Ihr habt’s vermutlich schon mitgekriegt – am 14.10. melden sich die Kings Of Leon mit ihrem siebten Album zurück. Das wird den Namen „WALLS“ tragen, was wiederum für „We Are Like Love Songs“ steht. Ich nehme das als Anlass, mal wieder ein „Vinterview“ aus dem Archiv meines alten Blogs zu kramen, denn zum letzten KoL-Album (2013) habe ich doch tatsächlich auch einen Termin abbekommen. Mein Gespräch mit Nathan Followill fand am Tag nach ihrer Show in der Festhalle Frankfurt statt, noch ca zwei Monate vor der VÖ von „Mechanical Bull“.
Hello!
Hi, Mann, das war mal eine heiße Show letzte Nacht!
Ich schwitz jetzt noch!
Ich auch!
Haha!
Auf ein paar Straßen in Deutschland ist diese Tage der Asphalt geplatzt, wegen der Hitze!
Das glaube ich sofort! Ich bin heute früh aufgewacht und mein Haar war so lockig, als wäre ich direkt von der Dusche ins Bett gegangen. Verrückt!
Verrückt! Trotzdem, ich muss den Smalltalk beenden, denn Eure neue Platte kommt raus! Ich habe viele Seiten darüber zu schreiben und entsprechend eine Menge Fragen! Gestern war ich also auf der Show – und ich dachte mir: Diese Show fällt ja ein bisschen aus dem Rahmen. Ihr promotet kein aktuelles Album, das kommende kennt noch niemand. Also konntet ihr so etwas wie ein Greatest Hits Set spielen. Die Alben, von denen ihr am meisten gespielt habt, waren „Aha Shake Heartbreak“ und „Because Of The Times“ – erst ab der zweiten Hälfte habt ihr angefangen, Zeug von „Only By The Night“ zu spielen, eurer erfolgreichsten Platte. War das Eure Art, zu sagen „Hey, wir haben auch andere Platten!“ oder war das mehr oder weniger Zufall?
Nee, ich denke – also, wenn man so viele Shows gespielt hat wie wir, dann gibt es bestimmte… Was viele Leute nicht mitbekommen, ist, dass wir sehr genau darauf achten, was unsere Fans auf Twitter und Facebook sagen, welche Songs da gewünscht werden in verschiedenen Teilen der Welt. Das beziehen wir immer mit ein in die Planungen. Aber stimmt, eine Tour wie diese, auf der wir nicht unbedingt eine neue Platte promoten, weil die noch nicht draußen ist, das gibt uns die Chance, sozusagen vor einem Live-Publikum ein paar Songs zu üben, die wir länger nicht mehr gespielt haben und auch die Reaktionen zu beurteilen zu diesen Songs. Für uns ist das eine Herausforderung, die Spaß macht, mal einen Song in die Setlist zu werfen, den wir lange nicht geprobt oder gespielt haben. So nach dem Motto: „Oh, Shit! Heute nacht müssen wir uns an den Song wieder erinnern!“ Damit halten wir uns auch wachsam, wenn man so will. Damit halten wir die Sache für uns spannend. Manchmal hat man Abende, da will man einfach nur altes Zug spielen, oder nur Neues. Wobei für uns natürlich die neue Platte schon fertig ist, abgeschlossen, am liebsten würden wir losgehen und die komplette neue Platte spielen. Damit wir das nicht tun, gehen wir sozusagen an den Brunnen und holen alte Songs aus der Tiefe wieder nach oben, die wir früher immer gerne gespielt haben, aber nicht mehr im Set haben, weil neue Platten kamen.
Interessant – denn ihr klingt ja sehr eingespielt auf der Bühne, da kann man kaum glauben, dass ihr da oben wenig geprobte Songs „übt“. Welcher Song wäre denn ein Beispiel für eine Nummer, die ihr lange nicht gespielt habt?
Lass mich nachdenken… „Holy Roller Novocaine“!
Oh ja!
Den haben wir neulich zum ersten Mal wieder gespielt, gestern das zweite Mal, und wir hatten den Song nicht mehr gespielt seit 2003.
Seit 2003? Wow! Ha, ich habe noch zu meinem Kumpel gesagt: „Hoffentlich spielen sie ,Holy Roller Novocaine‘“.
Du hast gewonnen!
Haha! Aber er hat auch gewonnen, seinen Wunsch habt ihr auch gespielt. Mir fällt nur gerade nicht ein, was es war.
