Take The Longlist and walk it. Pt 1

Ich habe es auf diesem Blog zu sowas wie einer Tradition gemacht, die jährliche Sound Of 2017 BBC-Longlist zu kommentieren. Ihr wisst schon, am Ende der Popsaison picken die Experten von der altehrwürdigen British Broadcasting Corporation immer 15 Namen, denen sie den großen Durchbruch im neuen Jahr prognostizieren. Dieses Jahr wählten sie sogar 16.

Ich habe trotzdem schon überlegt, das Ganze dieses Jahr zu lassen, denn dieses Mal finde ich die Liste ganz besonders frustrierend. Ich gucke mir das Ganze ja immer aus meiner Indiegitarren-Perspektive an. R’n’B und Dance-Acts sprechen nicht meine Sprache, da kann ich gut nicht von schlecht unterscheiden. Ist so. Aber deses Jahr liegt die Betonung noch stärker als in den Vorsaisons auf diesem Segment. Schlechte Zeiten für Gitarren. Oh well. Aber ich habe mich durchgerungen.

Hier erst mal der Clip der BBC. Nach dem Break meine Einschätzungen zu den möglichen Stars of 2018.

Also gut:

ALMA: Ein Popmädel aus Finnland, Okay, was ich ganz cool an Alma finde: Dass hier mal der übliche Peer Pressure nicht zum Einsatz kommt. Dass Teeniegirls mit der 21jährigen ein Role Model kriegen, das sie nicht implizit in die Bulimie treibt. Was ich leider nicht erkennen kann, ist, ob auch sonst etwas da ist, das Alma von den zig skandinavischen Pop-Standardproduktionen unterscheidet. Ihre Stimme ist sicher okay, wenn man sowas mag, aber ist sie unverwechselbar? Inzwischen hat Alma Tracks für Martin Solveig und Felix Jaehn aufgenommen – typische Hitparadennamen. Mir bestätigt das nur, dass ALMA halt eine von diesen letztlich austauschbaren Sängerinnen ist, von denen es offenbar ein Kontingent gibt, bei dem die Producer sich bedienen.

Billie Eilish: Die Amerikanerin wird Ende Dezember erst 16. Ihre ersten Songs hat sie schon mit 13 veröffentlicht, davon wurde „Ocean Eyes“ offenbar zu sowas wie nem viralen Hit. Was mir nur zeigt, dass ich echt den Anschluss zu Kide verloren habe und bitteschön auch nicht mehr haben will. Für mich klingt das nach Ellie Goulding-Abklatsch mit extra dünner Stimme.

IAMDDB: Okay, hier halte ich mich einfach raus. Das ist ein Musiksegment, in dem ich einfach ein Fremder bin. Mich nervt’s wenigstens nicht, wie mich Billie Eilish nervt. Ich hör’ das und denke mir: „Aber die Musik ist ja minutenlang KOMPLETT das Gleiche – sie trällert nur im Refrain ne andere Melodie drüber als in den Strophen! Wieso ist da null Variation? Was ist aus der Kunst der ‚Key Changes’ geworden?“ Wozu sich natürlich jemand, der aus dem Genre kommt, totlachen würde. Weil es, denke ich mal, so ist, als würde jemand beim Skispringen einen Eckball fordern. Mei. Ist halt echt nicht meins.

Jade Bird: Hurra, eine Songwriterin! Jade Bird ist Britin, man klassifiziert sie dort als Country-Sängerin. Hmm, Country gleich? Americana, okay. Der Song „Cathedral“ ist nett, in a not-quite-First-Aid-Kit-but-it’s-a-start kinda way. Ich sage mal: Sängerinnen wie Jade Bird gibt’s viele, speziell in den USA, herausragend ist das nicht gleich, aber immerhin in Ordnung. Mitglied von Jades Band: Will Rees von den Mystery Jets. Na, vielleicht bringt er ja auf lange Sicht ein bisschen von der Verspulung seiner Hauptband in ihren Sound und macht es wenigstens ein bisschen spannend?  Hauptsache, er vernachlässigt die Jets nicht ihretwegen, dann müsste ich einschreiten.

