Interview: Tyler Childers

Wir schreiben gerade mal das erste Wochenende von 2018 und das erste Mega-Album des Jahres ist bereits erschienen. Okay, in den Staaten steht „Purgatory“ von Tyler Childers schon seit August in den Läden. Sonderbar eigentlich, dass es in Zeiten des Internet immer noch verschiedene Release-Dates gibt. Aber egal – Hauptsache, das Ding ist seit Freitag auch in Deutschland erhältlich.

Denn „Purgatory“ ist in den USA die Sensation der Saison in Sachen Alternative Country schlechthin. Sturgill Simpson himself hat Hand angelegt, ebenso Johhny Cash-Producer David Ferguson. Aber diese Namen sollen nicht das Licht von dem Mann in den Schatten stellen, der diese Songs schrieb und singt: Tyler Childers, 26-jähriger Rotschopf aus Kentucky. Ein freundlicher, nachdenklicher Typ. Und falls sich jemand auf diesen Blog verirrt hat, der immer noch glaubt, Country-Sänger seien geistig Schmalspur fahrende Provinz-Dödel, dann lege ich demjenigen das folgende Interview umso mehr ans Herz.

Hallo, Henning hier fürs Classic Rock Magazin, Deutschland. Spreche ich mit Tyler?

Ja, Tyler hier. Sorry für die Verspätung! Aber da, wo ich wohne, habe ich so schlechten Empfang. Jetzt musste ich erst mal in die Stadt rein und dabei habe ich mich verspätet.

Hey, mach dir keine Gedanken! Überhaupt kein Problem.

Ach… wie läuft’s bei dir?

Danke, gut. Hier in München hatten wir einen schönen Tag. Bei mir lief’s gut. Wie ist dein Tag? Wo genau erreiche ich dich?

Ich bin daheim, in Irvine, Kentucky. Eigentlich sollte ich heute einen gechillten freien Tag haben. Dann kam aber ein Fotograf, der Bilder machen wollte für einen Artikel, der hier in den States erscheinen soll. Naja, ich bin also den Tag bisher durch die Stadt gelaufen und habe mich fotografieren lassen. Und naja, wenn ich eine Top Ten mit meinen Lieblingsbeschäftigungen machen würde – Fotos machen ist nicht dabei, haha.

Und dann ruft auch noch der Typ aus Deutschland an! Aber das passiert nun mal, wenn man eine Platte aufnimmt, die den Leuten so gut gefällt!

Hey Mann, aber labern, das geht. Reden kann ich wie eine Eins. Reden kann ich den ganzen Tag.

Alright! Also, wie gesagt, deine Platte startet ganz schön durch. Nicht nur, dass du beste Kritiken eingeheimst hast und in der Americana-Szene enorme Resonanz erntest – sogar in den „richtigen“ Billboard-Charts ist die Platte eingestiegen. Ich meine, den Buzz um die Platte habe ich mitbekommen, aber dass sich das so schnell auch in Verkäufe überträgt, das hat mich überrascht. Wie hast du das erlebt, als du dich in den Charts sahst?  

Also, das war schon ein surreales Gefühl. Eines Tages wachst du auf und findest dich im Studio wieder, mit einer All-Star-Besetzung – am nächsten Tag erscheint das alles und plötzlich kriegst du all die Aufmerksamkeit, gute Positionen in den Charts… und man kriegt mit, dass es den Leuten gefällt. Das freut mich natürlich, denn ich bin schon ganz schön stolz auf das, was wir da gemacht haben. Entsprechend froh bin ich, dass es von den Leuten auch so angenommen wird.

Deine erste Platte hast du dabei schon mit 19 gemacht. Dann hast du dir sechs Jahre Zeit gelassen mit der zweiten. War das sozusagen Absicht, wolltest du deine Kunst erst mal perfektionieren?