War‘s ein alter Song oder ein neuer?
Ein neuer.
Dann bestimmt „It Don‘t Matter.“ Das ist der ganz neue Song, den wir gespielt haben.
Ja, damit kommen wir zu eurem sechsten Album. Wie geht man ein sechstes Album an? Hattet ihr einen bestimmten Plan, eine Agenda im Kopf? Oder geht ihr einfach ins Studio und schreibt drauf los und sagt „Das Ergebnis wird letztlich von selbst zeigen, wo wir und hin entwickelt haben“?
Also, die vorletzte Platte, die vor „Come Around Sundown“, das war unsere erfolgreichste, was Verkäufe und Preise anbetrifft. In unseren Augen lastete auf uns ein größerer Druck bei „Come Around Sundown“ als jetzt bei „Mechanical Bull“. Denn da haben alle Leute gefragt: „Werdet ihr den Erfolgslevel von der letzten Platte halten können?“ Für uns ist das Ganze recht glücklich gelaufen, denn jetzt konnten wir so an die neue Platte rangehen: „Okay, der Druck ist jetzt von uns gefallen, denn der lastete auf der letzten Platte.“ Diesmal sind wir einfach mit der Einstellung und der Stimmung an die Sache gegangen: „Lasst uns Spaß haben!“
Ich meine, es ist ja viel darüber geschrieben worden, dass wir eine Pause eingelegt haben. Eine dringend benötigte Pause. So konnten wir mal eine Zeitlang Abstand von der Musik gewinnen, ein bisschen Abstand voneinander. Abstand als Bandmitglieder, nicht als Familie. Wir sind eine Familie und werden immer beieinander bleiben, aber es war gut, mit meinen Brüdern mal wieder von Bruder zu Bruder abzuhängen und nicht als Sänger, Drummer und Bassist essen zu gehen.
Und dann hatten wir das große Glück, dass wir uns unser eigenes Studio kaufen konnten, in Nashville. Wir haben uns ein Gebäude gekauft und ein ein Aufnahmestudio umgewandelt, also war dies die erste Platte, die wir ganz nach unserer eigenen Nase machen konnten. Das war unser eigener Raum, wir konnten uns die Zeit ganz nach unserer Laune einteilen, und so viel Zeit nehmen, wie wir brauchten. Das, glaube ich, hat uns die Möglichkeit gegeben, uns wirklich auf unsere Stärken zu konzentrieren. Und nachdem wir dann so lange keine Instrumente angefasst hatten, war es einfach super angenehm, ein Clubhaus / Proberaum / Studio zu haben. So haben wir das behandelt. Deswegen hat es einen Riesenspaß gemacht, zu arbeiten – denn wie gesagt, es war komplett unser eigener Freiraum. Da gab es keine Leute von der Plattenfirma, die uns über die Schulter gelinst haben und Songs hören wollten, da waren keine Manager unterwegs, da war wirklich niemand außer der Band. Und ich glaube, man kann das der Platte wirklich anmerken. Dass wir da einfach nur losgelassen haben und unseren Spaß hatten. Wir haben den Aufnahmeknopf gedrückt und hatten keine Angst, alles mögliche auszuprobieren. Alle möglichen verrückten Instrumente, alle möglichen verrückten Mikrofone – wir haben wirklich gesagt: Das ist UNSERE Platte, die machen wir, wie wir sie wollen, und wir lassen keinen Druck auf diese Platte kommen. Wenn man jetzt zurück guckt, lastete sehr wohl eine Menge Druck auf dieser Platte, aber ich glaube, wenn wir diesen Druck an uns ran gelassen hätten, hätte es ein anderes Ergebnis gegeben. So aber ist das Resultat einfach eine Platte, die Spaß macht. Die Fans von uns, die auf unsere „Aha Shake Heartbreak“ Phase stehen, die werden glaube ich wirklich happy sein, denn ich glaube, diese Energie, die konnten wir wieder anzapfen. Den Spaß, den es machte, solche Songs zu spielen.
Ja, wir haben vier Songs hören können, und drei davon waren wirklich schnell und rau. Sind sie repräsentativ für das, was wir auf dem Album kriegen werden?
