Review: Liam Gallagher

Liam Gallagher – „As You Were“

Zuerst mal: Was für ein cleverer Albumtitel! „As You Were“ stammt aus der militärischen Sprache. Mit dieser Order ruft man den jeweils letzten zuvor gegebenen Befehl zurück. Es bedeutet also „Kommando zurück!“ – aber, damit das nicht missverstanden wird, nicht im Sinne von „Zurückziehen!“. Sondern im Sinne von „Zurück in die letzte Position!“ oder „Wieder so weitermachen wie davor!“

Längst hat der Ausdruck seinen Weg auch in den informellen Sprachgebrauch gefunden. Wenn man „as you were“ beiläufig verwendet, ist das salopp formuliert und bedeutet quasi „so wie immer halt“, „so wie du’s kennst“, „so ist es doch“ oder „so gehört sich’s“.

Liam Gallaghers Ausritt mit Beady Eye war nicht erfolgreich. Warum, steht auf einem anderen Blatt. Aber es gibt eine Message, die muss er all seinen verlorenen Oasis-Fans unbedingt rüberbringen. Sie lautet: „Staub abklopfen, weiter im Programm. Was zuletzt passiert ist, ist egal!“ Das Ganze sollte auch noch in möglichst Liam-esken Ton gesagt werden, also leicht patzig. „As You Were“. Perfekt. Subtext: Diese Platte ist erstens das, was Oasis-Fans von mir hören wollen und ich bin zweitens immer noch unverbesserlich.

Das ist zumindest die Aussage, die Liams Plattenfirma unbedingt an den Mann bringen will. Nach dem Reinfall mit Beady Eye (so muss man es sehen, die Platten verkauften offenbar nur ein Zehntel der späten Oasis-Alben) wird „As You Were“ als Liams letzte Chance gesehen. Er selbst hat das in Interviews bestätigt (bzw., dass das Label ihm das eingebläut hat). So erleben wir ihn, wie er diesem Schicksal die Stirn bietet, kampfbereit. Wie er allen noch mal zeigt, dass Bruder Noel (dessen Soloalben ja schon ein bisschen routiniert und stellenweise einschläfernd waren) vielleicht der Kopf von Oasis gewesen sein mag, er aber die Seele. Das zumindest ist die Darstellung, wie die Plattenfirma sie pusht.

Inwieweit stimmt das denn auch?

Viel ist im Vorfeld auch über die Leute geschrieben worden, mit denen Liam hier arbeitet. So hat man ihm DEN Vollprofi der Stunde zur Seite gestellt: Greg Kurstin gibt Hitgarantie für alle, von den Foo Fighters bis Adele. Mich macht sowas ja argwöhnisch. Schön und gut, dass der Mann den Sound der Saison im Griff hat. Aber muss jetzt auch Liam über diesen Kamm geschoren werden? Ist Our Kid nicht per Definition jemand, der über sowas drüber steht? Seit wann muss er dem Trend folgen? Und: Steht es nicht im totalen Widerspruch zur „Liam comes back fighting!“-Agenda, wenn ihn in Wirklichkeit ein Producer an der kurzen Leine führt?

Hierzu darf man gewisse Entwarnung geben: Kurstins Name fiel zwar in der Vorberichterstattung immer zuerst, das aber wohl, weil er nun mal der Vorzeige-Producer auf dieser Platte ist. Laut Credits ist Kurstin letztlich nur an 3 der 12 Songs beteiligt (bzw an 4 der 15 Songs der Deluxe Version). Der erste davon ist die Single „Wall Of Glass“, die auch das Album eröffnet. In meinen Augen kein Wahnsinns-Song, aber in der Tat sehr knusprig produziert. Damit greift Kurstin genau das Problem an, das die Solo-Songs von Bruder Noel Gallagher auf dessen letztem Albums hatten – die nämlich plodderten gerne mal verwaschen vor sich hin. Kurstin dagegen geht mit einer Blockbuster-Produktion in die Vollen: Satte Drums, schneidige Mundharmonika, bombige Gitarren. Und nicht zuletzt Liam selbst, der alles gibt um zu klingen wie einer, der dich gleich mit einem „Klären wir das vor der Tür!“ nach draußen fordert. Fazit also: Auf diesem Song ist das Ergebnis der Zusammenarbeit Gallagher/Kurstin zwar etwas überkanditelt, aber der gewünschte Effekt, dass es echt knallt, der wird erzielt.