Also, sagen wir’s so – es war ja nicht so, dass ich es nicht versucht hätte. Ich war bei der ersten Platte sogar erst 18, ich kam ziemlich frisch aus der High School. Damals war meine Einstellung so: „Naja, ich habe diese Songs geschrieben, also will ich sie auf irgendetwas veröffentlichen, so dass die Leute es sich zuhause anhören können“. Gedanken darüber, wie das Ganze vom Sound her rüber kommt, habe ich mir da noch gar nicht gemacht. Aber ein Album ist wie eine Pistolenkugel: Wenn die abgeschossen ist, kann man sie nicht mehr zurück rufen. Tja, das habe ich dabei gelernt. Denn wenn ich damals geahnt hätte, dass die Platte ein paar Jahre später noch Leute interessiert, dann hätte ich eine Menge anders gemacht und so einige Dinge korrigiert. Naja, nachdem ich diese Lektion gelernt hatte, ging ich mit 23 wieder ins Studio. Ich bin jetzt 26, also war das vor drei Jahren. Das zog sich dann ganz schön lange hin – aber als ich fertig war, war ich immer noch nicht zufrieden. Ich hatte nicht das Ergebnis, das ich mir vorgestellt hatte. Also bin ich noch mal ins Studio und habe das Ganze noch mal von vorne gemacht. Diesmal fühlte ich mich besser dabei, aber irgendwie fand ich immer noch, dass etwas fehlte. Tja, und dann eröffnete sich auf einmal die Möglichkeit, mit Sturgill ins Studio zu gehen. Und da sagte ich: „Absolut!“ Und Sturgill war letztlich in der genau Tat das, was gefehlt hat. Sturgill und David Ferguson. Ihre Fähigkeiten als Producer, ihre Kenntnisse im Studio… denn weisst du, das sind zwei paar Schuhe. Seine Songs auf der Bühne zu performen, das ist ziemlich unkompliziert. Da ist es so: „Das klingt jetzt so, weil ich in diesem Raum bin und diese Sounds mache.“ Aber es ist eine ganz andere Sache, in einem Studio zu sein und das so einzufangen. So, dass man mit dem Endergebnis so zufrieden ist, dass man es heraus geben will, in der Form, die es für den Rest der Zeit beibehalten wird. Aber ich kenne mich nicht aus. Ich weiss nicht, was die beste Aufnahme-Software ist oder welche Mikrofone ich benutzen soll. Da gibt es 110 Faktoren, die ausmachen, wie ein Album klingt – und ich kenne keinen davon. Also hatte ich ein Riesenglück, dass ich von Sturgill Simpsons und David Fergusons Wissen profitieren konnte.

Ja, über die zwei Namen wurde natürlich geredet, als die Platte erschien. Wie hast du die zwei kennen gelernt? Kanntet ihr euch schon länger? Wie sind sie dazu gestoßen?

Also, ich kannte Sturgills Drummer, Miles Miller. Wir lernten uns mal auf einer Show in Nashville kennen. Wir sind ja ungefähr im gleichen Alter und stellten fest, dass wir aus der gleichen Gegend kamen. Da hatten wir einfach immer viel, worüber wir uns unterhalten konnten. Naja, wir kamen einfach gut aus und sind Buddies geworden. Und irgendwann kam Miles dann mal zu einem meiner Konzerte, und danach redete er auf Sturgill ein, er solle auch mal das Haus verlassen und zu einer meiner Shows mitkommen. Na, da hat er uns einander vorgestellt und dann blieben Sturgill und ich weiter in regem Austausch. Ich schickte ihm auch immer mal Songs – und dann kam er mit dem Vorschlag, dass wir zusammen aufnehmen sollten und er brachte David Ferguson als Engineer und Co-Producer ins Spiel. Mit David hatte er „Sailor’s Guide“ gemacht. Bei ihm fühlte er sich gut aufgehoben, in Davids Studio „Butcher’s Shop“. Sturgill war auch derjenige, der die Musiker aussuchte, die wir für die Band verwendeten.

Das waren so richtige bewährte Kräfte, stimmt’s? Ich weiss, so ziemlich zur gleichen Zeit hat David Ferguson doch auch die Platte mit dem Briten Jake Bugg aufgenommen.

Yeah!

In dessen Band waren auch Musiker aus Elvis’ Band. Hast du auch solche Veteranen auf der Platte?

