Alex Lahey – B-Grade University EP
Ja, sie haben Recht. Alle, die Alex Lahey schon feiern, haben Recht. Das ist ja zuletzt zu einer kleinen Lawine geworden. Aber das war erst der Anfang, glaube ich. Die geht global.
Alex Lahey kommt aus Melbourne und sie ist mal wieder ein Musterbeispiel für meine ewige These, dass das, was einen Singer/Songwriter (bzw. -in) auszeichnen muss, Persönlichkeit und Charakter ist. Denn musikalisch ist das, was Alex macht, nix Neues: Gitarrensongs halt. Indierock halt. Aber hey, diese EP ist famos.
Wer feiert Alex Lahey schon alles? Erstens die australischen Indie-Radios, die vor allem auf ihre zweite Single „You Don’t Think You Like People Like Me“ ansprangen. Zweitens Josh Pyke. Der Sänger aus Sydney hat, feiner Zug, eine eigene kleine Stiftung gegründet: Er unterstützt jährlich einen neuen australischen Musiker mit Rat, Tat und einer kleinen Prämie. Alex Lahey hat sich beworben und frisch gewonnen. Das Geld kann sie gut brauchen, hat sie doch bisher auf ihrem Eigenlabel veröffentlicht. Allerdings, die Talentscouts MÜSSEN sie inzwischen jagen, denn drittens ist auch Pitchfork bei den Begeisterten. Wie kam’s? Pitchfork-Autor Ryan Schreiber sollte für eine Aussie-Radioshow aktuelle Lieder von down under bewerten. Als man ihm Alex vorspielte, fand er sie so toll, dass er ihr gleich ein kleines Feature auf der US-Online-Bibel widmete.
Und was ist es nun, das Alex macht?
Sie schreibt Songs, die einfach superclever sind. Songs mit idealen Hooklines, die textlich so genau das Ziel treffen , dass man schon von Perfektion sprechen muss.
Nehmen wir mal ihr bisheriges Vorzeigestück „You Don’t Think You Like People Like Me“. Schon der Titel geht ins Ohr, als wäre er von Morrissey. Worum geht’s? Um einen Kerl, der erst was mit Alex hatte, um sich dann aber zu entscheiden, dass sie halt nicht sein Typ ist. Das ist verletzend. Das ist ein Gefühlsdurcheinander. Einerseits, Alex ist verliebt und will ihm zeigen, dass sie es sehr wohl wert ist, sie versucht ihn umzustimmen. „Maybe I’m the one exception that will last forever, but that can only happen if you let us be together“. Andererseits, der Typ hat sich scheiße verhalten: „You’re staying over long before my lights go out – it’s taken so long for you to figure out?“ So ein Gefühlserdbeben muss man erst mal offenlegen. Wenn man’s tut, gilt es, die richtige Vertonung zu finden. Alex macht einen schnittigen Sägezahnpopsong draus, der all die Wut und die Entwürdigung in einen Würfel presst. Schon, wie der Song losgeht! Zack! Zack Zack Zack! Höchster Luftfaustfaktor! Hit!
Auch die Single, die danach kam, ist ein Bringer. Eine Hymne ganz anderer Art. „Let’s go out and have fun tonight, let’s go out and get drunk tonight!“ singt Alex in „Let’s Go Out“, dem Lied, das man ab heute den Rest des Jahres jedes Wochenende auflegen wird, bevor man abends auf die Piste geht. Wichtig: Dies ist keine Hurra-Party-Hymne. „Let’s Go Out“ bedeutet: Heute feiern und Spaß haben, Welt vergessen, weil es an den Nicht-Feiertagen anders aussieht. Das ist zumindest der Subtext, den ich mir einbilde, zu empfangen. Anyway: NOCH ein Hit für die Nächte, wenn ich endlich wieder auflege.