Ich würde sagen – Mann! – es gibt so sechs, sieben in dieser Richtung, dann zwei oder drei, die man vielleicht am ehesten mit „Milk“ vergleichen könnte, oder „Trani“. Und dann sind noch ein paar Countrysongs dabei, mit Steelguitar und traurigen Biertrinkertexten. Irgendwer sagte: Jetzt, wo ihr bei eurer sechsten Platte angekommen seid, könntet ihr ja eine „Greatest Hits“-Platte machen. Ich glaube, das haben wir sogar gemacht. Wir haben unsere zwei, drei Lieblingsplatten hergenommen und neue Versionen ähnlicher Songs gemacht, aber als eine Band, die jetzt schon sechs Alben auf dem Buckel hat und nicht erst zwei oder drei.
Die Ballade, die uns vorgespielt wurde, hat mir aber auch gefallen. Das war „Beautiful War“. Ich habe mir meine Notizen gemacht und ich glaube, das ist der Song, den man seinem auserwählten Partner singt. „Love doesn‘t mean nothing, lest there‘s something worth fighting for.“ Für mich heisst das: „Okay, wir akzeptieren, dass wir schlechte Zeiten werden durchmachen müssen und uns auch streiten werden. Aber wir stecken hier gemeinsam drin und wir nehmen die guten Zeiten wie auch die schlechten mit“. Das jedenfalls ist meine Interpretation.
Das ist der Vertragen-wir-uns-Sex-Song. Das ist oft das Beste daran, wenn man mit seinem Partner Ärger oder Stress hat: dass man weiss, wenn man sich wieder verträgt, wird es umso süßer. „Beautiful War“, das ist einfach ein Song, mit dem jeder etwas verbinden kann. Egal, wie alt du bist, egal, wie lange deine Beziehung schon dauert, ob sie gerade so gut ist wie nie oder ihr eine raue Zeit durchmacht und vielleicht darüber nachdenkt, es völlig anzubrechen – egal, dieser Song spricht jedem von der Seele, der mal Liebe erfahren hat, gerade verliebt ist, sogar diejenigen, die Liebe noch nicht erfahren haben. Ich finde, das ist ein wirklich schöner Song, die Lyrics sind ziemlich tiefgründig – du konntest den Song vermutlich nur ein Mal hören. Was witzig ist: Viele Leute, die den Song hören, sagen „Ihr seid jetzt so viel reifer, ihr habt jetzt Familie, ihr versteht jetzt, was Liebe bedeutet.“
Denn in unserem Lifestyle, da erlebt man nicht viel Liebe. Wenn man auf Achse ist ohne einen echten Partner. So ist sie eben, die Situation. Aber: Caleb hat den Song geschrieben zur genau gleichen Zeit, als er auch „Use Somebody“ geschrieben hat. Er war ein jüngerer Typ! Er war noch nicht verheiratet – ich glaube, die zwei gingen aber neu miteinander aus. Aber das zeigt doch auch: Wenn ein Song in dir drin steckt, dann findet er auch seinen Weg nach draußen. Vielleicht nicht auf der Platte, für die du den Songs ursprünglich geschrieben hast, vielleicht drei Alben später – aber das ist auch was Schönes an unserer Band. Jedes Mal, wenn wir eine Platte machen, lassen wir immer vier Songs übrig. Die nächste Platte können wir dann damit schon mal damit anfangen. Dann ist das Ziel im Studio: „Okay, diese vier Songs werden wir toppen – oder sie kommen auf die Platte.“ Jedenfalls, „Beautiful War“ ist einer meiner Lieblingssongs auf dem Album, und wie gesagt, jeder, der ihn hört, fühlt sich berührt, von unseren Ehefrauen über unsere Familie zu Journalisten zu Freunden – jeder, der den Song hört, glaubt, dass das ein ganz großes Lied werden kann.
Smart auch die zweite Ebene: Der Rhythmus ist ein Marsch. Du spielst also den „Beautiful War“.
Ja, das stimmt! Die Snare ist wie ein Militärmarsch! Du nimmst sehr aufmerksam wahr – ich mag das, wie Du die Sachen auffasst!
Danke! Jetzt versuche ich natürlich, die Platte in einen Zusammenhang zu setzen mit Eurem Gesamtwerk. Du hast ja schon gesagt, den Druck, den ihr nach „Only By The Night“ gefühlt habt, den habt ihr abgelegt. Ich finde, die interessanteste Platte von Euch ist „Aha Shake Heartbreak“. Ich weiss noch, ich sprach damals mit Matthew und damals wart ihr im UK schon eine der größten Bands, aber in den USA doch noch vergleichsweise klein. Kennst Du den Film „Westworld“?
Nein, das tue ich nicht.
