Das Frage, mit welchen Themen ich in den praktisch Release-freien Wochen um die Jahreswende Inhalte für meine Seite schaffen soll, die stelle nicht nur ich mir auf meinem kleinen Blog. Das Problem haben auch ganz andere, ungleich größere Musik-Medien. So hat Pitchfork vorgestern – a pro pos of nothing – eine Liste der 10 besten Songs der 80er zusammen gestellt. Aber warum auch nicht? Naturgemäß sind 10 Songs zu wenig, um eine ganze Dekade zusammen zu fassen und klar wird man drüber diskutieren. Sicher hat jeder der Pitchfork-Songs es verdient, auf der Liste zu landen – aber essentielle Namen fehlten trotzdem. Mich jedenfalls hat das Ganze dazu gebracht, 80s-Namen aufzuschreiben, die ich in meine persönlichen Top Ten packen würde. Natürlich ist das sofort ausgeartet und plötzlich hatte ich über 40 Namen auf dem Zettel stehen.
Weswegen ich mir sagte: Okay, da mach ich ne kleine Serie draus. Ich werde in unregelmäßigen Abständen eine kommentierte Selektion von 80s-Bands bzw Songs posten. Die 80s waren schließlich eine im Nachhinein herrlich alberne Dekade, in der viel ausprobiert wurde. Manches ging daneben, manches aber wurde zum Grundstein für spätere Entwicklungen. Manches, was damals noch als Mainstream-Pop galt, wäre heute fürs Indie-Fach zu schräg. Zumal: Seit youtube-Videos in Deutschland nicht mehr gesperrt sind, kann man alte Schätze neu entdecken.
Also gut, gehen wir in unsere erste Runde. Diese erste Rutsche habe ich unter einen Oberbegriff gestellt: Indie-Bands. Genauer: Bands, die als Pioniere das, was später zur eigenen Kategorie Indie werden sollte, vorbereiteten und noch lange prägten. All die nun folgenden Bands sind Gitarrenbands – was in den 80ern ja eher untypisch war.
Anmerkung: Die Liste ist alphabetisch geordnet, nicht nach irgendeiner Wertung. Sonst ginge es nicht ausgerechnet los mit…
The Church
Das Quartett aus Sydney um Sänger Steve Kilbey war Australiens Beitrag zum Post-New Wave. Ihren dichten, psychedelischen Gitarrensound und ihre Bassläufe hörte man in den 2000ern wieder im Sound solcher Bands wie The Stills, Stellastarr* oder White Lies – und wenn ich die 1981er-Single „Unguarded Moment“ höre, muss ich sofort an Public Access TV denken. Auch einen Welthit konnten The Church landen: „Under The Milky Way“ (1988). Zu Hause in Australien gilt die immer noch aktive Band als stilprägende Legende. Übrigens: Steve Kilbey ist der Vater von Elektra und Miranda Kilbey-Jonsson, besser bekannt als Say Lou Lou.
Lloyd Cole & The Commotions
Die Band gründete sich in Glasgow, aber Lloyd Cole ist Engländer. An der Uni Glasgow studierte er in den frühen 80ern Literatur, hier fand er auch die Mitglieder seiner Gruppe. Eine moderne Soulband wollten sie sein, aber mit ihrem Jangle-Gitarrensound und dem intellektuellen, stylischen und immer irgendwie schelmisch-bissigen Cole an der Spitze wurden sie vielmehr zum Prototyp der cleveren Indieband mit dem „too-smart-for-his-own-good“-Sänger. (siehe: Pulp, Spector, Frankie & The Heartstrings).
Die Band trennte sich nach ihrem dritten Album „Mainstream“ (1987), ihr Debüt „Rattlesnakes“ (1984) ist ein makelloser Klassiker. Lloyd Cole ist als Solist weiter aktiv, sowohl als Songwriter als auch als Macher experimenteller Instrumental-Tracks. Auch er hat einen Sohn, der heute Indie macht: Shane O’Connell spielt Bass bei EZTV.
