Review: Noel Gallagher

Noel Gallagher’s High Flying Birds – „Who Built The Moon?“

Es ist ja zum Glück kein Wettbewerb. Man kann als Hörer ja sowohl Liam als auch Noel okay finden. Man muss sich ja gar nicht für den einen und damit automatisch gegen den anderen entscheiden, auch wenn der konstante Zank der zwei in den Medien den Eindruck erwecken mag. Genauso, wie man sich in den 90ern auch herrlich über den Oasis/Blur-Konflikt amüsieren und gleichzeitig an beiden Bands seine Freude haben konnte.

Aber wenn es so wäre: Da tendiere ich zu Team Liam. Einfach, weil Noel immer schon geschafft hat, all die Props für sich einzusammeln. Weil er nie Skrupel hatte, seinen Bruder blöd aussehen zu lassen. Auch jetzt wieder, da die zwei schlagzeilenwirksam Giftpfeile aufeinander schießen: Noels Sprüche gegen Liam wirken sehr herablassend. Liam kläfft mehr, mag aggressiver sein, frecher, herausfordernder, dabei durchaus nicht ohne Augenzwinkern. Noel wiederum tut immer so, als stünde er drüber, dafür setzt er dann zwischendurch gemeine Tiefschläge. Souverän ist was anderes.

Tja guck. Schon wieder schreibe ich über den Bruderzwist, aber es soll doch um die Musik gehen. Hier sind wir uns einig, dass beide Gallaghers zuletzt was zu beweisen hatten. Liams Beady Eye waren fahrig, auf seinem Soloalbum musste er zeigen, dass er alten Oasis-Fans noch das liefern kann, was sie hören wollen. Er musste sich mal zusammen reissen. Dahingehend liefert „As You Were“ auch, was es soll. (Hier eben mein Text dazu)

Bei Noel geht es so ziemlich um das Gegenteil. Seine zwei Soloalben kamen gut an, hatten ein paar prima Singles. Bei ihm war das Problem, dass er speziell auf „Chasing Yesterday“, zu routiniert das Programm abspulte (Zur Erinnerung meine Rezi zur VÖ 2015). Liam und Beady Eye konnten nicht besser – was nicht gut ist. Noel aber konnte sehr wohl besser, als eine schlurfende Midtempo-Nummer an die nächste zu reihen – und da darf man dann schon fragen, ob das nicht eigentlich schlimmer ist. Ein Viererschüler zu sein, oder als Einserschüler eine Drei zu schreiben, weil man seine Arbeit wie eine lästige Hausaufgabe hingerotzt hat.

Ergo: Noels Aufgabe vor „Who Built The Moon“ lautet: Beweisen, dass die Inspiration noch da ist. Dass ein neues Album für ihn nicht nur lästige Pflichterfüllung ist, sondern dass sie noch  sprudelt, die Kreativität.

Liam hat sich für sein Album bekanntlich Hilfe bei Profi-Producern und Songwritern geholt, worüber sich Noel entsprechend mokiert hat. Er machte aber eigentlich nichts so doll anderes, als er David Arnold an Bord holte. Der Ire ist bekannt als Soundtrack-Komponist und Remixer. Er kam an Bord, um Noels Klangpalette mal ein bisschen aufzufrischen und das Ganze mal ein bisschen cinematisch zu machen.

Nun hat Noel im Vorfeld sinngemäß verlautbart, dass seine Platte superschräg und psychedelisch wäre. Dass er manche seiner Fans ganz schön vor den Kopf stoßen werde. Na, das sehe ich anders. Erstens befinden wir uns in einer Zeit, in der Psychedelia durchaus im Trend liegt. Tame Impala sind in die erste Rockliga aufgestiegen, auch ein King Gizzard ist kein verspultes Nischenthema mehr. Noel liefert uns auf seinem Album aber nichts, was auch nur annähernd so abgefahren wäre wie auf einer Flying Microtonal Banana gespielte Halbtonmusik. Okay, er macht einen Schritt in Richtung Psychedelia, das ja. Aber er taucht ja nicht voll ein.

Musterbeispiel: Viel Brimborium wurde darum gemacht, dass Noel eine Lady in seiner Liveband hat, die „die Schere“ spielt. Will sagen: Die Holde hat tatsächlich eine Schere dabei, mit der sich „Schnipp-Schnapp“-Geräusche macht. Was ganz witzig ist. Aber letztlich doch nach viel mehr aussieht, als es ist. Hört man das „Schnipp-Schnapp“ denn wirklich? Es ist, wenn man so will, ein minimaler Teil der Percussion. Klar, es sieht schön sonderbar aus, jemand dafür auf der Bühne zu haben. 100 Punkte dafür. Aber es hat letztlich keine Konsequez auf die Musik. Anders als, um beim Beispiel King Gizzard zu bleiben, deren Schlangenbeschwörer-Tröte, die den Hörer wirklich auf die Probe stellt.