Ein Science Fiction-Film aus den 70s mit Yul Brynner. Es geht um einen neuartige Art, Urlaub zu machen. Man kann z.B. in einem sehr realistischen Wilden Westen Urlaub machen. Oder im antiken Rom. Und ich sagte zu Matthew: „So ist das auch bei Euch. Ihr könnt eine Parallelwelt besuchen, eine Insel, auf der seid ihr berühmt.“ Dann kommt ihr heim und alles ist wieder normal.
Verstehe.
Aber damals hattet ihr wenigstens ein „Normal“. Jetzt fragte ich mich, ob ihr dieses „Normal“ noch habt, wo ihr auch in den USA so erfolgreich seid.
Doch, doch. Wie leben jetzt ja schon ein paar Jahre in Nashville, Tennessee. Das gilt zwar als Stadt, aber es fühlt sich mehr an wie eine Kleinstadt. Okay, das ändert sich gerade, momentan explodiert die Stadt regelrecht. Viele Menschen ziehen hier her. Nicht zuletzt wegen der Musikszene. Lange kannte man Nashville ja nur für seine Countrymusik. Dann zogen wir hier her, dann kam Jack White nach Nashville, dann zogen die Black Keys nach Nashville. Jetzt liegt die Stadt damit auf der Hipster-Landkarte. Viele junge Bands zieht es jetzt nach Nashville. Für uns ist das ein Glücksfall. Wenn du in einer Stadt lebst, in der es völlig normal ist, dass du beim Gemüsekauf einen Country-Sänger triffst, dann geht das sozusagen in die Kultur der Stadt über. Dann lässt man dich in Ruhe, dann will keiner ein Autogramm. „Ach guck, da ist Faith Hill. Stark. Ich geh dann mal zur Milch.“ Dafür ist Nashville super, man gibt einem dort die Privatsphäre. Klar, jetzt wissen viele Leute, wer wir sind. Aber wir lebten da schon lange genug, bevor wir in Amerika berühmt wurden, dass die Leute auch unsere Freunde sind. Klar, wir sind weltweit durch die Decke gegangen. Aber für die Leute dort bin ich einfach nur Nathan, der zwei mal die Woche in den 12 South Taproom geht und seine Wings und sein Bier bestellt. So ist das, ganz einfach. Jetzt, wo Nashville so schnell wächst, stößt man immer mal auf junge Bands, die vielleicht erst seit sechs Monaten in der Stadt sind und die einen vielleicht ansprechen. Aber auch das ist ja nichts Unangenehmes. Wir haben doch alle ein Ego, dem das auch immer mal schmeichelt. Es ist doch schön, wenn ab und an ein junger Kerl auf dich zu kommt und sagt: „Mann, du bist mein Lieblingsdrummer!“ und dir erzählt „Wir sind aus Austin und jetzt wegen der Band hier her gezogen“. Vielleicht haben wir schon so was wie einen Status als Mentoren. Wir sind nicht mehr die Kids mit den großen Augen und den langen Haaren, die erst mal wieder vom Wirbelwind einer Welttour runter kommen müssen.
Ich habe gerade „Aha Shake Heartbreak“ erwähnt, denn die Platte finde ich musikalisch sehr interessant. „Youth And Young Manhood“ klang ganz klar amerikanisch, das war Südstaatenmusik. Aber der Nachfolger mixte das mit dem, was zu der Zeit im UK Indie passierte. Oder bist du anderer Meinung?