Ja, die habe ich. Also, Davids Lebenslauf ist … ganz schön prall gefüllt.

Ja, der ist wirklich sehr beeindruckend. 

Ich glaube – aber da könnte ich mich irren – ich glaube, er hat viel mit Bonnie Prince Billy gemacht. Der kommt auch aus Kentucky und ich mag sein Zeug wirklich.

Lass uns über deine Platte sprechen. Und da picke ich gleich mal den Song „Whitehouse Road“, weil darauf eine Maultrommel zu hören ist. Das finde ich total großartig! Die Maultrommel ist ja ein klassischer Klang auf Country-Platten, aber beinahe vergessen. Wer kam auf die Idee, sie einzusetzen?

Es heisst, die Maultrommel sei das älteste Instrument der Welt! Die Idee entstand, als wir gemeinsam rumsaßen und uns unterhielten. Irgendwer brachte die Maultrommel ins Spiel und ich war sofort dafür zu haben. Ich bin großer Fan, ich mag Bands wie Goose Creek Symphony oder die Ozark Mountain Daredevils, die haben die Maultrommel auch immer wieder verwendet. Es stimmt, die Leute nutzen sie nicht so oft, wie sie sollten. Wenn’s nach mir gegangen wäre, hätte ich sie auf der ganzen Platte eingesetzt. Aber das wäre wohl zu viel gewesen, wir haben jetzt wohl ein gutes Gleichgewicht gefunden.

Hast du jetzt in deiner Band einen Maultrommel-Spieler für die Livekonzerte?

Nein. Für die Liveshows haben wir niemand. Aber ich habe einen Buddy, der sich schon darüber beschwert hat. Jetzt stehen ein paar Konzerte nahe unserer Heimat an und er hat seine Fähigkeiten an der Maultrommel aufgefrischt. Ich glaube, er wird zu uns auf die Bühne kommen. Aber es ist kein Instrument, an dem du einen schlechten Tag haben möchtest. Denn wenn du mit dem Ding nicht genau bist, dann haust du es dir voll an die Zähne. Und das tut verdammt weh. Man kann über Jahre schlechte Form an der Gitarre haben und es hat keine Konsequenzen. Aber die Maultrommel… also, wenn jedes Instrument so wehtun würde, wenn man es schlecht spielt, dann würden die Leute sehr viel schneller besser werden.

Dafür nimmt sie nicht viel Platz weg im Tourbus.

Ha, das stimmt.

Alright. So, was geht eigentlich ab in Kentucky? In der letzten Zeit ist die Gegend ja so richtig zum Zentrum des neuen Country geworden. Sturgill Simpson, Chris Stapleton, Du… man sagt mir, Colter Wall gilt auch schon fast als Kentuckian ehrenhalber, weil er jetzt dort wohnt…

Echt jetzt?

Also, das wurde mir erzählt. Dave Macias von Thirty Tigers hat das gesagt, in einem Interview.

Also wenn Colter in Kentucky ist, dann muss ich mich mal melden. Das wusste ich gar nicht, dass er hier ist. Sein Manager ist aus Kentucky, das weiss ich. Eine Connection gibt es also sicher. Colters Band Speedy Creek – die sind auch fast alle aus Kentucky. Ich hab’ auf seiner Platte gesungen – die Verbindung gibt’s also auch noch. Und es gibt noch eine Menge mehr Leute hier in Kentucky, die echt gute Arbeit machen. Kelsey Waldon zum Beispiel, von drüben aus West-Kentucky, die gibt Gas, die macht echte, ehrliche Arbeit. Also, die Szene, in der ich groß geworden bin, die geht über die Grenzen nach West Virginia, so von Lexington nach Huntington. Ich habe mir meine ersten Sporen in den Bars von Lexington verdient. Die Quiet Hollers – das ist mehr eine Indieband, die sind glaube ich auch gerade in Europa unterwegs – Prison Book Club, die sind auch aus West Virginia. Es gibt da all diese prima Bands. Du hast Recht, es ist gerade ein Zentrum für Musik mit bester Qualität.

Gibt es für die Szene sowas wie eine Club-Infrastruktur, in der all die Bands wachsen können, ist das so?

