Stichwort: Longlist.
Schon ein kleines Ritual hier: Ein mal im Jahr pickt die BBC ihre Favoriten fürs neue Popjahr und sagt: „Die werden berühmt! Das ist ‚The Sound of 2018!‘“
Ich höre mir den Kram dann an und gebe auf dem Blog meinen Senf dazu ab.
Der nächste Schritt folgt jetzt: Ich kontere ich mit meiner eigenen Longlist. Das sind dann aber immer Acts aus meinem Indie-Geschmacksbereich. Ich prognostiziere auch nicht den großen Durchbruch. Ich sage nur: „Ich traue denen nächstes Jahr ein ordentliches Debütalbum zu.“
Aber ganz ehrlich: Dieses Jahr war’s schwerer als je zuvor, diese Liste zusammen zu kriegen.
Dafür gibt’s bestimmt mehrere Gründe und ich habe auch eine halbe Abhandlung darüber begonnen. Ich hab’ sie aber wieder gelöscht. Wer will denn schon so Krisengerede lesen?
Zumal ich ja eh ewiger Optimist bin und glaube, dass sich das wieder einrenkt. Und ausrenkt. Und wieder einrenkt. Weil das alles zyklisch kommt und geht.
Anyway. 16 Bands und Solist(inn)en, denen ich 2018 was zutraue, findet ihr nach dem Break. Besser als die Grütze von der BBC sind sie allemal.
485c
Die Londoner haben sich nach dem Pantone-Farbton benannt, in dem die berühmten britischen Telefonzellen gehalten sind. Telefonzellen braucht man längst nicht mehr, aber sie stehen natürlich ikonisch für die besten Zeiten des Swinging London. Nach Sixties klingen 485c nur bedingt, viel mehr sind sie eine Band, die sich an den Strokes orientiert. Aber so lange die Strokes schwächeln und 485c so weitermachen wie auf ihren Singles „Strange Medicine“ und „Better The Man“, können sie mehr sein als nur eine Ersatzdroge.
Artificial Pleasure
Zweiter Anlauf für diese Londoner: Unter dem Namen Night Engine haben sie angefangen, ihre Single „Give Me A Chance“ habe ich 2014 noch im Atomic aufgelegt. Inzwischen haben sich die schnittigen Herren umbenannt und probieren’s aufs Neue, Hörer für ihren kantigen, zackigen Neo-New Wave zu finden. Auch immer gut: Ihr Sänger Phil McDonnell ist ne echte Type.
Boy Azooga
Jetzt geht’s nach Cardiff. Hier in Wales hat sich die junge Band Boy Azooga die nigerianische Funk-Ikone William Onyeabor als Vorbild ausgeguckt. Was bedeutet, dass ihr Indiepop die Betonung auf Percussion und Afro-Grooves legt. Das klingt auf ihrer Single „Face Behind Her Cigarette“ durchaus eigenwillig. Mich erinnert’s sowohl an Vampire Weekend als auch Metronomy und ich finde, das ist ein vielversprechender Mix.
Childcare
Zurück nach London. Die Band um Sänger Ed Cares hat was entwaffnend Kindliches – und das ist kein Zufall. Ed ist nämlich Kinderbetreuer (daher der Bandname) und er testet neue Songs seiner Band immer an den Kids, auf die er aufpasst. Wenn die Siebenjährigen auf einen neuen Song stehen, weiss er, er ist auf dem richtigen Weg. Nun gut – mich überzeugt nicht jeder Childcare-Song („Kiss“ ist dafür mit Abstand ihr bester), aber mit ihrem Mut zur Albernheit haben sie auf jeden Fall schon mal was, das man sich merkt.