Nee, das stimmt total. „Youth And Young Manhood“, da haben Jared und Matt und Caleb ihre Instrumente ja noch nicht mal ein Jahr lang gespielt! Deswegen hatte „Youth And Young Manhood“ diese raue Kantigkeit. Denn erstens: Besser konnten wir unsere Instrumente noch gar nicht spielen. Zweitens: Wir konnten nur zehn Songs! Die Platte hätte gar nicht anders klingen können! Ich schätze mal, das kam als erfrischend rüber, vor allem in Großbritannien. Dass solche Musik überhaupt noch gemacht wurde, dass Jungs ihre Gitarre umschnallen und verschwitzte Zweieinhalb-Minuten-Rocksongs spielen und nach 40 Minuten alles vorbei ist – weil das schon alle Musik war, die wir auf Lager hatten! Dann aber auf Tour zu gehen im UK und in Europa – Mann, wir haben so viele Shows gespielt! Ganz zweifellos sind wir beeinflusst worden von der Szene dieser Zeit. Und die Bands, die groß waren, als wir das erste Mal in Europa waren, das waren Bands wie The Strokes, The Datsuns, The Libertines, Franz Ferdinand, My Morning Jacket, Interpol – all diese Bands, und wir als die junge Neulinge, wir haben das unterbewusst aufgesogen wie Schwämme. Wir haben das alles in uns aufgenommen, und als die Zeit kam, die zweite Platte zu machen, wieder Musik zu erschaffen, da war es so: „Mann, es gibt noch so viel mehr, was wir aus unseren Instrumenten raus holen können, man kann noch so viel andere Musik machen. Musik, die aus mehr als zwei Akkorden besteht und die man nicht so schnell und hart wie möglich spielen muss! Da haben wir die Melodien entdeckt, da haben wie entdeckt, dass selbst in einem so schlichtes Stück wie „Milk“ so viel Melodien und Schönheit unterbringen kann. Ein Song wie „Arizona“ – der dann nicht mal auf dem Album landete – aber auch das ist ein Beispiel für einen Song, der eigentlich von der Instrumentierung her sehr simpel ist, aber RIESIG klingt, und der einfach diesen melancholischen, wunden Punkt in deinem Herzen trifft.
Wir wollen natürlich auch über die Neue reden, aber mir schien dieses Album interessant, weil da zwei Welten aufeinander prallten. Ihr wart die Typen aus den Südstaaten mit dem religiösen Hintergrund – und in England kamen auf einmal all diese, ich werde es jetzt mal „Versuchungen“ nennen, die Euch nachgeworfen wurden. Habt Ihr Euch damals erstens) heimlich schon unwohl gefühlt in dem Wissen, den Versuchungen nachgegeben zu haben und zweitens) steht ihr da heute drüber, und hört man das vielleicht auch in der Musik?
Aaach… nein. Ich finde das nicht. Zum einen finde ich, dass wir uns nicht geändert haben. Klar, wir haben jetzt Familien, wir sind etwas lockerer und es gibt keine Faustkämpfe mehr und solche Dinge. Aber wir lassen es immer noch krachen – und glücklicherweise waren all unsere Ehefrauen Fans der Band, bevor wir sie überhaupt kennengelernt hatten. Sie stehen auch auf diesen Lifestyle, sie sind auch gerne unterwegs und haben Spaß. Wir machen immer noch so viel Party, wie wir wollen. Klar, man muss nicht mehr jede Nacht bis drei Uhr morgens auf der Piste sein, denn die Kleine wird wach um sieben, egal, ob du um zehn Uhr abends oder drei Uhr morgens heim kamst. Das verändert die Dinge ein wenig. Aber klar, zu Beginn unserer Karriere, da wurden diese Verbindungen gezogen, a la: „Die Priestersöhne machen jetzt das Werk des Teufels.“ Aber hey, ob Christ oder kein Christ, der Hintergrund ist doch egal – wenn Du einen 15jährigen, einen 16jährigen, einen 18jährigen und einen 20jährigen nimmst und ihnen alles gibst, was sie wollen, zum ersten Mal in ihrem Leben, und plötzlich sind sie in einem Land, wo sie trinken dürfen und wo sich ihnen die Mädels an den Hals werfen, Nacht für Nacht – da würde doch jedes Kid so reagieren, wie wir es taten! Egal, was vorher war.
Total, ja.
Okay, es war tabu für uns, in unserer Welt war es eine Sünde – und ein normaler Typ würde sich nichts dabei denken, ein Bier getrunken zu haben. Am Anfang gab es das, dass Leute diese Gut/Böse – Verbindung gezogen haben, und ich werde es offen sagen: Wir waren so richtig dreckige Sünder. Aber wir haben das nicht versteckt, nie. Wenn ich Interviews von mir aus den Jahren 2003/2004 lese, sage ich: „Holy shit! Uns war wirklich egal, dass die Leute mitbekamen, wie krass wir gefeiert haben!“ Aber ich würde im Nachhinein nichts dran ändern wollen. Wir hatten einen solchen Spaß! Bestimmt muss ich eines Tages mal meiner Tochter erklären, warum ich all das tat, was ich getan habe. Aber es war ein großer Spaß und keiner von uns würde das ändern wollen.
Ich ahnte schon, dass es da viele falsche Bilder von euch gibt, zumal ja euer Image auch ein bisschen cartoon-mäßig ist. Was ist denn die größte Fehleinschätzung, die über Euch deiner Meinung nach im Umlauf ist?