Auch „Come Back To Me“ stammt aus Kurstins Schmiede. Hier handelt es sich um eine nicht ganz so erfolgreiche Variante von „Wall Of Glass“. Zu bombastisch aufgeblasen produziert. „It Doesn’t Have To Be That Way“ (von den Bonustracks) wiederum ist einfach strange – dieser Song klingt einfach nicht nach Liam. Mitschuld trägt ein Mann, über dessen Mitarbeit an dem Album ich mich nichtsdestotrotz sehr freue: Andrew Wyatt. Sein Name fiel im Vorfeld gar nicht, warum eigentlich? Von Andrew halte ich eine Menge. Man kennt ihn als Sänger von Miike Snow (sehr sympathische Interviews mit dem Kollegen gibt’s auf diesem Blog HIER und HIER), aber der enge Freund von Mark Ronson ist auch hinter den Kulissen sehr aktiv. Zuletzt als Mitglied von liv (mit Lykke Li, Pontus Winberg, Björn Yttling und Jeff Bhasker). Was ich dazu sage, um zu unterstreichen: Dieser Mann hat Geschmack, kennt sich famos aus und sein Stil, Songs zu schreiben, ist angenehm dornig und schräg. Ihn bei Liam Gallagher an Bord zu holen, ist eine überraschende, aber sehr inspirierte Wahl. Tatsächlich stammen zwei der besten Balladen dieser Platte aus Andrews Feder: „Paper Crown“ (produziert von Kurstin, aber diesmal mit angemessener Zurückhaltung) sowie „Chinatown“ hat der Miike Snow-Sänger mit seinem langjährigen Kollegen Michael Tighe geschrieben (der wiederum einst Mitglied in Jeff Buckleys Band war, was ihn eh über jeden Zweifel erhaben macht). Diese beiden Schleicher sind geradezu maßgeschneidert für Liam: „Paper Crown“ als smarte Ballade mit versteckten Beatlesken key changes, die zum Finale groß auffährt, „Chinatown“ als unerwartet subtile Überraschung. Wyatt hat letzteres Lied selbst produziert, in dem wolldeckig-warmen Style, den auch liv verwenden – diese leise Note bringt Liam trotz holprigen Textes (der hier aber nicht Liams Schuld ist) sehr würdevoll rüber. Nur bei „It Doesn’t Have To Be That Way“, da klappt diese Zusammenarbeit nicht so. Im Refrain glaubt man, Wyatt selbst zu hören, so sehr klingt die Stelle nach einem Miike Snow-Song. Die Strophen und die Sounds dagegen wirken wie der Versuch, ein orgiastisches George Harrison / ELO-Ding zu zimmern. Mit dem Refrain, der pur Wyatt ist, passt das für mich nicht unbedingt zusammen. Ein gut gemeinter Versuch, aber nicht hundertpro ausgereift.

Wer hat noch mitgeschrieben an „As You Were“? Auf „For What It’s Worth“ ist es Simon Aldred. Der war mal Frontmann der Band Cherry Ghost, deren Karriere nach einem okay erfolgreichen Debüt im Sand verlief, während ihr Song „People Help The People“ als Coverversion von Birdy zum Welthit wurde. Fortan wechselte Aldred hinter die Kulissen. Sein Co-Write? Also, wenn „For What It’s Worth“ der Versuch ist, einen Song zu schreiben, der so Oasis-mäßig wie nur überhaupt klingen soll, dann ist er gelungen. An der jeweils erwarteten Stelle kommen der key Change, die Streicher, die George Harrison-Gitarre, der erhebende „Stand By Me“-mäßige Refrain und die „Hey Jude“-Handclaps. Die Sache ist halt nur die: Oasis selbst haben sich sicher nie diese Aufgabe gestellt. Zu ihrer Zeit hat Noel das geschrieben, was ihm auf der Seele lag – und das klang halt dann so. Mit Noels Stilmitteln zu beginnen und darüber zum Song gelangen zu wollen, bedeutet, das Pferd von hinten aufzuzäumen. „For What It’s Worth“ wird dadurch zu einem schwächeren Titel dieser Platte, weil seine sklavische HIngabe an die Oasis-Schablone den Song letztlich zur Parodie macht.

„When I’m In Need“ hat Liam mit Iain Archer geschrieben, den man vor allem für seine Arbeit mit Jake Bugg und Snow Patrol kennt. Diese Nummer ist eher unbemerkenswert, auffällig ist höchstens der penetrante Versuch, diesem unter-ferner-liefen-Stück ein großes Finale zu geben. In der letzten Dreiviertelminute plustert sich der Track also gewollt auf, was nicht unbedingt die Wirkung erzielt, die gewollt war – außer „der Hörer soll mit den Augen rollen“ stand echt im Arbeitsplan.