Also, eher das Gegenteil. In Huntington – aber ich glaube, das ist letztlich sogar eine gute Sache – da gibt es letztlich nur EINEN Club, wo die Bands auftreten können. Egal, was du spielst, Punkrock, Rap, Country, Bluegrass – du landest in dem Laden. Aber dadurch gibt es eine aufgeschlossene, eng verbundene Szene von Musikern, die die Gesellschaft von anderen Musikern suchen und sich unterstützen. Das hat auf jeden Fall ein Umfeld geschaffen, in dem die Leute sich trauen, sich künstlerisch auszudrücken. Das gilt für Huntington – in Lexington ist es aber letztlich ähnlich. Da gibt es zwar eine Menge Clubs, aber es ist eine kleine, kleine Stadt. Dadurch ist auch dort die Gemeinschaft der Musiker eine sehr enge – und das ist, glaube ich, das Wichtige. Denn ich habe es anders erlebt. Ich war in anderen Städten, wo die Szene nicht so gut untereinander verknüpft ist. Wo die Musiker mehr als Einzelkämpfer unterwegs sind und glauben, dass sie sich in einer Branche der Halsabschneider bewegen. Aber es ist doch so viel Platz auf einem ipod! Es gibt so viel Platz auf der Bühne, dass Leute sich darauf stellen und ihre Erfahrungen teilen sollten! Und natürlich Leute unterhalten – das ist ja letztlich was wir tun, das ist unser Job, wenn wir auf die Bühne steigen. Also, in den Städten, in denen ich das Gefühl habe, dass die Musiker in einer Konkurrenz zueinander sehen und sich gegenseitig übertrumpfen wollen – da stagniert die Musik.

Was ich auch interessant finde: Du und Sturgill, ihr kommt beide aus dem „Coal Country“, ihr beide kommt aus Bergarbeiterfamilien. Auch in Europa kriegen wir mit, dass es nicht gut bestellt ist ums Coal Country. Trotzdem finde ich es unverantwortlich von Donald Trump, so zu tun, als könne er die Zeit zurück drehen und Kohle wieder relevant machen. Was ist deine Meinung dazu? Und findet die Situation auch in deine Songs? 

Also, wenn wir das Album von Anfang bis Ende betrachten, dann ist hat es eine lose konzeptuell zusammenhängende Story. Speziell am Anfang tauchen Figuren auf, die ziemlich wild drauf sind. Nun sind die Figuren aus meinen Songs keine real existierenden Personen – aber es sind Figuren, wie ich sie genau so kenne. Ich habe diese Figuren aufgebaut aus persönlichen Erlebnissen und Beobachtungen. Sie wurzeln und atmen und leben in der Kultur, in der ich groß wurde. Und das ist die Kohle-Kultur. Mein Vater hat in einem Kohlebetrieb gearbeitet, das hat bei uns das Essen auf den Tisch und die Kleidung in unseren Schrank gebracht.

Gleichzeitig kann man die Augen vor bestimmten Realitäten nicht verschließen. Kohle mag der natürliche Reichtum unserer Staaten sein. Aber ich finde: Wenn du etwas hernimmst, das nicht wiederverwendbar ist und wovon es auch nur eine begrenzte Menge gibt – also, dann wäre es doch deine Verantwortung, auch dann, wenn du alles raus geholt hast, dafür Sorge zu tragen, dass eine gewisse ökonomische Infrastruktur erhalten bleibt. Dass was übrig bleibt, auch wenn du dich wieder verziehst. Einfach, damit die Leute überleben können. Ich glaube, wir sind an dem Punkt, wo es mit der Kohle quasi vorbei ist. Es ist so – es ist vorbei. Und wir leisten keinen Fortschritt oder tun uns einen Gefallen, wenn wir uns hier an einer Hoffnung festklammern und uns einreden, dass die Kohle zurück kommen wird. Das einzige, was die Kohle wieder zurück brächte, wäre, wenn wir sie wieder 270 Millionen Jahre unberührt lassen. Das brächte sie zurück.