The Cure
Tja – wo fängt man an bei The Cure? Robert Smith & Co haben so krass unterschiedliche Alben gemacht! Der minimalistische Pop von „Three Imaginary Boys“, der Gitarren New-Wave-Drive von „Seventeen Seconds“, das elegische „Faith“, das zappendustere „Pornography“, das knallpoppige „Japanese Whispers“, das kauzige „The Top“, das schnittige „The Head On The Door“, das kreuz-und-quere Potpourri „Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me“, das majestätische „Disintegration“ – was ist das eigentlich für eine unfassbare Serie!!! Aber es gab Zeiten, so etwa zum Höhepunkt des Britpop, da schienen The Cure wie vom Erdboden verschluckt und ihr Einfluss war nicht existent. Ab 2000 war das ganz anders. Seitdem bauen Bands ganze Karrieren daraus, sich nur auf bestimmte Schaffensperioden von The Cure zu stürzen und diese zu variieren. Beispiele: DIIV verarbeiten die frühen Cure (ca. „Three Imaginary Boys“ / „Faith“), Hot Hot Heat hätten ohne „Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me“ (das bezeichnenderweise den Song „Hot Hot Hot“ beinhaltete) nie zu ihrem Sound gefunden, die Shout Out Louds sind nie weit weg von „in Between Days“. Und und und…
Echo & The Bunnymen
Wer in den 80ern The Cure mochte, mochte auch Echo & The Bunnymen. Die Liverpooler hatten in Ian McCulloch einen ähnlich charismatischen Frontmann, auch sie verbanden goth-ige Melancholia mit Art-Anspruch, auch sie blieben trotz aller Experimentierfreude auch für Popfans zugänglich. Heraus kam ein Sound, der seitdem immer wieder aufgegriffen wurde. Ich höre sein Echo (see what I did there?) u.a. bei Bands wie Idlewild, Lusts oder Editors. Das legendärste Bunnymen-Album ist „Ocean Rain“ (1984), denn hier lehnten sich die Bunnymen am weitesten aus dem Fenster, arbeiteten mit Bläsern und Streichern. Nach einer zwischenzeitlichen Trennung (1988 – 1996) existiert die Band weiterhin, auch wenn nur Ian McCulloch und Gitarrist Will Sergeant noch an Bord sind. Bassist Les Pattinson verließ die Bunnymen 1999, Drummer Pete de Freitas war schon 1989 bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen.
The Go-Betweens
Ein Name, den ich in den letzten Wochen Mal um Mal fallen ließ, als ich die Top 30-Alben für 2017 zusammen stellte. Die Band aus Brisbane war Kritikerliebling und Geheimtipp, aber ihr Einfluss speziell auf die australische Musikszene wird in diesen Jahren erst so richtig offenbar. Der lakonische, gewitzt-nachdenkliche Style der Go-Betweens findet sich heute wieder in all den „Dolewave“-Bands wie Twerps, Dick Diver oder Rolling Blackouts Coastal Fever, aber auch bei solchen pfiffigen Erzählern wie den Split Seconds.
Die Go-Betweens sind eine dieser Bands, die mit gleich zwei brillante Songwriter in ihren Reihen gesegnet waren: Hier Robert Forster, der sonderliche Schlaks, arty, immer stilbewusst und etwas distanziert, dort Grant McLennan, unscheinbar, nahbar und herzlich. Diese zwei ungleichen Typen ergänzten sich letztlich ideal: McLennan erdete Forsters Höhenflüge, der wiederum nähte Rüschen auf McLennans Hemdsärmeligkeit. Interessant: die vortrefflichen Teenager The Goon Sax um Robert Forsters Sohn Louis spiegeln, vermutlich ungewollt, diese Dynamik: Hier übernimmt Bassist James Harrison quasi die Rolle von Grant McLennan.
The Go-Betweens trennten sich 1989 nach sechs Alben, reformierten sich 2000. McLennan starb leider 2006 unerwartet mit 48 an einem Herzanfall, was natürlich das Ende der Band bedeutete. Robert Forster ist als Solist weiterhin aktiv.
Fun Fact: In Brisbane wurde zu Ehren der Go-Betweens eine Brücke benannt.
The House Of Love
Okay, es ist jetzt nicht so, dass diese Band so unglaublich prägend und wichtig war – aber The House Of Love waren zu ihren besten Zeiten in den späten 80s einfach prima und auch sie waren letztlich ein Prototyp für viele folgende Gitarrenbands. Mit Guy Chadwick hatten sie einen Songwriter, der wusste, wie man echte Ohrwürmer schrieb, die trotzdem nicht gleich offensichtlich klangen. Gitarrist Terry Bickers wiederum hatte einen aufregend experimentellen Stil, war aber offenbar ein recht schwieriger Zeitgenosse – die Band trennte sich damals abrupt von ihm, indem sie ihn an einer Autobahnraststätte aus dem Tourbus warf! (Also muss schon was vorgefallen sein.) The House Of Love machten ohne Bickers, der in der Folge die Psychedelic-Indie-Band Levitation gründete, drei Alben lang weiter, die Platten waren gut, aber ohne Bickers fehlte ihnen was. Anyway, mit „Shine On“ haben The House Of Love einen dieser Songs geschrieben, die wohl jeder kennt, ohne zu wissen, von wem er ist. Inzwischen haben sich Bickers und Chadwick wieder vertragen und zwei sehr ordentliche Post-Reunion-Alben (2005/2013) veröffentlicht.