Khalid: Gerade mal 19 Jahre alt und schon eine Platin-Single in den Staaten. Ist Khalid Amhearst Robinson, der bereits im März sein Debütalbum veröffentlichte und schon Features auf Tracks von Lorde, Logic und Calvin Harris hatte, nicht schon eine Nummer zu groß für so eine Newcomer-Liste? Naja, immerhin, ich höre „Young, Dumb & Broke“ und denke mir: Wenigstens keiner, der auf Champagner- und Gucci-Materialismus macht. Aber auch nicht gerade meine Welt.

Lewis Capaldi: Jetzt könnte man wieder sagen: Hey, wenigstens ein traditioneller Songwriter! Aber Heinis wie der Schotte Lewis Capaldi sind genau die Typen, bei denen ich die Krise kriege. 21 Jahre alt sein, aber mit Räuber Hotzenplotz-Stimme den explosiv-emotionalen Bluesopa mimen, weil man das von seinen Joe Cocker-Platten und von Pop Idol so kennt! Dazu mit den langweiligsten, klischeebelastetsten Songs ever einschläfern! Aaargh, ich will Lewis Capaldi gegens Schienbein treten! Schreib darüber, jetzt hast du wenigstens was zum Heulen!

Nilüfer Yanya: Okay, schon besser. Auch wenn mich das war die türkisch/britische Londonerin macht, jetzt auch nicht gleich flasht, erkenne ich doch, dass Nilüfer Yanya wenigstens sowas wie Persönlichkeit hat. Man klickt mehrere ihrer Songs an und es gibt mehr als nur einen Sound, aber doch einen roten Faden zu hören. Ziemlich zurückhaltend, minimalistisches Songwriting mit Indie- und Electronica-Nuancen, ohne sich vom einen oder dem anderen vereinnahmen zu lassen.

NOT3S: Okay, ich wollte mich bei IAMDDB schon ausklinken. Andere Leute schreiben, das was der Londoer MC macht, sei Afropop, Dancehall, Grime, Hip-Hop und R&B gleichzeitig. Ist das so? Na dann wow. Mich lässt’s kalt.

Pale Waves: Fuck! Fuck! Fuck! Endlich eine Gitarrenband – und dann ausgerechnet die fucken Pale Waves. Aaargh! Fuck! Aaargh! Pale Waves: We’re like, twentytwo, but we’re already making the fucken Cranberries sound like Extreme Noise Terror. We make Avril fucken Lavigne look like she’s part of the Baader-Meinhof gang. And in every fucken chorus we use the same fucken four chords! And we’re coming to make your life even more miserable in 2018. Fucken hell. Fucken fucken hell.

Rex Orange County: Wann eigentlich wurde blitzeblanker MOR zu was, das man akzeptierte und irgendwann sogar cool fand? Wir können damit jetzt wieder aufhören.

Also echt, Kids. Wir haben fast ein Jahr Trump, der Faschismus und andere autoritäre Ideologien sind immer noch überall auf dem aufsteigenden Ast, Megakonzerne und ihre CEOs saugen all die immensen neu geschaffenen Werte auf dem Planeten in ihre Steueroasen, während die Lebensqualität derer, die ihnen die Gewinne erarbeiten, immer weiter sinkt. KGB-Putin und seine Bots unterwandern derweil die Errungenschaften der demokratischen Zivilisation. Was wir ganz bestimmt NICHT brauchen, sind relaxte La-di-da-Lieder über den Sonnenschein!
Having said that, es ist vielleicht nicht fair, diese Aufgabe an einen 19jährigen Londoner ranzutragen, dessen ach-so-clever-geschmackvolles 70s-Songwriting wenigstens mehr Akkorde kennt als die fucken Pale Waves. Trotzdem, was macht Rex Orange County in dieser Liste? Sein Debütalbum erschien im April und niemand hat’s beachtet. Wer glaubt daran, dass 2018 die große Wendung eintritt?

