwie anders. Ich habe zu vielen Dingen, die man im Süden sehr wichtig nimmt, einfach keinen Zugang gefunden. Also, ja. Die West Coast, das ist schon sehr viel eher mein Menschenschlag.
Fehlt dir denn etwas von Louisiana in Portland? Denn in deinen Songs kommen viele Referenzen an den Süden vor. In Songtiteln wie „Bridge City Rose“ – ich schätze mal, das Lied geht um eine Lady zu Hause in Bridge City?
Aber Bridge City, das ist Portland. Man nennt Portland die Stadt der Brücken.
Ach guck. Ich habe „Bridge City“ nämlich gegooglet, und in Louisiana wurde eine angezeigt.
Die Stadt gibt es auch tatsächlich. Und es gibt auch eine sehr große Brücke über den Mississippi in meiner Geburtsstadt. Auf die andere Seite nach Natchez. Natchez ist eine berühmte historische Stadt des Blues am Highway 61.

Du hast auch einen Song namens „Delta Queen“. Auch das könnte eine Lady aus dem Süden sein. Aber auch ein Schaufelraddampfer. Sehr mississippi-esk jedenfalls.
Ja, der Song – der bezieht sich in der Tat auf beides. Auf das Boot und auf eine Person. Auch die Delta Queen macht regelmäßig Station bei meiner Heimatstadt. Dann macht sie Halt an der Anlegestelle in Natchez, gleich bei dieser Bar an der Silver Street, in die ich immer gehe, wenn ich mal zu Hause bin.
Das wollte ich fragen: Ob du wohl oft nach Hause fährst. Denn die Songs deuten an, dass deine Gedanken oft zurück in Louisiana sind.
Ja, das ist schon so. Ich habe da natürlich auch meine persönliche Geschichte. Ich habe auch viel erlebt in New Orleans und in Shreveport. Meine Heimatstadt ist so ca am anderen Ende des Bundesstaats von New Orleans weg gelegen. Naja, es gibt eine Menge lustiger Tragödien, die mir passiert sind in New Orleans. In Shreveport auch. Meine Heimatstadt – naja, wenn meine Familie nicht dort leben würde, würde ich nicht mehr zurück kehren.
Das kann ich aber nachvollziehen, glaube ich. Ich komme aus einem Örtchen am Alpenrand, an der deutschen Grenze zu Österreich. Ich wollte als Jugendlicher nur raus aus der Kleinstadt. Jahrelang musste man mich regelrecht zwingen, zurück zu fahren. Jetzt aber bin ich wieder richtig gerne da.
Verstehe.
Womit ich sagen will: Mit ein bisschen Abstand und wenn man ein paar Jahre älter ist, lernt man vielleicht, doch ein paar Dinge an der Heimat zu schätzen.
Vielleicht, kann sein. Also, da wo ich aufgewachsen bin – auf der anderen Mississippi-Seite von Natchez – da gibt es eigentlich nur Mais und Baumwolle. Alles, was man mit dem Süden der USA verbindet, ist dort noch sehr präsent.
Flaggen der Konföderierten in den Gärten…
Ja, auch die gibt’s dort zu sehen, keine Frage. Traurig, aber wahr.
Aber zu deiner Musik – ich finde, sie ist sehr speziell, und sie erinnert mich an so viele verschiedene Dinge. Um ein Beispiel zu nennen: Elton John zu „Crocodile Rock“-Ära, aber irgendwie mit Southern Gothic-Sumpf-Feeling…
Das ist der erste Song, den ich je auf dem Klavier gelernt habe! Als ich klein war, Crocodile Rock!
Wow! Unabsichtlich voll ins Schwarze getroffen!
Echt gut, Mann! Den Song habe ich geliebt!
Ich habe noch einen Vergleich: Harry Nilsson meets Beetlejuice.
Hahahaha, das ist super, das habe ich noch nicht gehört. Nehme ich!
Was ich spannend finde, ist dass man deine Musik nicht wirklich in eine bestimmte Ära einordnen kann.
Weil mich auch nur älteres Zeug inspiriert. Ich muss ganz ehrlich sagen, bei neuerer Musik gibt es einfach nichts, das mich so packt. Dafür liebe ich einfach diese Ära von Bob Dylan und den Stones, als die Musik einfach freigeistiger war. Auch auf John Lennons Soloplatten gibt es irre losgelöstes Zeug. Was ich aber genauso gerne mag, sind bewusst aufgebaute Songs: The Beatles, Harry Nilsson, The Beach Boys – Musik mit Glöckchen und Pfeifen, nicht nur der straighte „Sticky Fingers“-Rock’n’Roll. Oder Dylans „Blonde On Blonde“, solches Zeug liebe ich!