Hmmm… momentan ist das, was nicht stimmt, dass der Titel „Mechanical Bull“ nur von John Travolta inspiriert wurde. Wir versuchen, nicht so viel unserer Presse zu lesen. Manchmal sagen uns Freunde, sie hätten irgendwo etwas komisches gelesen, aber das juckt uns dann auch nicht weiter… wobei, das witzigste falsche Bild war wohl ganz am Anfang, als viele Leute nicht glauben wollten, dass wir verwandt sind. Einmal kam ein Journalist zu einem Interview in eine Konzerthalle und er hatte Baumwollstäbchen mit, um damit Speichelproben zu nehmen. Um Gentests zu machen, die beweisen sollten, dass wir nicht lügen.
Habt ihr da mitgespielt oder ihn auflaufen lassen?
Wir wollten, dass er die Stäbchen da lässt und sie ihm dann nach der Show geben. In der Zwischenzeit wollten wir dann vier Leute aus vier verschiedenen Ländern fragen, ob sie mitmachen – damit er die Resultate sieht und denkt: „Holy shit! Die sind nicht nur nicht verwandt – die haben nicht mal…“
…die gleiche Rasse!
Haha, genau! Oder eine Frau hätte mitmachen müssen! „Einer von ihnen ist eine FRAU!“ Haha! Also, das jedenfalls war der Fehleinschätzung. Dass uns eine Plattenfirma zusammen gestellt hätte, dass wir uns in echt an der Uni in Harvard getroffen hätten – dabei hätten sie uns keine Million Meilen in die Nähe von Harvard gelassen, so wie wir aussahen! Und wie die Zeit weitergeht, werden auch die Fehleinschätzungen größer, zu jedem Album gibt es eine neue – vor allem jetzt, wo‘s die sozialen Medien gibt und die Leute in einer solchen Geschwindigkeit kommunizieren können, wo ein Gerücht sofort um die Welt geht. Da kann eine winzige Zeitung in Idaho ein Gerücht in die Welt setzen, das nicht mal wahr ist, und sofort ist es auf Twitter, und CNN und USA Today greifen es auf. Da wird einem schon vor Augen geführt, dass die ganze Welt heute vernetzt ist.
Bist Du dann happy damit, wie ihr in dem Film „Talihina Sky“ rüber kamt? Ich habe den Film gesehen und natürlich ist er extrem unterhaltsam, aber ich dachte mir auch: Ein paar Leute in diesem Film sind Cartoon-Versionen davon, was man sich unter einem Südstaatler vorstellt.
Oha. Es ging uns eigentlich ums Gegenteil. Wir wollten zeigen: Wenn ihr denkt, wir seien so oder so drauf, zeigen wir Euch, wie es wirklich ist. Denn so viele Bands glorifizieren das alles, sie zeigen in ihren Dokus nur die angenehmen Seiten – die schönen Frauen im Bus, den Champagner im Flieger, die Suite im Hotel – oft machen die Bands das und streicheln eigentlich bloß ihr Ego. Also sagten wir: „Wir machen das Gegenteil!“ Wir zeigen den Leuten, dass es die zweite Seite der Kings Of Leon gibt! Dass wir zwar diesen luxuriösen Lebensstil auf Tour haben – und nicht mal der ist so luxuriös! Wir kämpfen im Bus, wir sprechen darüber, wie sehr wir uns hassen! Wir zeigen das Schöne, das Böse und das Hässliche. Uns war es wichtig, zu zeigen, wo wir herkommen und dass diese Leute tatsächlich unsere Familie sind. Okay, die durchgeknalltesten Typen in dem Film waren Cousins dritten und vierten Grades. Das sind Leute, die wir gerade mal ein Mal im Jahr sehen, zum Familientreffen. Aber es war doch wichtig für die Leute zu sehen, wo wir herkommen! Dass uns nichts auf dem Silbertablett gereicht wurde, dass wir wirklich hart arbeiten mussten um dorthin zu kommen, wo wir sind und dass – ich will nicht sagen, dass die Chancen dafür gegen uns standen – aber wir hätten in den gleichen Lifestyle rutschen können wir viele Figuren aus dem Film, und das hätte als normal und akzeptabel gegolten in unserer Familie. Denn so läuft das in diesem Teil der Welt. Klar, es gibt Szenen in dem Film, da mussten wir durch unsere Finger gucken, so peinlich war uns das. Im Großen und Ganzen aber sind wir alle sehr stolz – und gerade die Familienmitglieder, von denen wir immer dachten, sie würden sich für uns schämen, die waren SO stolz auf uns! Ein paar von ihnen sind jetzt Stars in Oklahoma, sie sind Filmstars. Es war ziemlich gewagt, dass wir den Film so veröffentlicht haben, aber ich würde daran nichts ändern wollen. Wir haben so viel positives Feedback von anderen Bands bekommen – nach dem Motto „Das habt ihr wirklich gut gemacht, wie ihr gezeigt habt, dass nicht immer alles ein Zuckerschlecken ist. Dass man müde und einsam wird, und die Schnauze voll hat voneinander. Die Leute denken, „Oh, du spielst eine Stunde lang in einem Stadion und hast den ganzen Tag sonst für Dich!“ Nein – du steigst nach dem Gig in den Tourbus um zwei Uhr früh, du kommst um halb vier Uhr morgens im Hotel in der neuen Stadt an, du schläfst bis halb zwei, kommst im Stadion schon zu spät für den Soundcheck an und sagst: Scheiße, mein ganzer Tag in Barcelona, und ich habe ihn verpennt!“
Okay… zu „Mechanical Bull“ – du erwähntest, der Titel werde falsch verstanden?