The Jesus And Mary Chain
Dies hier sind echte Gamechanger. Denn The Jesus and Mary Chain waren diejenigen, die ein neues Element popularisierten: Fiesen, dissonanten Feedbacklärm. Klar, auch ein Hendrix hatte in den 70s mit Feedback gearbeitet, aber die Brüder William und Jim Reid aus East Kilbride gaben dem kreischenden Lärm die uneingeschränkte Hauptrolle. Sie ertränkten ihre trockenen 60s-esken Popsongs regelrecht darin. Aufs Publikum wirkte das zu Beginn provokativ: Frühe Shows von The Jesus and Mary Chain dauerten nur 20 Minuten und arteten häufig in Massenschlägereien aus. In der Folge wurde Noise zum anerkannten Stilmittel und eine, zwei Saison lang sogar der vorherrschende Indie-Sound – Stichwort Shoegazing. Shoegazing gibt’s immer noch – und das verdanken wir letztlich The Jesus and Mary Chain. JAMC heute: Nach einer Trennung 1999 geben die Brüder seit 2007 wieder Konzerte. Für Ende März haben die Brüder Reid ihr Comebackalbum angekündigt.
My Bloody Valentine
A pro pos Feedback: Zu Beginn ihrer Karriere warf man My Bloody Valentine noch vor, doch sehr offensichtlich The Jesus and Mary Chain zu kopieren. Aber dann schwammen sich MBV-Vordenker Kevin Shields und seine Band frei – und wie! Sie setzten weiterhin auf Feedback und Noise, wurden dabei aber noch mehrere Stufen extremer: Ab der „You Made Me Realise“ EP (1988) malten sie mit weissem Rauschen, bis man darin wunderschöne Formen und Farben entdeckte. Shields wurde im Studio zum Sound-Extremisten, der mit den Kosten für den Nachfolger von „Loveless“ (1991) das Label Creation in den finanziellen Ruin trieb. „m b v“ sollte schließlich erst 2013 erscheinen, als niemand mehr damit rechnete und Shields tatsächlich (mit Unterbrechungen, klar) tatsächlich über 20 Jahre daran herum gedoktert hatte.
Pixies
Liebe Kids, wisst ihr, warum ihr mir leid tut? Weil ihr in einer Post-Pixies-Welt groß geworden seid. Ihr werdet daher nie das Gefühl kennenlernen, wie es ist, das erste Mal „Bone Machine“ zu erleben und zuvor noch nie mal etwas annähernd ähnliches gehört zu haben. Die staubtrockenen Drums, die Kreissägen-Gitarre, der abstruse, derangiert gekreischte Text („He buy me a soda, and then he try to molest me in the parking lot – Hup, Hup!“) – und als sich alles auftürmt, ist da plötzlich nur noch Kim Deal, die säuselt „Your bones got a little machine!“ Als die 3:03 Minuten des Songs um waren, wusste ich, dass sich mein Leben für immer verändert hatte. Das war ein einschneidendes Erlebnis!
Die Pixies. Ein Haufen Irrer, der ganz neue, surreale, ruppige, sperrige und trotzdem nicht unpoppige Elemente in den Gitarrenrock einbrachte. Sie waren die ersten, die die späte so Grunge-typischen leise-LAUT-leise-LAUT-Dynamik auf die Spitze trieben (nicht umsonst behauptete Kurt Cobain mal, Nirvana würden eigentlich nur die Pixies nachäffen), sie waren fucken heavy, aber dabei doch zuallererst Kunst, superschräge Kunst.
Mit der Grunge-Welle wurde die Pixies’sche Dissonanz allgemein in die Charts gebracht und heute kann man damit niemand mehr erschrecken. Aber in den späten 80ern war’s unfassbar, nie zuvor da gewesen, eine Revolution, glaubt mir.
R.E.M.