Nun gut. Es geht mir nicht darum, über Noels Schritt in Richtung Psychedelia zu schimpfen. Im Großen und Ganzen ist das nämlich ’ne prima Sache. Das alles ist halt nur nicht annähernd so weird, wie Noel zu glauben scheint. Aber das muss es ja gar nicht sein. Noels Stärke war immer das Songwriting. Wir wollen von ihm doch gar keine durchs Wahwah-Pedal gejagten Nasenflöten, gekrönt mit transzendent gedämpftem Spinat-Gong auf Trockeneis. Wir wollen von Noel: Gute Songs, die nicht lieblos abgespult werden. Und das haben er und David Holmes sichergestellt mit ihrem Soundtrack-Schwurbel-Ansatz. Noels im Kern gute Lieder geben dem Ohr jetzt auch mal wieder was zu entdecken. Und er hat das Tempo insgesamt angezogen.

Also los. Der Opener ist ein Quasi-Instrumental. „Fort Knox“ hat den Druck und die Drums eines „XTRMNTR“-Tracks. Ein Presslufthammer-Sample sorgt für erhöhten Stresslevel, interessanter Effekt. Erschreckt Noel damit Oasis-Fans? Wohl kaum, denn das nicht unähnliche „Fucking In The Bushes“ eröffnete „Standing On The Shoulder Of Giants“ schon vor 17 Jahren.

Interessant: Weil „Holy Mountain“ genau im richtigen Moment nach „Fort Knox“ einsetzt, kommt der Song viel besser, als auf sich alleine gestellt. Als er Anfang Oktober als erste Single der Platte vorgestellt wurde, war das allgemeine Echo: „Echt jetzt? Klingt wie Status Quo.“ Aber irgendwie passen das Tempo und die Gutgelauntheit super in den Zusammenhang.

Das fogende „Keep On Reaching“ würde auf eine Paul Weller-Platte eine gute Figur machen, Bläser und Gospelchor sorgen dabei für dichtes Blattwerk.

Next: „It’s A Beautiful World“ Interessanter Beat, dazu schimmernde The Cure-Gitarren und ein Refrain, der im Ohr bleibt. Keine Frage, auch hier funktioniert es, das „Experimentieren-im-Rahmen“. Die Musik ist eine Erweiterung dessen, was wir von Noel kennen, und gleichzeitig bleibt es auch ganz klar das, was wir von Noel kennen.

„She Taught Me How To Fly“ ist da gleich wieder bodenständiger. Aber dafür hat’s nen flotten, vorwärts gehenden Rhythmus. Sowas kann man auch in der Indie-Disse spielen. Die Platte bleibt abwechslungsreich.

Nun „Be Careful What You Wish For“. Hier könnte man jetzt drüber lächeln, wie unverschämt sich Noel mal wieder bei den Beatles bedient, denn der Song ist quasi eine Coverversion von „Come Together“. Andererseits: Noel und Holmes peppen diesen Beatles Re-Take mit genügend Hinhörer-Effekten auf (u.a. „Heyyyaa“-Ladychor, gefühlte Dschungelpapageien und Schluckauf), dass es trotzdem Spaß macht, den Song zu hören.

„Black and White Sunshine“ ist nun wieder ein eher typischer Late-Oasis-Era-Midtempo-Gitarrenstampfer. Was aber auch wieder okay ist. Erstens, weil die Intro-Melodie eine feine ist, zweitens, weil er nicht wie sonst von anderen gleichartigen Songs umgeben ist. Will sagen: In einer Schafsherde fällt ein einzelnes Schaf nicht auf. Wenn auf der Weide ein Lama, eine Bergziege, ein Maultier, ein Känguruh, ein Strauß und ein Schaf stehen – dann ist das Schaf alright.

Es bleibt variabel. „Interlude“ folgt als liebliches Akustikgitarren-Zwischenspiel, darauf „If Love Is The Law“, ein feiner orchestraler Sixtiespop-Song. „The Man Who Built The Moon“ ist quasi das Finale, eine dramatisch dräuende Bläser/Streicher-Bombast-Nummer. Darüber rollen nur noch die „End Credits“.

Und dann gibt’s noch mal Bonustrack-Nachschlag: Die Ballade „Dead In The Water“, schön lo-fi live aufgenommen, erinnert an Noel-Oasis-Solo-Klassiker wie „Masterplan“ oder „Sad Song“ sowie vor allem an Ryan Adams’ Version von „Wonderwall“

Tja. Und schon ist das Album durch und hat tatsächlich keine Sekunde gelangweilt. Keine Frage, das ist Noels bisher bestes seiner drei Soloalben. Nicht nur, weil die Durchhänger fehlen. Sondern vor allem, weil Noel hier inspiriert und frisch im Kopf klingt. Er hat hörbar selbst Spaß an der Sache und das kommt auch im Ohr an. Ein dickes Lob gilt David Holmes, der Noel aus seiner Komfort-Zone lockt und eine Menge Oasis-untypischer Klänge mit in den Mix bringt.

Habe ich vorhin gesagt, ich bin Team Liam? Na, da muss ich zugeben: Noel hat seinen markigen Worten Taten folgen lassen und die bessere Platte abgeliefert. Aber man kann Liams Album ja trotzdem immer noch für sein Qualitäten schätzen – eine davon könnte sein, mit der Androhung seines Alleingangs Noel soweit Feuer unterm Hintern gemacht zu haben, dass er mit einer gescheiten Antwort kontern wollte.

 

 

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