Nein, so ist das auch nicht richtig – es geht um das, was ich vorhin meinte. Ein Mensch schreibt was, und jeder Andere nimmt es auf und macht eine Story draus. Ich hatte ein Interview gegeben und die Frage war: Wo kommt der Albumtitel her? Also sagte ich „es gab diesen Film namens „Urban Cowboy“ in den 80s, mit John Travolta und Debra Winger. Kennst Du ihn?
Ich glaube, ja, aber das ist EWIG her, dass ich ihn mal gesehen habe.
Mann, den musst du wieder angucken! Jedenfalls, ein junger Typ, noch ganz blauäugig, nimmt einen Job bei einer Ölbohrung an, kommt also nach Texas und wird Stammgast in dieser Kneipe, und in der befindet sich ein Mechanischer Bulle. Der Film dreht sich also um sein Leben, aber im Rahmen der Handlung findet ein großer Wettbewerb auf dem mechanischen Bullen statt. Für den Film gibt es natürlich auch einen Trailer, der uns eines Tages mal wieder vor die Augen kam. Wir spielten dann „Beautiful War“ zu diesem Clip, und das war so passend, so schön, es war wie „Dark Side Of The Moon“ trifft den „Wizard Of Oz“.
… und jetzt erzählst du mir all das, wovon du doch wegkommen willst, was die Assoziationen zum Titel „Mechanical Bull“ angeht.
Nicht mal – ich habe dir den Film jetzt genauer beschrieben, als ich es dem anderen Typen je erzählte. Es gab einen Clip aus „Urban Cowboy“, dazu haben wir „Beautiful War“ gespielt, und dann habe ich noch ein bisschen mehr ausgeholt – aber das Einzige was er rauszog, war „Urban Cowboy“. Dann wache ich am nächsten Tag auf und überall steht: „John Travolta inspiriert das neue Kings Of Leon – Album!“ Da stand ja nicht mal „ein John Travolta-Film aus den 80s, in dem ein Mechanical Bull vorkommt, inspirierte die Platte“ – sondern nur: „John Travolta“. Und wer immer das jetzt liest, denkt vielleicht an den John Travolta von heute – und er fragt sich: „Was geht denn jetzt mit den Kings Of Leon ab?!“
Ich habe mir nämlich auch ein paar Assoziationen notiert zum Thema „Mechanical Bull“ – vielleicht kannst Du mir ja sagen, wie richtig oder falsch ich liege. Das erste was man mit so einem mechanischen Bullen verbindet, sind ruckartige Bewegungen. Und die ersten neuen Songs, die ich hörte, sie bewegen sich wieder ruckartig, fast störrisch.
Ja! Teils richtig, teils falsch. Aber ein Grund für diesen Namen war auch der Flow der Platte. Die springt von vorne und wieder zurück, sie hat keine gleichförmige Stimmung. Also, richtig, da würde ich sagen, du hast Recht.
Ich finde, der Titel steht auch für Trotz, für Widerstand. Denn das Gerät simuliert ja ein Tier, das bockt. Ein Tier, das sagt: „Ich lasse mir deinen Willen nicht aufdrängen, ich werfe dich ab!“
Ähem… nö – darum ging es nicht. Aber das ist gut! Vielleicht benutze ich das mal in einem Interview, wenn ich wieder sagen soll, wo der Titel herkam!