So. Wir haben sieben der 15 Songs der Bonustrack-Version des Albums besprochen. Die Lieder, an denen fremde Hände mitwirkten, weil das Label fand, Liam bräuchte diese Hilfe von Profis. Bleiben acht Songs, bei denen keine Co-Autoren in den Credits stehen. Acht Songs, die produziert wurden von Dan Grech-Marguirat, der schon viel mehr in unsere Brit-Indie-Welt passt. The Kooks, The Vaccines und zuletzt Circa Waves hat der Mann auf dem Kerbholz.

Vorausschickend: Liam Gallagher galt immer als mieser Songwriter, aber da stimme ich nicht zu. „Little James“ zum Beispiel gilt als der Facepalm-Moment auf „Standing On The Shoulder Of Giants“. Aber ich fand die Nummer immer entwaffnend herzig. „Thank you for your smile, you make it all worthwhile for us“ sang Liam seinem Stiefsohn – klar ist das ein bisschen peinlich, aber gerade das ist doch das Gute dran! Man muss sich im Rock’n’Roll entblößen. Man muss das echte, ungestellte Gefühl nach außen kehren. Und wenn das Gefühl nun mal eine sentimentale Zuneigung zum Stiefsohn ist, dann gilt es auch, dieser Sache nachzugeben und das Ganze nicht cool zu verklausulieren, sondern es unverstellt zu sagen. Zumal: Die Schlüsselzeile in diesem Lied ist ja nicht: „You live for your toys, even though they make noise“. Die Schlüsselzeilen sind „We weren’t meant to be grown-ups“ und „It won’t be long before everyone is gone“ – letztere even more so in dem Wissen, dass Liam und Patsy Kensit, die Mutter des kleinen James, schon bald getrennt waren. „Little James“ ist also ein zärtlicher Song über die Flüchtigkeit des unschuldigen, schönen Moments. Okay, kein Oasis-Thema. Aber von Herzen und reifer, als man von Liam denken würde. Außerdem hatte die Nummer eine prima Ohrwurm-Melodie.

Auch „Songbird“ von „Heathen Chemistry“ mochte ich. Okay, kompositorisch simpel, aber ebenfalls einfach sentimental und schön. Okay, „The Meaning Of Soul“ und „Guess God Thinks I’m Able“ waren nicht die besten Stücke auf „Don’t Believe The Truth“ – aber auch nicht die miesesten. „Soldier On“ wiederum war für mich ein absolutes Highlight von „Dig Out Your Soul“. Und was Beady Eye angeht – das waren jetzt keine Wahnsinnsplatten, sie hatten ihre Höhen und Tiefen, aber wenigstens hatten sie Höhen. Womit ich insgesamt sagen will: Diese vorgegebene Charakterisierung, wonach Liam nun mal keine Songs schreiben könnte, die ist nicht korrekt.

In der Tat entpuppen sich nun auch einige der Songs, die Liam „ohne Hilfe“ im Alleingang geschrieben hat, sogar als meine Favoriten auf „As You Were“. Gleich mal „Bold“: Ein Song, der Liams Trotzigkeit, gewisse neue Selbstzweifel, aber letztliches Bestehen auf seine Art prima einfängt. „Yes I know I’ve been bold, I didn’t do what I was told“ – für mich der beste Refrain auf der Platte. Da braucht Liam keinen Greg Kurstin für, der Tonspur um Tonspur drüber kleistert. Auch „Greedy Soul“ funktioniert. Ein griffiger, bissiger Boogie, der effektiver in die Kerbe schlägt, in die „Bring The Light“ vom ersten Beady Eye-Album schlagen wollte. Auch „You Better Run“ hat Schmiss, „I Get By“ dagegen ist mehr so ein Füller-Track. Dafür ist „Universal Gleam“ geradezu Oasis aus dem Lehrbuch. Eine Nummer in etwa zwischen „Let There Be Love“ und „Soldier On“, die zum Gospelchor-Stampfer mit Streichern anwächst und das Album perfekt abschließt – mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass sie genau das nicht tut. Es geht noch weiter. Erst mit „I’ve All I Need“, das gleich mehrere Beatles-Titel („All Things Must Pass“, „Tomorrow Never Knows“) in einen unaufdringlichen Gitarrenpopsong presst, der – zugegeben – dann doch sogar der bessere Abschluss des Albums ist. Denn dadurch kriegt das feine „I’ve All I Need“, das inmitten des Albums vielleicht überhört worden wäre, noch mal eine betonte Stellung, während „Universal Gleam“ als Finale wohl auch zu sehr das Klischee von der Rausschmeißer-Ballade bedient hätte.