Sam Fender: Hmm, das könnte entfernt als Indie durchgehen. Als Scheißindie aber nur. Weil Sam Fender aus Newcastle ein Singer/Songwriter ist, der auch mal aufs Fuzzpedal steigt. Das Ergebnis klingt, als ob Tom Chaplin von Keane erst Muse covern will, sich dann aber doch nicht traut. Next!

Sigrid: …und noch eine Skandinavierin aus der Massenproduktion. Diesmal eine schlanke Norwegerin, ansonsten gilt für Sigrid das Gleiche, was oben für Alma galt. Die Typen, die in ihr tatsächlich „die neue Robyn“ zu erkennen glauben, sind vermutlich die gleichen, die glaubten Martin Ødegaard sei der neue Messi. Aber okay: Beide sind jung, geben wir ihnen ein paar Jahre und dann fällen wir noch mal ein Urteil.

Superorganism: Finde ich auch überbewertet. Es gibt Leute, die hier total die Zukunft sehen. Na, das müssen Leute sein, die noch nie The Avalanches, Beck zur „Odelay“-Ära oder „Drinking in L.A.“ gehört haben. Aber gut, wir hören so viele komplett gleichgeschaltete Newcomer, daneben wirken Superorgansm tatsächlich wie eine irre Urwaldorchidee. Sie sind zu acht, ihr Sound ist ein LoFi-Gumbo aus allen möglichen Einflüssen, dabei bleiben die LIeder eingängig. Das läuft okay rein. Aber werden Superorganism die Newcomer des Jahres 2018? Nein, man wird sie im März zum Album hypen, das Spexcover ist safe. Aber in zwei Jahren weiss man genauso wenig, wer sie sind, wie man den Namen von den Heinis vergessen hat, die „Drinking in LA“ machten.

Tom Walker: Jetzt wollt ihr mich komplett auf die Palme bringen, oder? Was soll diese Grütze? Genauso banales Songwriting wie bei Lewis Capaldi, nur jetzt noch mit extra safem Elektronik-Sprenkseln a la Jack Garratt light (und ich HASSE Jack Garratt), damit auch ja alles abgedeckt wird?

Yaeji: Und wieder mal klinke ich mich aus. Mir fehlt die Fähigkeit, zu erkennen, ob das irgendwie doch ein klitzekleiines Bisschen Cutting Edge ist oder einfach nur typischer wubbernder Elektronikpop. Pitchfork sagt, das sei „New Yorks most exiting new voice“ in Sachen House. Naja, bei House bin ich raus.

Yxng Bane: Ach leckt mich doch alle. Ich WILL ja gar nicht so ignorant sein in Sachen HipHop. Aber wenn’s halt schon los geht mit Autotune-Vocals überall. Ich höre halt ernsthaft lieber eine Gabel, die über einen Teller kratzt, als mit Autotune gepitchte Vocals. Also kein Wort mehr über Yxng Bane. Dazu bin ich zu alt. Und erleichtert darüber.

Fazit? Zwei Acts okay: Superorganism, Jade Bird.
Der Rest: Meh bis „Bleib mir weg!“ bis „Oh Gott, ich möchte mir mit einem rostigen Spatel die Ohren ausschaben!!“ (Pale Waves! Lewis Capaldi! Tom Walker! Yxng Bane!)
So schlimm war’s noch nie, BBC.

In den letzten Jahren habe ich immer mit einer Shortlist von 15 Indie-Acts geantwortet, denen ich nächstes Jahr zwar nicht unbedingt Erfolg, aber dafür ein Debütalbum zutraue, das Spaß macht. Na, ob ich dieses Jahr 16 Acts zusammen kriege, die was bringen, kann ich leider nicht versprechen.

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Jetzt noch Links:
Meine Reaktion auf die BBC Longlist letztes Jahr (für 2017)
Meine eigene Indie-Longlist letztes Jahr (für 2017)

Meine Reaktion auf die BBC Longlist für 2016
Meine eigene Indie-Longlist für 2016

Meine Reaktion auf die BBC Longlist für 2015
Meine eigene Indie-Longlist für 2015

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