Review: The Radio Dept.

Radio Dept - Running Out Of LoveThe Radio Dept. – „Running Out Of Love“

„Smrt fašizmu, sloboda narodu!“ So lautete der Leitspruch im jugoslawischen Widerstand im zweiten Weltkrieg gegen die Nazis. Auf deutsch: „Tod dem Faschismus, Freiheit dem Volk!“

Ich hätte nicht gedacht, dass diejenigen, von denen ich diesen wichtigen historischen Satz mal lernen würde, The Radio Dept. sein könnten.

Die zwei Schweden, sie galten schließlich immer als Shoegazer. Shoegazer wiederum gelten als weltabgewandte, introspektive Träumer. Weil sie mit ihren Sounds bekanntlich fuzzige, verschwommene Atmosphären schaffen, in denen man so versinkt, so dass man die Außenwelt vergisst.

Die originalen Shoegazer taten das in den frühen 90ern mit Gitarrenwänden aus meterdickem Feedback. Johan Duncanson und Martin Larsson aus Lund gingen 10 Jahre danach, Anfang/Mitte der ’00er Jahre, völlig anders vor. Sie spielten ihre Instrumente mit den billigsten Standard-Programmen auf ihrem Heim-PC ein. Sphärisch klang’s trotzdem.

Im Nachhinein entpuppte sich dies sogar als der Sound, der sie unverwechselbar machte – denn ins Studio gehen kann ja jeder. Die komprimierten Gitarren, der leicht verzerrte Gesang und die seltsam künstlichen Drums hätte man mit aufwendiger Technik ja viel klarer definieren und praller aufblasen können. Aber genau diese Sounds gaben den Tracks von The Radio Dept. den Charme grobkörniger Photographien – und manchmal sind ja unscharfe, unklare Fotos viel reizvoller als  rasierklingenscharfe HD-Bilder.

Ich frage mich, ob The Radio Dept ihre PCs je upgegradet haben. Denn auch 12 Jahre nach ihrem Indie-Szenedurchbruch „Where Damage Isn’t Already Done“ und sechs Jahre nach ihrem dritten Album „Clinging To A Scheme“ (2010) ist diese Körnigkeit immer noch da. Entweder also haben die zwei einen Weg gefunden, die warme Fuzzyness ihrer Aufnahmen auch auf anderen Rechnern zu erzeugen, oder sie arbeiten noch mit den gleichen Geräten wie immer.

Ein paar andere Dinge haben sich dagegen verändert über die Jahre. Dinge, die sich schon vor „Clinging To A Scheme“ andeuteten. Erstens begannen die Schweden über die Jahre, die Drums durch Drummachines auszutauschen und in der Folge die Beats ihrer Songs anders einzusetzen und sich diversen Stilen der Dancemusic anzunähern. Pulsierende 4/4-Tech-Beats oder schiebende Dub-Rhythmen tauchten in ihrem Sound auf.

Diese Entwicklung führen The Radio Dept. auf „Running Out Of Love“ weiter fort bis auf ihren vorläufigen Höhepunkt. Was bedeutet: Wenn jemand, der das bisherige Werk der Band nicht kennt, Titel wie „We Got Game“, „Occupied“ oder den Titelsong hört, so würde er das Duo wahrscheinlich für ein Dance-Projekt halten. Was man dabei nicht falsch verstehen darf: Diese Betonung auf den Rhythmus steht keinesfalls im Widerspruch zu den frühen Radio Dept. Denn die Beats verstärken nur den transzendenten Effekt des Band-Sounds. Sie fungieren als ein weiteres Mittel, um den Hörer in eine andere Sphäre zu entführen.

Der zweite substantielle Shift, der bei den Schweden im Verlauf ihres Schaffens eingetreten ist, kommt im Shoegaze-Zusammenhang eher unerwartet. Denn so sehr die Musik auf die Innenwelt abzielt, mit ihren Texte nehmen  Duncanson und Larsson die Außenwelt ins Visier – und das nicht irgendwie vage und neblig, sondern konkret politisch. The Radio Dept. sind engagierte Antifaschisten und seit in der schwedischen Politik ein Rechtsruck stattgefunden hat, halten sie mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg.

radio-deptSo heißt schon der erste Song „Sloboda Narodu“, quasi als Gegenstück zur 2014er-Single „Death To Fascism“ (siehe erste Zeilen dieses Reviews). Über „Swedish Guns“, die umwerfende Single, die sich zu Dubgaze-Klängen mit Schwedens Verstrickung in den internationalen Waffenhandel auseinander setzt, habe ich hier schon geschrieben. An anderer Stelle auf dem Album geht’s um Rassismus und Polizeigewalt, ingesamt thematisieren The Radio Dept. die wachsende Apathie bzw. das schwindende Gemeinschaftsgefühl in der schwedischen Gesellschaft – deshalb der Titel “Running Out Of Love“.

Was wir hier also vor uns haben, ist erstens eine Band, die einen wundervollen Sound entwickelt hat, eine eigene Klangidentität, die man sofort wieder erkennt. Zweitens bringen sie diesen Sound konsequent zu neuer Entfaltung und entwickeln faszinierende neue Spielarten – was nach sechs Jahren Albumpause keine Selbstverständlichkeit ist. Das alleine macht „Running Out Of Love“ schon zum großartigen Wunsch-Comeback einer Lieblingsband.

Aber dass The Radio Dept. drittens auch noch was Wichtiges zu sagen haben und das auf kluge und elegante Weise tun, das ist einfach nur meisterlich. Für mich gehört „Running Out Of Love“ zu den besten Alben des Jahres 2016. Unglaublich gut.

ranking-radio-dept

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