Und bis dahin müssen wir die Zeit darauf verwenden, die Arbeitskräfte umzuschulen. Denn wir haben hier eine absolut fähige Arbeiterschaft. Leute mit hoher Arbeitsmoral, die auch das Gefühl brauchen, für etwas gebraucht zu werden. Weisst du, einerseits geben wir den Leuten hier einen echten Arbeitsethos mit auf den Weg und wir bringen ihnen Heimatverbundenheit bei – aber dann werden in diese Orte keinerlei Arbeitsplätze gebracht. Und dann hast du hier all diese Leute, die… Also, ich weiss, ich will mein Leben in Kentucky bleiben. Klar will ich reisen und die Welt sehen, aber ich will danach wieder hier her zurück. Ich gehöre ich her, das bin ich, das ist Heimat. Aber ich weiss, ich bin in einer Situation, in der ich froh sein muss. Ich habe das Riesenglück, tun zu können, was ich mag und damit trotzdem einen Lebensunterhalt zu gestalten. Für die meisten Leute hier ist das aber nicht der Fall – und wir müssen Alternativen suchen. Wir müssen neue Wege finden, so dass die Leute hier von etwas leben können.

Das meinte ich – ich meine, in Europa gab es die Probleme ja auch. Auch Nordengland und die Ballungszentren im deutschen Westen hatten zu kämpfen mit den Schließungen der Zechen. Aber Manchester und das Ruhrgebiet überleben ja auch. Es gibt dort jetzt halt Tech-Startups etc. Der Job der Politiker wäre, solche Jobs in der Gegend anzusiedeln. Ich meine, man weiss doch zum Beispiel, die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien. In Kentucky stehen Kohlekraftwerke – man sollte die Arbeiter also z.B. auf Solarenergie umschulen, denn die Sonne scheint überall. Anstatt zu warten, bis die Kohlekraftwerke endgültig schließen.   

Oder Landwirtschaft. Okay, der Bergbau hat natürlich dafür gesorgt, dass manche Landstriche hier noch weit davon weg sind, wieder nutzbar zu sein. Ich bin ja nur ein Typ mit Gitarre, ich kenne mich nicht genau aus, um zu wissen, ab wann ein Boden wieder was hergibt. Aber mein Urgroßonkel hat immer gesagt: Zu Zeiten der großen Depression, da gab es in der Gegend drei große Milchfarmen, zu denen er zu Fuß gehen konnte. Heute kenne ich keine einzige! Warum ist das so? Dieses Land wurde eins besiedelt von Immigranten aus Irland und England, die ihre Schafe mitbrachten. Diese Gegend ist geschaffen für Schafe und Rinder. Warum zieht niemand eine solche Farm auf? Klar, das ist schwere Arbeit! Aber zuhause zu sitzen, nichts zu tun und dabei über die Runden zu kommen, ist genauso schwer. Naja, darüber könnte man den ganzen Tag reden.

Deswegen werde ich unser Gespräch auch wieder in Richtung des Albums drehen. Wobei solche Themen ja sehr wohl zum Album gehören. Solche Dinge erklären, wo du herkommst und welche Geschichten du erzählst.

Was diese Probleme angeht: Wir haben auch diese schlimme Opioid-Epidemie. Die ist begründet in… naja, man kann nicht auf eine einzige Sache mit dem Finger zeigen und sagen: DA liegt das Problem. Oft ist das Problem ganz simple Langeweile. Aber sagen wir mal, jemand hat ein Rückenproblem. Vielleicht wegen der Arbeit in den Minen. Dann verschreibt man so jemandem diese krass starken Painkiller. Dann nehmen die Leute sie, wie der Doktor sie verschrieben hat, und eines Tages reicht die Dosis nicht mehr. Also nehmen sie ein bisschen mehr – und bevor sie sich versehen, sind sie süchtig! Solche Probleme haben wir hier! Und je mehr man sich damit befasst, diese Situationen zu verstehen, umso besser versteht man auch den Ort, der solche Figuren erschafft wie den Typen in „Banded Clovis“. Der landet im Gefängnis, weil er einen Kumpel umgebracht hat. Der hat vielleicht als völlig guter Typ angefangen. Aber er landete an einem Ort der Dunkelheit und der Verzweiflung. Und die Leute tun schlimme Dinge, wenn sie verzweifelt sind.