Ich glaube aber, dass noch irgendwas on top dabei sein muss, was deinen Sound im Speziellen auszeichnet. Könnte das was aus Louisiana sein? Ein Cajun-Einfluss vielleicht? Was hast du denn zum Beispiel als Kind gehört, in Louisiana?
Ach, also ich glaube eigentlich nicht, dass ein Cajun-Element in meiner Musik ist. Wobei, auf dem kommenden Album, der Song „Bridge City Rose“. Der hat vielleicht doch etwas von einem Leon Russell-Cajun Lovesong. Das wollte ich auch durchaus erzielen, deswegen sind die Harmonica und die Violine darauf zu hören.
Da muss ich das her haben. Das ist ja auch ein Walzer, richtig?
Ja, genau, der einzige Walzer auf der Platte. Ich denke auch, dass ich diesen gewissen „Twang“ nie ablegen werde. Ich glaube, das ist das richtige Wort dafür: Twang. Also nicht gleich Country, aber halt Twang. Auf der letzten Platte „Dolls of Highland“ hatte ich einen Song mit leichtem Country-Einschlag, „Future Midcity Massacre“. Das ist wahrscheinlich das Lied von mir, das am meisten nach Country klingt. Ich glaube aber nicht, dass ich das in Zukunft unbedingt vertiefen werde. Im Moment interessiert mich echt am meisten dieser losgelöste Rock’n’Roll.
Der Unterschied zwischen dem letzten Album und dem neuen ist, zumindest wenn man der Presseinfo vom Label Glauben schenkt, „gedankliche Klarheit“. Bedeutet das, bei der letzten Platte warst du sozusagen verwirrt?
Doch, durchaus ja. Mein Leben hatte damals eine Wendung genommen. Es hatte eine Wendung genommen, von der ich jetzt nicht sagen würde, dass sie zum Guten oder Schlechten war. Aber es war eine Wendung, die für mich sehr bedeutsam war. Ich hatte einige Dinge verloren. Aber ich war selbst schuld, das passierte alles aus meiner eigenen Selbsttäuschung heraus… und weil ich launisch war. Aus Launen der Jugend, so würde ich das im Nachhinein bezeichnen. So habe ich damals einfach gelebt. Ich hatte nicht mehr viel, ich war ziemlich ziellos. Und das hatte sicher seinen Anteil daran, dass ich mich in einer so sonderbaren Situation wiederfand. Ich war auch völlig ohne Plan, wie ich weitermachen wollte. Aber dieser Zustand war der, aus dem heraus „Dolls of Highland“ entstand. Deswegen habe ich damals auch den Song „Eye Of The Hurricane“ an den Anfang des Albums gesetzt. Wegen der Zeile „Nothing’s gonna carry you to get where the wind blows“. Denn so habe ich damals mein Leben gelebt. So eine „wo immer mich der Wind hin trägt“-Einstellung. So kann ich heute aber einfach nicht mehr leben.
Du hast jetzt einen Ankerplatz in Portland.
Doch, ja. Wobei, nicht unbedingt verankert. Ich denke heute einfach mehr mit, hoffe ich. Außerdem, die Lieder von „Doll of Highland“, die sind ja alle mehrere Jahr alt. Ich hoffe, dass ich als Schreiber, als Texter… ich sehe meinen Schwerpunkt in den Texten, das war von Anfang an so und so werde ich bleiben, weil es mir einfach so wichtig ist. Da steckt mein Herz drin, in den Lyrics, weil ich einfach so ein Dylan-Junkie bin, speziell die Phase von 65 bis 67 liebe ich so sehr – deswegen also liegen mir die Texte mehr am Herzen als alles andere. Und ich glaube, da bin ich heute um Welten besser. Zumindest was es angeht, das, was ich rüberbringen will, auch rüber zu bringen.
Fängst du beim Songwriting dann mit dem Text zuerst an?
Nein, ich starte immer mit einer Melodie. Immer. Manchmal geht das dann Hand in Hand. Ich mag es, wenn das passiert. Die Melodien sind immer das, was mir leichter fällt. Bei der Melodie ist es oft so, als wäre sie sowieso schon da. Um aber an die Texte ran zu kommen – da muss man mit seinen Geistern ins Gespräch kommen, verstehst du?