Ja, auch R.E.M. Ein facebook-Freund von mir HASST R.E.M. mit Inbrunst. Aber wenn ich erst gegen Ende ihrer Karriere auf sie gestoßen wäre, täte ich das vermutlich auch, denn auf den letzten fünf Alben befanden sich Buck, Mills und Stipe schon in der gefühlten Totenstarre. In den 80ern aber waren R.E.M. unabdingbar als fresheste Studentenband der Südstaaten. Die Schlauberger aus Athens, Georgia, zimmerten zu dieser Zeit politisierten Sonderlings-Gitarrenpop, der viel schlauer war als alles, was um sie herum passierte.
Siouxsie and the Banshees
Wegen ihrer aufgetürmten Haarpracht, extremem Kajal-Einsatz und einer gewissen Darkness im Sound wurde Siouxsie Sioux zur Vorzeige Goth-Lady. Das aber wird dem Schaffen ihrer Band nicht gerecht, denn Siouxsie and the Banshees waren musikalisch für alles zu haben und wagten sich an schrägstmögliche Popmomente. Ich behaupte auch: Die Yeah Yeah Yeahs, Austra und Zola Jesus sind alle letztlich bei Siouxsie in die Lehre gegangen.
The Smiths
Und wieder die Frage: Wo fängt man an? The Smiths ist das glückliche Aufeinandertreffen von zwei Genies: Hier der artikulierte und auf pfiffige Art überkanditelte Texter Morrissey, dort sein präziser Flankengeber, der scheue, aber spielwitzige Gitarrist Johnny Marr, der es versteht, seinen extrovertierten Frontmann immer ins beste Licht zu stellen. Morrisseys aberwitzig spitze Feder sucht immer noch ihresgleichen, sein Gesangsstil und Marr’sche Licks sind derweil zum Goldstandard für weltweite Indie-Gitarrenbands von Schweden bis Australien geworden.
The Stone Roses
1989 erschien es, das die Baggy-Ära dominierende Debütalbum der Stone Roses. Hierzulande wird man wohl nie ermessen können, was für eine ewige magische Wirkung diese Platte auf die Musik der Insel hat. Letztendlich hat das Album der Ikonen aus Manchester den kompletten Britpop fünf Jahre zuvor vorweg genommen, ist eine Brücke in die Sixties und einfach ein Manifest britischer Popkultur.
The Style Council
Und wenn man die britische Popkultur der letzten Jahrzehnte in einer Person zusammenfassen will, so ist Paul Weller der gesuchte Mann. Als Teenager aktiv in der Ära frisch nach dem Punk mit den aufmüpfigen The Jam, stylte Weller sich zwischen ’83 und ’89 im Duo mit Organist Nick Talbot als Dandy. Was nicht bedeutete, dass er jetzt zum Establishment gehören wollte – im Gegenteil, er war einer der lautesten Kritiker von Margaret Thatchers Politik.
Talking Heads
Auch so eine Band, die wie The Cure zwischendurch beinahe vergessen schien – aber dann tauchten Mitte der 2000er Jahre auf einmal haufenweise Musiker auf, die sich auf die David Byrne und seine New Yorker Avantgardisten beriefen. Vampire Weekend beispielsweise übernahmen die Afro-Rhythmen, Clap Your Hands Say Yeah die Artiness. Die Vorstellung, dass Talking Heads mal Top Ten Hits landeten mit beissender Kulturkritik („Once In A Lifetime“), schräg/zackigen New Wave-Experimenten („Burning Down The House“) oder sonderlichstmöglicher Songstruktur („Road To Nowhere“ begann mit einem Acapella-Chor) – das ist heute eigentlich undenkbar.
The The
Zum Schluss noch mal ein intelligenter Songwriter. Matt Johnson alias The The sang über die Turbulenz seines Innenlebens genauso wie er politische Entwicklungen beobachtete und kommentierte, er machte das Persönliche politisch und das Politische persönlich. Musikalisch war er dabei unberechenbar: „Infected“ (1985) war mit seiner ruppigen Elektronik gar nicht weit vom Industrial entfernt, zum Nachfolger „Mind Bomb“ (1988) dagegen waren The The ein Quartett (inklusive Johnny Marr an der Gitarre) und entsprechend klingt die Single „The Beat(en) Generation“ nach klassischem Indiepop. in den letzten Jahren hat Johnson vor allem an Soundtracks gearbeitet, aber offenbar ist ein neues Album tatsächlich in Arbeit.
Puh.
Das war jetzt mehr Arbeit, als ich dachte. Ich verspreche Teil 2 dieser Serie mal noch nicht für morgen… aber ich bleibe dran.