Hast du also auch einen Song über die Opioid-Krise auf der Platte?

So konkret nicht. Aber es wird erwähnt, direkt in „Banded Clovis“*:
„A clovis like that is a hard point to find, makes pills swift to come by with a good chunk of change.“ Dieser Typ nimmt das Leben eines anderen Menschen oder seinen Besitz gar nicht mehr wahr. Er sieht nur einen Geldwert und was für einen Fix er sich von diesem Geld leisten kann. Wenn du jemanden findest, der das Geld hat, solche Artefakte zu sammeln, kannst du eine Stange Geld für so eine Pfeilspitze kriegen. Also bringt er seinen Kumpel um, nur für ein Artefakt. Und wenn du das Ende des Songs anschaust, da sagt der Typ: „I sit in this cell for the banded clovis I stole off of Nolan when I killed him that day / I reckon the chase of the pills and the powder, corn liquor and woman are the culprits to blame.“

Er sagt also nicht: „Ich sitze im Gefängnis, weil ich ein Arschloch war. Weil ich diesen Typen umgebracht habe, weil ich echt was Schlimmes getan habe“. Er redet sich immer noch raus, er verleugnet die Verantwortung für seine Taten. Was letztlich ein Verhaltensmuster ist bei dieser Sache, über die wir geredet haben – diese Weigerung, für etwas Verantwortung zu übernehmen.

Das ist echt interessant, die Texte muss ich noch mal genau lesen. Ich habe meine halbe Stunde übrigens schon überzogen. Kriege ich trotzdem noch ein paar Minuten?

Hey man, Ich bin da für dich.

Wir müssen schließlich noch die zwei anstehenden Deutschland-Shows ansprechen. Warst du schon mal in Europa?

Ja, wir waren schon mal da. Vier Tage: Norwegen, in Oslo ging’s los. Dann Schweden, London und Amsterdam. Das war also ein Kurztrip, einfach mal um den Zeh ins Wasser zu stecken. Jetzt kann ich natürlich kaum erwarten, wieder zurück zu kommen. Mehr Shows spielen zu können und auch mehr Zeit dazwischen zu haben, um das Ganze auch bewusster mitzuerleben. Denn bei vier Shows in vier Tagen – da siehst du nicht viel. Da bist du nur auf der Straße und in der Bar, auf der Straße und in der nächsten Bar. Naja, so ist unser Leben zur Zeit.

Du wirst Deutschland erleben, wenn es bei uns kalt uns winterlich ist. Vielleicht nicht die beste Zeit. 

Aber zum Glück arbeitet meine Frau bei Carhartt. Die waren so nett, mich mit einem fantastischen dicken Parka auszurüsten. Als ich ihn anprobiert habe, habe ich gleich angefangen zu schwitzen. ich hoffe also, der besteht in Europa seinen Härtetest.

Ich wollte auch noch das Thema Chris Stapleton ansprechen. Der Mann ist in den Staaten zum absoluten Superstar avanciert. Nicht nur im Country, sondern überhaupt. Jetzt suchen viele seiner Hörer den neuen Chris Stapleton. Hast du einen positiven Effekt auf deinen Shows bemerkt? Kannst du ein bisschen seinen Windschatten mitnehmen? 

Also, Chris Stapleton steht für mich auf einer Stufe mit Sturgill Simpson. Auch er ist ein Typ aus Kentucky, und er und Sturgill haben den Weg bereitet für Typen wie mich. Chris kommt ja auch noch aus der gleichen Gegend wie ich. Ich komme aus dem Lawrence County, er aus dem Johnson County, gleich nebenan. Chris war auf jeden Fall immer jemand, den ich verfolgt habe, weil er ja auch genau das macht, was ich auch machen wollte. Er hat ja lange vor seinem jetzigen Erfolg schon Songs für alle möglichen anderen Leute geschrieben, hat in einer Bluegrass-Band gespielt, den SteelDrivers, und damit schon seine Wellen gemacht. Danach hat er die Jompson Brothers gegründet und jetzt ist er eben einfach nur Chris Stapleton. Es war auf jeden Fall inspirierend, beim Aufwachsen seine Karriere zu verfolgen. Das zu sehen, hat mich definitiv ermutigt. Tja, mehr kann ich aber nicht dazu sagen.