Auf welchem Instrument beginnst du dann? Ich rate mal: Das Klavier.
Nein – die meisten beginne ich auf der Gitarre. Auf dem Klavier habe ich nur sehr wenige geschrieben. 90%, würde ich sagen, kommen von der Gitarre. Was aber wahrscheinlich vor allem daran liegt, dass man sie leichter tragen kann. Die Gitarre kann ich überall in die Hand nehmen.
Okay. Zwischen den beiden Alben hast du auch eine Single aufgenommen namens „Before The Wall“. Leider hat sie die Wahl von Donald Trump nicht verhindert. Aber das Lied war ein klassischer Protestsong, wie Arlo Guthrie ihn geschrieben haben könnte. War das so eine Art Fingerübung? Sich mal der klassischen Kunstform Protestsong zu widmen?
Genau, ja. Ich habe das Lied geschrieben, gleich nachdem ich zum ersten mal auf dem Newport Folk Festival gespielt habe. Diese Show hat mich inspiriert, das mal zu machen. Das Newport Folk Festival in Rhode Island ist ja ein traditioneller Klassiker in dem Genre. Da hat schon Bob Dylan gespielt. Da spielte er auch seine berühmte erste Show mit E-Gitarre.
Ach, war das die Show, bei der das Publikum wütend „Judas!“ rief?
Nein, das war eine andere. Aber ich glaube, das Publikum damals stand der Sache genauso ablehnend gegenüber. Naja, ich habe da also gespielt und ich hatte ein paar interessante Gespräche geführt. Mir ging’s damals so, dass ich keinen echten Glauben an Protest-Musik hatte. Ich meine, ich versuche ja überhaupt nicht, wie Bob Dylan zu klingen. Dylan hat es immer geschafft, Dinge so zu beschreiben, dass ich die Sache mit ihm mitgefühlt habe. Trotzdem fand ich, ein Song kann nicht wirklich etwas verändern. Naja, ich hatte dieses Gespräch mit dem Journalisten Bob Boilen vom Sender NPR. Ich fragte ihn: „Glaubst du, dass in Zeiten wie den unsrigen, in dieser Post-Haha-Ära, wo alles lustig sein muss, damit jemand zuhört – glaubst du, dass es da überhaupt noch Platz ist für Protestsongs?“ Und er sagte: „Ich denke schon, ich glaube sogar: Eine gemeinsame Hymne könnte das sein, was die Leute benötigen.“ Und danach sagte ich zu mir: „Hmm. Vielleicht probiere ich das selbst.“ Und dann habe ich den Song geschrieben. Ob ich jemals noch mal so schreiben werde, weiss ich nicht.
Aber ich wusste es gleich. Ich weiss noch, wie ich mich mit Freunden unterhalten habe – sobald Donald Trump seine Kandidatur verkündet hatte, habe ich gesagt: „Das ist unser nächster Präsident, genau der.“ Meine Freunde in Portland haben mich ausgelacht. Fast das ganze Land hat ihn ausgelacht und gedacht, das ist ein Witz. Ist es ja auch. Es ist voll der Witz! Aber deswegen machte es so viel Sinn. Und ich als jemand aus Louisiana, der weiss, wie die Leute dort ticken, der den Süden so gut kennt, ich wusste sofort: Fast das ganze ländliche Amerika ist genauso drauf. Es sind die Städte, wo die Leute anders denken. Man muss ja nur die Karten anschauen, wie sich die Stimmen verteilen, dann ist es ganz offensichtlich. Ich wusste, der gewinnt. Er war einfach zu perfekt, diese schräge Karikatur von einem Fernsehstar, um nicht gewählt zu werden. Denn das macht so viel aus: Etwas Irres zu sein. Donald Trump ist wie ein Shockrocker der Politik. Das ist so traurig, echt traurig. Er ist wie ein GG Allin der Politik. Er macht die hanebüchensten Dinge, und keiner kann wegschauen. Noch trauriger: Viele von denen, die ihn wählten – nicht alle, aber viele – greifen sich heute an den Kopf und sagen: „Oh Mann, was haben wir getan?“
Hast du die jüngeren South Park Folgen gesehen?
South Park? Da stehe ich total drauf! Hier auf der Farm habe ich nicht alle neuen Folgen sehen können, aber ich LIEBE die neue Richtung, die sie eingeschlagen haben.
In den neuen Folgen hat Cartman ja eine Freundin, Heidi.
Ja, genau!