Crimsons
Jetzt geht’s nach Manchester. Hey, viele Briten in meiner Liste. Das war in den letzten Jahren nicht immer so. Anyway. Crimsons machen gloomy 80s-Indiepop, in den Spuren von The Cure zu Faith/Pornography-Zeiten. Sie setzen nicht auf Klingelton-Ohrwürmer, sondern auf neblig düstere Atmosphären. Ihre Singles gehen also nicht sofort ins Ohr, aber dafür erschaffen sie Spannung,
Cut Worms
Der US-Songwriter Max Clarke hat eine prima EP mit Homerecordings veröffentlicht: Melodieselige 60s-Style-Popsongs, stellenweise geradezu beatlesk. Zu Recht hat Max dafür einen Plattenvertrag beim lässigen Stylo-Label Jagjaguwar unterschreiben können. Die Vorstellung, was dieser Junge wohl erst mit ein bisschen Budget in einem Tonstudio und einer fähigen Backing Band anstellen kann, lässt mich Purzelbäume aus Vorfreude schlagen.
Dream Wife
An der Uni in Brighton lernten sie sich kennen, die Isländerin Rakel Mjöll und ihre zwei britischen Mitmusikerinnen. So einige Aufmerksamkeit ist ihnen schon zuteil geworden, denn bisherigen Singles des Trios waren kantig und trotzdem poppig und die feministische Not ist nicht zu überhören. „Somebody“ ist für mich quasi wie der inoffizielle Song der #meeto-Bewegung: „You were the cute girl standing backstage, it was bound to happen“ geht die Strophe. Cool formuliert finde ich das. Weil man hinterfragen muss: Was ist passiert? War es wirklich unausweichlich? Im Refrain klipp und klar: „I am not my body – I am SOMEBODY“.
Das VÖ-Datum für Dream Wifes Debütalbum steht fest (26.01.) Ich lehne mich also nicht grade weit aus dem Fenster, mit meiner Prognose, dass ich ihnen dieses Jahr (siehe oben) „ein ordentliches Debütalbum“ zutraue.
Hatchie
Gesundheit! Klar, dass ich mir den Kalauer nicht sparen konnte. Wir kommen zum ersten Mal in dieser Liste nach Australien. Harriette Pilbeam aus Brisbane ist auch in der sehr okayen Band Babaganouj aber ihr Solo-Ding macht gerade die größeren Wellen. Denn als Hatchie macht Harriette folgendes: Den Sound von Slowdive mit einem großen Löffel Pop anrühren. Man hört ihre Single „Sure“ und fragt sich: Wieso ist da nicht längst wer drauf gekommen? Das behält die Schönheit von Slowdive, aber man kann es sich auch im Radio vorstellen.
Middle Kids
Und jetzt die Gewinner. Mein Platz 1 in dieser Liste. Anfang dieses Jahres hat das Trio Middle Kids aus Sydney eine 6-Track-EP veröffentlicht, die von der ersten bis zur letzten Note perfekt ist. Hannah Joy schreibt tolle Songs, singt toll, und ihre Band (inkl. Bassist Tim Fitz, Hannahs Ehemann) setzt das toll um: Immer richtig arrangiert zwischen zart und packend, so, dass die Lieder dynamische Spannungsbögen haben. Klar ist das, was Middle Kids machen, nicht neu. Indiegitarrenrock mit Drift in Richtung Fleetwood Mac-MOR. Aber die Lieder sind halt so verdammt gut, dass es vollkommen wurscht ist, ob das jetzt schon bekannt klingt oder nicht. Achtung: Grower-Alarm! Beim ersten Mal denkt man noch so: „Jaja, schon ganz nett, aber nix besonderes.“ Aber bald schon muss man’s wieder und wieder und wieder und wieder hören.
Phobophobes
Sonderbarer Name. Wer phobophob ist, muss also Angst vor der Angst haben. Der Bandname sagt uns: Diese Band hat einen gewissen Witz, meint es aber ernster, als es auf den ersten Blick aussieht. Der Sound der Londoner: Britisches Indie-Songwriting mit einem gewissen Sixties-Düsternis-Faktor. Eine Orgel sitzt weit vorne im Mix, das sorgt für Doors-Assoziationen. Auch The Coral, Echo & The Bunnymen und die frühen Horrors fallen mir ein.