Danke, damit bin ich doch schon happy. Und damit werde ich dich gleich frei lassen – eine letzte Frage noch. Zum Abschluss frage ich nämlich immer nach der Anekdote. Was war denn dein bisher verrücktestes Konzert? Vielleicht hast du da eine Story für mich? 

Also, ich kriegte mal einen Anruf von einer Gruppe Biker. Das war keine Gang oder so, einfach nur eine Gruppe Freunde, die sich immer in dem Motorradladen von einem der Mitglieder trafen. Einmal im Jahr machten die eine Aktion. Da trafen sie sich für eine gemeinsame Tour. Sie fuhren immer zu einem Treffpunkt, wo sie dann in Campingzelten die Nacht verbrachten. Am nächsten Tag fuhren sie wieder weiter zum nächsten Treff. Zum Ende trafen sich dann wieder alle im Laden für die große Abschlussparty. Fünf Tage, in der sich eine Gruppe Typen trifft, auf ihren Motorrädern durch die Staaten fährt, mit Frauen und Freundinnen, und sich eine gute Zeit gönnt. Diese Leute also meldeten sich bei mir. Sie hatten an einem Abend ihrer Tour einen Platz in Ohio reserviert, an einem Steinbruch, der auch ein Campingplatz war. Und für diesen Abend haben sie mich für ein Konzert gebucht. Aber was sie nicht wussten… also, da haben die Leute, die den Steinbruch vermieten, nicht mitgedacht. Diese Leute von dem Steinbruch buchten die Motorradfahrer am gleichen Wochenende, an dem im Steinbruch auch ein Heavy Metal Festival stattfand. Ich glaube Mushroomhead waren die Headliner.

Ich musste also, um zu meinen Leuten zu gelangen, erst mal durch ein Metal-Festival. Das war dann irgendwo hinter dieser Riesenbühne. Das Biker-Grüppchen hatte dann zwei Generatoren vor Ort. Einer davon sollte meine Verstärker bedienen, die hatte aber nicht die beste Technik. Ich musste also während meiner Show erstmal gegen den Lärm eines Generators anschreien. Mit dem zweiten Generator wiederum betrieben die Leute eine Tattoo-Gun. Dann ging dem zweiten Generator aber das Gas aus. Also haben sie die Tattoo-Gun an den Generator angeschlossen, der mein Soundsystem angetrieben hat. Das wiederum müssen dann die Betreiber des Steinbruchs irgendwie mitgekriegt haben. Sie kamen angefahren in so einer 80s-ATV Limousine und waren ganz aus dem Häuschen: „Seid ihr verrückt geworden? Ihr könnt hier doch nicht einfach Tattoos spritzen! Da kommen wir in Teufels Küche mit der Haftung!“ Sie haben die Tattoo-Gun also dichtgemacht. Kurz danach war meine Show auch vorbei. Naja, aber technisch kann man sagen, dass ich mal den Opener für Mushroomhead gegeben habe!

Aber das sind die Geschichten, die man sich merkt, oder? Damals war’s schräg, aber heute ist es eine tolle Story. 

Ja, Mann. Wenn man schon weg ist von zuhause, sollte man wenigstens Erinnerungen sammeln. Und das ist eine, die ich lange nicht vergessen werde.

Na, dann hoffe ich doch, dass du auch demnächst in Europa viele tolle Erinnerungen sammelst! Vielen Dank für deine Zeit!

Ja, komm auf einem Konzert vorbei!

Das würde ich gerne. Leider spielst du nicht in München, ich kann also nichts versprechen.

Wäre jedenfalls nett, dich zu treffen.

Ich werde schauen, was ich tun kann. Für heute sage ich vielen Dank, Goodbye, und hab noch einen schönen Tag!

Dir auch, Danke, Goodbye!

 

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