Und es gab diese eine Folge „Doubling Down“. Die anderen Mädchen haben Heidi bedrängt, dass sie Cartman endlich verlassen sollte – was sie eh längst vorhatte. Als sie dann getrennt waren, haben all die anderen Mädchen eine Party geschmissen und sich so krass darüber lustig gemacht, dass sie überhaupt je mit Cartman zusammen war, dass es für Heidi weniger peinlich war, zu ihm zurück zu kehren und so zu tun, als wäre es ihre Entscheidung. Was natürlich eine Analogie zu den Trump-Wählern und seinen Gegnern war war. Sich jetzt von Trump abzuwenden, hieße einzugestehen, dass man sich die ganze Zeit komplett zum Narren halten ließ.
Das stimmt total. Was ich am aller krassesten dabei finde, ist dass die Mehrheit der Leute, die ihn wählten, sich als gläubige Christen definiert. Dabei ist dieser Typ das Musterbeispiel für das Gegenteil von allem, wofür die Botschaft vom Christentum angeblich steht. Er ist so offensichtlich das Gegenteil, dass mir der Schädel platzt.
Mich erstaunt immer wieder, wie unverschämt er einfach lügt. Am gleichen Tag, an dem ausgerechnet wurde, dass er mit dem neuen Steuermodell über eine Milliarde Dollar spart, stellt er sich vor ein Publikum und belügt sie „Oh, ich verliere sogar Geld! Alle meine reichen Freunde sind sauer auf mich!“… aber wir wollen hier ja über deine Musik reden.
Aber das ist die Sache: Egal mit wem man spricht, es ist schwer, nicht auf das Thema Trump zu kommen. Weil’s so fürchterlich ist.
Ich steuere jetzt trotzdem das Gespräch mit voller Kraft zurück zur Musik.
Alles klar!
Wer ist das „Fever Dream Girl“, ist sie eine reale Person?
Aber natürlich. Ich kann hier jetzt wohl keine Namen nennen. Naja, diese kommende Platte, „Full Circle Nightmare“, das ist quasi meine Abrechnung mit mir selbst. Meine Aufarbeitung der Zeit, in der ich so launisch und sprunghaft war. Ich habe mir damals so viel vorgemacht. Und der gesamte „Fever Dream“ Song ist eine Frage. Eine Frage an mich, wer ich dachte, dass diese Person sei, was ich mir ausgemalt habe, was sie für mich sein könnte. Aber am Ende des Tages ist sie einfach nur SIE – und das hatte mit mir nie etwas zu tun. Der Song geht auch direkt in den nächsten Song über, „Full Circle Nightmare“, das ist so beabsichtigt. Ich weiß im Jahr 2017 bzw 2018, wenn die Platte erscheint, da hören die Leute nicht mehr unbedingt ganze Alben. So habe ich es aber geschrieben. Für mich ist das quasi ein Song mit zwei Teilen.
Jetzt habe ich eine Frage, die auch aus einem Teenie-Magazin kommen könnte. Denn ich will nach deinem Haar fragen. Auf dem letzten Albumcover und auf den Bildern warst du blond. Dieses Mal hast du schwarze Haare. Es ist ja so: Wenn Mädchen das tun, dann steckt oft etwas dahinter. So nach dem Motto: Eine lange Beziehung ging vorbei, jetzt schneide ich mir die Haare, denn dass ich jetzt eine andere Person bin, muss man auch sehen. Steckt so etwas dahinter? Oder war’s einfach nur: Ich probiere mal schwarz aus!
Hihihi. Also, ich wollte das immer mal ausprobieren. Ich bin naturblond, so blond wie ein kalifornisches Mädchen. Es ist schon ein echter Witz, wie blond ich bin. Ich habe mir die Haare tatsächlich gefärbt, nachdem Trump gewählt wurde.
Ach echt!
So war’s. Ich hatte schon länger darüber nachgedacht, und eines Tages ging ich die Straße lang und ich kriegte mit, wie eine Gruppe Leute über Trump redete. Und ich hörte, wie sie sagten: „Ach, da läuft ja einer von denen!“ So blond, wie ich war, dachten die, ich sei ein Trump-Wähler. Das war der Punkt, wo ich sagte „Um Himmels Willen, jetzt kann ich nicht mehr blond sein. Mindestens für die nächsten vier Jahre!“ Naja, wie gesagt, ich hatte das länger schon machen wollen. Das war dann nur der finale Auslöser.