Polish Club
Novak und John-Henry haben in dieser Liste eigentlich nix verloren. Denn ihr Debütalbum „Alright Already“ ist längst erschienen. Allerdings halt nur in Australien. Im Rest der Welt scheint die Musikindustrie zu denken: „Das White Stripes / Black Keys / Johnossi-Ding mit einem Gitarristen und einem Drummer kennt man doch jetzt lang genug. Warum sollte man da jetzt auch noch die australische Variante wollen?“ WEIL NOVAK UND JOHN-HENRY SUPERDUFTE FROODS SIND UND WEIL IHRE SONGS KNALLEN! NICHT NUR DIE HAUDRAUF-PARTY-BURNER SONDERN SOGAR DIE BALLADEN! POLISH CLUB SIND ENDLÄSSIG UND SIE HAUEN REIN! DESHALB! ALSO VERÖFFENTLICHT GEFÄLLIGST AUCH BEI UNS 2018 IHR ALBUM!!!
Redfaces
Okay, auch hier wird das Rad nicht neu erfunden. Aber Britrock im Stile von The Kooks oder The View, gespielt von aufmüpfigen Teenagern aus Sheffield – dafür muss immer irgendwie Platz sein, oder? Radfaces haben ihre Musik in der Plattensammlung ihrer Dads entdeckt, deswegen nennen sie Supergrass, Stone Roses und The Smiths als prägende Einflüsse. Einerseits fühle ich mich alt. Andererseits: Hey, wenn diese Musik weiter Kids erreicht, ist das doch ein gutes Zeichen.
Shame
Hier gilt, was für Dream Wife gilt: Das VÖ-Datum des Debütalbums steht bereits fest (12.01.). Es ist also keine Prognose, es ist eine Tatsache: Shame aus London werden voll einschlagen in die Indie-Szene. Die werden wichtig. Weil sie so richtig Adrenalin transportieren, nach clever artikulierter Rage klingen. Punk-Attitüde, sowas brachen wir mal wieder. Wenn „Songs Of Praise“ erscheint, werde ich hier ein Interview platzieren können, denn ich hatte Sänger Charlie Steen neulich am Telefon.
Sloan Peterson
Noch man Sydney. Ich weiss wenig über die Sängerin Sloan Peterson, außer, dass ihre 6-Track-EP „Midnight Love“ sehr gut rein geht. Wenn sie den Level hält, steht einem starken Debütalbum nichts im Wege. Die Single „105“ war für mich dieses Jahr auf jeden Fall ein kleiner Hit.
Sunscreen
Und gleich noch mal Sydney. Sunscreen erscheinen auf Spunk Records, dem gleichen Label wie meine Blog-Favoriten The Ocean Party. Die Band verbindet, finde ich, australische Dolewave- mit kalifornischen Girlsurf-Vibes. Sunscreen klingen also wie ein Mix aus Rolling Blackouts Coastal Fever / Twerps auf der einen und Best Coast / Dum Dum Girls auf der anderen Seite. Ich mag’s und will ein ganzes Album davon hören, bitte!
Verge Collection
… und weil gerade das Wörtchen „Dolewave“ fiel, hier gleich noch ein paar Vertreter. Dolewave, geboren in Melbourne, hat sich inzwischen auf ganz Australien ausgebreitet. Aus Perth, Westaustralien kommen Verge Collection, die nach mehreren feinen Singles für den März ihr Debütalbum angekündigt haben.
Tja. Das war’s.
Übrigens, zum Abschluss: Ein paar Bands, die ich in den Prognosen früherer Jahre schon nannte, haben endlich ihre Debütalben angekündigt: April Towers und Tiny Little Houses werden 2018 endlich so weit sein.
Wollt ihr meine Listen der letzten Jahre sehen?
Meine Tipps für 2015
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