Meine Alben 2017, Pt.4 (15-11)

Unerbittlich ist er. Er zieht’s durch. Zählt seine persönlichen Lieblingsalben des Jahres 2017 runter, als müsste das irgendwen jucken. (Also ich jetzt.)

Aber hey – der Sinn der Aktion ist natürlich, tolle Platten des Jahres noch mal zu loben und zu highlighten. Vielleicht gibt’s für den/die eine(n) oder andere(n) Leser(in) ja nachträglich sogar noch was zu entdecken? Wir sind bei Platz 15-11 angekommen.

15. Trevor Sensor – Andy Warhol’s Dream

Diesen jungen Mann hatte ich vor wenigen Monaten noch überhaupt nicht auf dem Schirm. Und dann geht er hin und macht die klassische 70s-Rock’n’Roll-Songwriter-Platte des Jahres!
„Andy Warhol’s Dream“ von Trevor Sensor aus Sterling, Illinois, war eins dieser Alben, die man immer anmachen kann. Im Sommer beschrieb ich’s so: „Ein Songwriter, der’s aufrichtig meint und der die Klassiker von Bob Dylan bis Tom Waits im Auge hat. Gehaltvolle Songs, fein formuliert und beherzt performt, ob Piano-Stomp („The Money Gets Bigger“), Melodie-Gitarrenpopsong („Reaper Man“), Rockbrezel („Sedgwick“), Americana-Ballade („Starborne Eyes“) oder gar Walzer („Lion’s Pride“). Das Ganze dann noch unter der Begleitung einer smarten Band, die es versteht, Sounds von gestern geschmeidig aufzugreifen.“

14. One Sentence. Supervisor – Temporär Musik 1-13

Was ich letztes Jahr auch nicht gedacht hätte: Dass eine Band aus Baden im Aargau eine meiner Lieblingsplatten der Saison hinlegen würde. Daheim in der Schweiz erschien „Temporär Musik 1-13“ schon 2016, aber bei uns erst im April. Zu der Zeit schrieb ich: „OS.S verwenden diese linearen Autobahn-Rhythmen, die unter dem Stichwort Motorik in die Musikgeschichte eingingen. Auch die schummrigen Gitarren der Schweizer verschwimmen in kosmischer Psychedelia. Aber nicht nur. Das Krautige ist nur ein Teil ihres Ansatzes. Die zweite Ebene dieser Band ist die Sorte Gitarrenindiepop, die mir auf ewig am liebsten sein wird: Moll-Melodien, sich ineinander verzwirbelnde Gitarrenlinien und eine gewisse Shoegazeyness. Also das, was The Cure in ihrer „Seventeen Seconds“-Phase begründeten und DIIV oder FEWS in den letzten 12 Monaten so brillant wieder aufgegriffen haben.“

13. Ryan Adams – Prisoner

Schon irre. Ich meine, eigentlich macht Ryan Adams seit Whiskeytown-Zeiten (also weit über 20 Jahren) immer die gleichen Platten. Schmerzverzerrte Liebeslieder, mal lauter, mal leiser, in einer stetig gleichen Klangwelt irgendwo zwischen Americana und The Smiths. Man sollte denken, dass es irgendwann langweilig wird. Dass Ryan doch irgendwann auf der Stelle treten müsste. Aber dann wringt er wieder sein Herz aus und setzt mit „Prisoner“ all das, was er schon gesagt hat, noch punktgenauer ins Ziel als je zuvor. Ryan arbeitete an diesen Liedern nach der Trennung von Ehefrau Mandy Moore, wir erleben ihn live wie er das Ganze verarbeitet. Klar legte er Wert drauf, dass „Prisoner“ bitte nicht als sein Scheidungsalbum verstanden werden soll, das sagte er mir auch im Interview. So oder so, jeder, der mal durch ne Trennung durch musste, und sei sie noch so lange her, fühlt mit jeder Zelle bei diesem wohligen Wehklagen.

12. Kasabian – For Crying Out Loud

Auch so eine Band, die bei mir immer offene Türen einrennen wird. Kasabian machen immer Rock’n’Roll, der sich für nichts schämt, der sich alles traut und der eine Mordsgaudi dabei hat. Es wird in der Brit-Presse nicht genug gewürdigt, wie experimentell Serge Pizzorno arbeitet, mit wie viel Ahnung von der Pophistorie – und dass ihm jegliches Schubladendenken fremd ist. Weil man aber zu Kasabian immer auch luftfaustend im Stadion feiern kann, glauben manche Leute, das könne ja auf gar keinen Fall Niveau haben. (Wenn wenn „Primal Scream“ auf dem Cover stünde, würden sie alle in spasmische Zuckungen verfallen vor Begeisterung.) Nicht, dass „For Crying Out Loud“ Serges sonderlichstes Album wäre – nein, es ist eine back-to-basics-Platte, auf der Serge die Gitarren betont. Aber schräge Momente gibt’s trotzdem zuhauf, die Theremine auf „All Through The Night“ zum Beispiel.
Zuletzt: Auch Interviews mit Serge sind immer eine große Freude. Dieses Mal natürlich auch.

11. Ride – Weather Diaries

Kinders – ihr habt gar keine Vorstellung davon, wie wichtig RIDE waren für mich. „Nowhere“ erschien 1990. Das war das Jahr, in dem ich mein Abi machte. Ihr wisst: So ein Abi ist eine Zäsur im Leben. Die Schule ist vorbei, das „richtige“ Leben beginnt. Ein Neuanfang, eine neue Stadt, aber auch plötzliche Unsicherheiten, Ängste. Halt, der verloren geht. Mal ganz abgesehen von dem Hormonhaushalt und den ersten unerfüllten, erfüllten und enttäuschten Lieben. Mitten rein in diese Phase meines Lebens erwischte mich „Nowhere“ und artikulierte mit seinem abstrakten Feedbacklärm auf seine so intensive wie unbestimmt Weise all das, was mich genauso intensiv wie unbestimmt im Griff hatte. Dieser Gefühlsseesturm, in dem ich keinerlei Orientierung hatte und der mich von Euphorie zu Depression und zurück schleuderte, der hatte einen Soundtrack aus himmlischem, kreischendem Lärm. Ride. Nowhere. Die Welle auf dem Cover. Ride waren ALLES.

Es war brutal schade, wie die Luft aus der Band raus ging. „Tody Forever“: Zum Heulen genial. „Going Blank Again“ war noch größtenteils Wahnsinn, „Carnival of Light“ war patchy, „Tarantula“ war nicht Ride. Mark Gardner und Andy Bell machten in anderen Bands okaye Lieder, aber sie bekleckerten sich nicht immer mit Ruhm.

Deswegen hatte ich Angst vor „Weather Diaries“. Dieses Comeback hätte sowas von in die Hose gehen können. Es wäre auch falsch, wenn man verschweigt, dass die Platte ihre Schwächen hat, denn die hat sie. Sonst wäre „Weather Diaries“ Top 5 und nicht Platz 11. Aber aber aber ABER! Es sind ein paar Lieder drauf, da schwingen sich Ride tatsächlich in die Höhen, in denen sie zu Zeiten von „Leave The All Behind“ kreisten: „Lannoy Point“, „Cali“, „All I Want“, „Weather Diaries“, „White Sands“. Das hätte ich nicht zu hoffen gewagt.

Und wenn ihr dem 1990-Henning gesagt hättet, dass er Mark Gardner mal interviewen würde, er hätte euch die Füße geküsst.

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