Soweit die beiden Singles, die vorab erschienen und 2/5 der „B-Grade University EP“ bilden (Alex Debüt „Air Mail“, ebenfalls prima, ist nicht auf der EP – besorgt euch das einfach on top). Bleiben noch drei neue Songs. Drei Songs, die uns einerseits neue Seiten von Alex, der Songwriterin zeigen, aber Alex, die Persönlichkeit, vertiefen:
Die Gitarren von „Ivy League“ sägen mit einer beinah shoegazigen Breitseite rein. Thema: Unsicherheit. Das Gefühl, was Schlechteres zu sein, als alle anderen. Exemplifiziert hier anhand der Uni, auf die Alex geht. „If I were an Ivy League kindof girl, do you think that they would give me more shifts at work?“ fragt sie, denn “I went to B-Grade University and got my self an arts degree, whoahoo!“ Ich muss niemandem erklären, warum das smart ist, oder? Weil wir uns alle immer irgendwie unadäquat fühlen, und weil wir alle immer was finden, woran wir’s festmachen. Diese Traurigkeit zu lokalisieren, sich gleichzeitig über diese Lächerlichkeit bewusst werden – also ich finde es herrlich, dass Alex dies alles in einen Popsong packt. Zumal die bereits angesprochenen Gitarren dem Ganzen wirklich eine satte Dynamik geben. Stark.
„Wes Anderson“ ist das Liebeslied auf der EP, und auch das gelingt ihr brilliant. Weil Alex so wunderschön aus ihrem Tagebuch erzählt. „We went to the movies, cause I know you like Wes Anderson. You held my hand the whole time and no joke, you have the softest skin“ schwärmt Alex. Sogar die „Ohh-oh-ho“s transportieren Verliebtheit. Das muss man können. „Every day with you’s my lucky day“ singt Alex im Refrain, und wieder mal bringt sie ein Gefühl umwerfend gut auf den Punkt.
Bleibt noch „L-L-Leave Me Alone“, der Song mit dem laidback Dolewave-Feel (wir sind schließlich in Melbourne). Das Eifersuchtslied. „Your new girlfriend kinda looks a lot like me“ stellt Alex fest und klingt dabei eher enttäuscht als giftig. Auch sehr gelungen. Auch ein Song, dessen Emotionen sofort überspringen.
Eine Sache noch: Man hat Alex Lahey schon „die neue Courtney Barnett“ genannt. Weil es sich natürlich anbietet – beide sind aus Melbourne, beide erzählen aus dem Nähkästchen, beide machen irgendwie 90s-Indierock, beide haben einen sehr trockenen, selbstironischen Humor. Trotzdem möchte ich diesem Vergleich gerne widersprechen, alleine damit er Alex nicht ab jetzt für immer wie ein Mühlstein um den Hals hängt. Denn, denn, denn: Ich habe es schon gesagt – es ist Alex Persönlichkeit, die diese EP trägt. Ihre ganz eigene.
Abgesehen davon, Alex ist auch diejenige von den beiden, die mehr in Richtung Pop zielt – Courtneys Songs können schließlich auch mal ganz schön vor sich hin driften, während bei Alex alles festgezurrt ist.
Und wenn wir schon Äpfel mit Birnen vergleichen, möchte ich als Pfirsich eben noch Annika Norlin (Hello Saferide/Säkert) ins Spiel bringen. An deren Songs und an deren Witz fühle ich mich nämlich eher erinnert, wenn ich Alex höre, als an Courtney Barnett.
So oder so: Hey, Alex Lahey – das war eine beeindruckende Vorstellung!
Update 3.8.
Inzwischen haben sich weitere begeisterte Fürsprecher für Alex Lahey getroffen, darunter Tegan & Sara. Da fällt mir was auf: Henning, ein bisschen blöd bist du ja schon, dass du Alex‘ Partner in deinen Analysen ein männliches Geschlecht gibst („der Typ“). Eigentlich deuten alle Signale darauf hin, dass Alex noch eine weitere Gemeinsamkeit mit Courtney Barnett hat. Wer’s noch nicht kapiert hat: Lesbe zu sein.
Aber hey. Ist das nicht andererseits komplett nebensächlich? Den Songs nimmt es nichts. Beziehungsscheiße ist Beziehungsscheiße, Verliebtsein ist Verliebtsein, Unsicherheit ist Unsicherheit – und wenn ich als 45jähriger Hetero in München Lieder einer Lesbe Anfang 20 aus Melbourne hören und nachvollziehen, miterleben und auf mich übertragen kann, bezeugt das ja nur, wie universalgültig und nervtreffend Alex schlaue Beobachtungen und packende Gitarren sind.