Jetzt zu deiner früheren Band Gashcat. Im Internet ist gar nicht so viel von ihnen zu finden. Was in Zeiten, wo man alles googlen kann, selten ist. Aber bei Sturgill Simpson ist es auch so: Der hatte eine frühere Band namens Sunday Valley. Jetzt sagen ihm alle Leute „Bitte bring doch die alten Sunday Valley Platten wieder neu raus!“, aber er hält das unter Verschluss. Er sagt: „Das hat mit meinem heutigen Ich nichts zu tun, und ich will gar nicht, dass die Welt das hört.“ Na, da fragte ich mich, ob du über Gashcat ähnlich denkst.
Ja, das kommt hin. Das ist mehrere Jahre her. Ich war so jung, ich hatte Probleme mit mir selbst. Das alles steht für eine Zeit und eine Version von mir, in der ich mich nicht mehr wieder erkenne. Ich kann’s dir gar nicht sagen, wie… naja, es war nicht so, dass es keine gute Zeit war. Es hat Spaß gemacht, mit den Freunden von damals, so lange es lief. Aber für mich ist das einfach Schnee von gestern. Es fühlt sich an, als wäre das nicht mal ich gewesen. Nach der Trennung von Gashcat habe ich so viel verändert, dass ich echt das Gefühl habe, nicht mehr die gleiche Person zu sein. Ich bin ganz anders, ich denke ganz anders. Ja, ich habe wirklich versucht, das Ganze zu begraben. Und ich habe das größtenteils auch ganz gut geschafft. Nicht viele Leute wissen, dass es die Band je gab. Heute ist es mir ziemlich egal. Und wenn man mich heute fragen würde, das Ganze zu loben oder zu kritisieren, dann muss ich sagen: Das ist weit weg, ich habe einfach nichts mehr damit zu tun.
Ich habe meine halbe Stunde schon überzogen. Zwei Fragen habe ich aber noch, okay?
Geht klar.
Die erste ist eine ganz grundsätzliche Frage, nämlich: Was macht einen guten Song aus?
Oh, das ist für jeden so verschieden! Für mich ist es: Gute, lebhafte Lyrik, so menschlich rüber gebracht wie möglich. Das Menschliche, das muss man hören. Und wenn ich lebhafte Lyrik sage, dann meine ich etwas, das außerhalb der Zeit und des Raumes dieses Songs existiert. Womit ich sagen will: Vorhin sagte ich ja schon, die Melodien sind manchmal schon vorher da. Bei den Texten ist das so ähnlich, aber nicht ganz, Sie existieren noch nicht so geschrieben auf der Seite. Die muss man herausziehen, aus der Luft. Ich finde immer, man erkennt sofort, ob jemand das mit viel Aufmerksamkeit und Liebe macht.
Okay, und meine letzte Frage ist immer die nach einer Anekdote. da frage ich immer: Was war deine bisher verrückteste Show. Kommt dir da spontan eine in den Sinn?
Hmm, also die krasseste Show, die ich je gespielt habe, das war, als ich letztes Jahr als Support mit den Drive-By Truckers unterwegs war. Da kommen wir mal wieder aufs Thema Trump zurück. Am Tag nach der Wahl spielten wir in Philadelphia und im Publikum gab es zwar ein paar Leute, die happy waren über Trumps Sieg, aber das waren nicht viele. Naja, ich habe auf der Bühne eine ziemlich heftige Ansage gemacht zu dem Thema und meine Meinung dazu gesagt – und dann spielte ich „Before The Wall“. Und ich erinnere mich, dass es laute Buhs und Geschrei gab – ganz deutlich hörte ich ein „The bitch lost!“ – und ich dachte: Um Himmels willen, ich werde gleich mit Flaschen beworfen. Das war heftig. Das war eine heftige Show. Man konnte die Spannung im Saal greifen. Das war auf jeden Fall meine härteste Show.
Alles klar, vielen Dank für deine Zeit und viel Erfolg mit deiner Platte! Ich sagte ja schon, mir gefällt das, was du machst! Ich mag, dass man es zeitlich nicht wirklich einordnen kann. Ich stelle mir immer vor, dass du in einem verruchten Saloon spielst.
Haha! Ja, das tue ich manchmal.
Ich hoffe, dass du damit bald mal nach Europa kommen kannst?
Das werde ich, das garantiere ich dir!
Dann noch einen schönen Tag in Kalifornien!
Alright, Man. War mir ein Vergnügen, mit dir zu sprechen!
Danke, ganz meinerseits! Bye!
Bye!