Okay, worauf freust Du dich in den nächsten Monaten am meisten und worauf am wenigsten?
Am meisten – die ganze neue Platte live spielen und sehen, wie die Kids darauf reagieren. Worauf freue ich mich am wenigsten? Sheesh – die Wochen, die ich von meiner Tochter getrennt sein muss.
Wenn ihr mal, sagen wir, zwölf Alben habt, und ihr guckt zurück auf Album Nummer sechs – werdet ihr eine bestimmende Erinnerung an sie haben?
Aaah – ja. Die wird sein: Das war die erste Platte, die wir in unserem eigenen, neuen Studio aufgenommen haben. Dafür alleine wird sie für uns immer etwas Besonderes sein – es ist ja nicht nur unsere erste Platte aus diesem Studio, sondern die erste überhaupt aus dem Studio. Hoffentlich heisst es mal: „Die erste Platte, die hier je aufgenommen wurde, war eine Kings Of Leon“-Platte. Die erste Platte, die wir je aufnahmen, machten wir in einem Studio namens „Shangri La“ in Malibu, Kalifornien. Und eine unserer ewigen Lieblingsbands, The Band, die hat dort immer aufgenommen. Das fanden wir super damals – und es wäre doch toll, wenn in 35 Jahren eine junge, neue Band in unsere Studios geht und sagt „Oh Mann, die erste Platte, die hier gemacht wurde, war von den Kings of Leon!“ Das wäre doch klasse.
Dann sind das also nicht nur eure Privatstudios, sondern ihr lasst auch andere Bands rein.
Wir haben jetzt ja auch unsere eigene Plattenfirma – ich bin mir ziemlich sicher, dass das letztlich so etwas wie das Label-Aufnahmestudio wird. Jetzt am Anfang ist es unser Studio, unser Proberaum und unser Clubhaus. Aber wir werden die anderen Bands dort aufnehmen lassen, klar.
Ich habe meine mir zugewiesene Zeit übrigens schon überzogen – aber da wir nicht unterbrochen wurden, habe ich das einfach ausgenutzt. Wenn du also das Interview abschließen möchtest, sag Bescheid!
Alles klar – ich habe Zeit bis Viertel vor, dann muss ich weg. Also hast du noch zwei Minuten!
Dann komme ich doch zu meiner Anekdote, nach der ich am Schluss immer frage. Was war der verrückteste Gig, den Ihr je gespielt habt?
Oh, Mann! Ist es okay, wenn die Show trotzdem super war, aber es trotzdem irgendwie komisch war?
Klar!
Dann muss unsere erste Show die verrückteste gewesen sein. Sowohl die erste in den USA als auch die erste in Grossbritannien. Die erste in den USA war verrückt, weil acht Gäste gekommen waren, sie alle trugen Cowboyhüte und Cowboystiefel, denn der Typ, der nach uns spielte, war eine Art Folklegende, dem ein paar Finger fehlten. Wir spielten also für acht Leute, die nur gekommen waren, um einen Typen mit sieben Fingern zu sehen und denen wir sowas von egal waren, das war schon komisch. Das beste aber war, dass sie es total liebten! Als der Vorhang runterging, waren wir einfach nur froh, unsere erste Show heil hinter uns gebracht zu haben und wir gaben uns Hi-Fives hinter dem Vorhang – um dann zu erkennen, dass der Vorhang praktisch durchsichtig war, dass all die Leute uns dabei beobachtet hatten, wie wir uns umarmten und abschlugen. Das war komisch, weil das ja auch auf keinen Fall Rockfans waren, das waren Folk-Fans.
Die UK-Show war verrückt, denn das war bei Tag ein Stripclub und bei Nacht ein Rockclub. Wir mussten, als wir ankamen, erst mal eine Stunde warten, weil die Girls in unserer Garderobe noch Lapdances gaben. Aber die Show war Wahnsinn. Irgendwie hatte man 200 Kids in einen Club gelassen, der vielleicht für 40 geeignet war. Es ging ab, das war irre.
Alles klar! Damit vielen Dank für die Extra-Zeit!
Alright, Buddy!
Viel Erfolg mit eurer Show heute und viel Erfolg mit dem Album!
Danke, see you soon!
– – –
Videos von „Mechanical Bull“
Kings of Leon – SuperSoaker from matt jackson on Vimeo.
Kings of Leon – Beautiful War from Phear Creative on Vimeo.
– – –
… und vom kommenden Album „WALLS“