Tja, aber wer lässt sich als Fan schon die Bonus-Tracks der Deluxe-Version entgehen? Schade, dass die nachträglich noch so angepäppt werden. Ein Unding der Labels, eigentlich. „Mehr“ bedeutet doch nicht „besser“. Man würde doch an den unteren Rahmen der Mona Lisa auch keine drei Stück Leinwand kleben, an denen da Vinci in der gleichen Zeit im Atelier rumgepinselt hat.

Aber okay, die Songs gibt’s nun mal. Über das etwas sonderbare „Doesn’t Have To Be That Way“ habe ich schon geschrieben. Bleiben noch „All My People, All Mankind“, eine okaye Standard-Ballade sowie „I Never Wanna Be Like You“, gleich noch eine okaye Standard-Ballade. Drei Songs, die’s nicht gebraucht hätte. Jo mei. Wenn ich Labelfritze wäre, würde ich Bonus Tracks vielleicht nicht unbedingt ans Ende klatschen, sondern versuchen, sie eleganter ins Album-Sequencing einzuweben, damit die Form eines Ganzen mit Anfang und Schluss sowie eine gewisse Spannungskurve besser gewahrt bleibt. Aber gut, daran wollen wir uns jetzt nicht aufhängen.

Fazit jedenfalls: Liams Soloalbum ist echt in Ordnung. Kein Meisterwerk, sicher. Aber der peinliche Fremdschäm-Moment, den manche befürchteten, ist es erst recht nicht.

Man hört halt, dass das Label die ausdrückliche Aufgabestellung „Was wollen Oasis-Fans von Liam hören – und wie bringen wir das möglichst breitenwirksam an den Mann?“ ausgegeben hat. Es sind ausgerechnet die Songs, die sich erkennbar an diese Vorgabe halten, die am wenigsten überzeugen. Sie kommen zu kalkuliert rüber. Liam als Typ aber muss frei und deppert sein dürfen, um Rock’n’Roller zu bleiben. Die Highlights dieser Platte sind daher die besseren von Liams allein geschriebenen Songs sowie die zwei Wyatt/Tighe-Titel, die Liam mehr Raum geben als nur die Komfortzone. Auf jeden Fall ist „As You Were“ besser als die Beady Eye-Platten, die vor allem von schlechten Songs von Gem Archer und Andy Bell runter gezogen wurden (Sorry Andy – ich LIEBE Ride, aber bei BE hast du zu oft auf Autopilot geschrieben)

Ob das reicht, um Liam als Solisten dauerhaft zu etablieren? Ich fürchte, dafür hätte diese Platte einen Über-Hit gebraucht, doch der ist nicht drauf. Ich glaube aber andererseits auch nicht, dass „As You Were“ wirklich Liams letzte Chance ist. Er ist ein Original, er hat eine treue Fanbase und die wird so oder so auf ein zweites Album warten. Was dieses zweite Album angeht: Auch wenn Andrew Wyatt letztlich eine überraschend gute Wahl war – müssen es denn unbedingt die Hintergrund-Hitmaschinen sein, wenn man Liam mit anderen Songwritern zusammen bringt,? Ich meine: Liam ist zum Beispiel eng mit Serge von Kasabian – und der hat „For Crying Out Loud“ bekanntlich in sechs Wochen durchgezogen. Serge schreibt normal nicht für Andere, aber er wäre absolut der Mann, Liam ein paar Songs auf den Leib zu schneidern, die nicht nur das bedienen, was die Plattenfirma für die Komfortzone seiner Fanbase hält. Oder die DMA’s! Die schütteln die besten Oasis-Songs seit „Definitely Maybe“ nur so aus dem Ärmel! Die freuen sich doch ein Loch in den Strumpf, wenn sie drei Songs an ihn abgeben dürfen! Ich glaube: Wenn solche Leute ran dürften, entstünden Lieder, die nicht nur in der Form, sondern auch im Spirit Liam bzw Oasis entsprächen.

Aber gut, das ist Zukunftsmusik. Ich muss jetzt mal zum Schluss kommen. „As You Were“: It’s alright.

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