Ich bin nicht der, der einen Text zu David Bowie schreiben sollte. Echt nicht. Andere Leute haben Anekdoten und persönliche Treffen zu bieten, sie haben Initiations-Ereignisse erlebt und prägende Einschnitte in ihrem Leben durch Bowie erfahren. Habe ich alles nicht.
Aber hey. Es ist ja auch nicht so, dass es möglich wäre, heute einfach nichts zu sagen.
Zuerst mal, als verworrene Einleitung: Alle lieben Dave Grohl. Aber ich finde ja, der Foo Fighters-Frontmann ist bei aller natürlichen Sympathie, die er ausstrahlt, schon auch die Personifizierung des „Humblebrags“. Des Bescheiden-Tuers, der in Wirklichkeit angibt. Bekannt ist zum Beispiel die Keynote Speech, mit der er mal SXSW eröffnete. Alle jubelten „Er ist so auf der Erde geblieben!“ – und ich so: „Was, ähem, ist bescheiden daran, eine weltweite Konferenz zu eröffnen, indem man Stunde lang vor vollem Saal nur über sich selbst redet? Und sich dabei, verschämt das Häschen spielend, garantiert immer ins beste Licht rückt?“
Dieses Wochenende nun sprach Dave dann auf dem Begräbnis von Lemmy Kilmister. Und wieder ging er ans Podium und redete nur über SICH. Sein Thema war: „Was bedeutete Lemmy für MICH?! Was sagte er irgendwann mal zu mir?!“ „Schau an, Grohl,“ dachte ich da, „Schaffst es wieder, eine Veranstaltung, in der es eigentlich mal echt NICHT um Dich gehen sollte, für dich zu hijacken. Aber alle lieben dich dafür.“
Ich weiss jetzt aber: Ich bin im Unrecht, wenn ich so rede. Ich weiss jetzt: Es geht in diesen Momenten vielleicht tatsächlich darum, die eigenen Bedeutungen noch mal nachzuerleben und die jetzt schon vermisste Person auf diese Weise zu würdigen. Woran merke ich das? David Bowie ist gestorben, und es juckt mich, dazu auch was zu sagen. Dabei war ich bestimmt nie sein größter Fan, das waren Andere. Aber es juckt so, dass ich kratzen muss. Und die einzige Möglichkeit, mich dazu ehrlich zu äussern, ist, mir noch mal die Frage zu stellen: „Was bedeutete dieser Mensch MIR?“ Zumal: während die Tribute weltweit eintreffen, von Promis und privaten Fans, kann ich gar nicht anders, als sie alle zu verschlingen. Die Geschichtchen von Bowies netten Momenten oder von besessenen Fans, deren Leben er veränderte.
Ich schließe daraus: Vielleicht ist es so – Ihr kennt diese Computergrafik-Kunstbilder, in denen ein riesiges Porträt aus tausenden winzigen Einzelporträts zusammengesetzt wird? Wenn wir alle unsere Nuance zu Bowie erzählen, werden wir das Gesamtbild ergeben. Auch wenn meine Nuance nicht sein oranges Auge sein wird, sondern ein Fussel auf seiner Federboa. Aber trotzdem, seinen kleinen Teil zum Gesamtbild trägt es vielleicht bei.
Ich muss erst mal ehrlich sein und erklären: Ich habe Bowie immer… respektiert. Auch bewundert und cool gefunden. Aber nicht geliebt, wie ich andere Musiker geliebt habe. Ich habe nie das Gefühl gehabt, mich ihm wirklich nähern zu… dürfen. Ja, nicht zu dürfen.
Wo kommt das her? Das liegt an meinem Alter. Ich bin nämlich in genau der Zeit auf Musik geprägt worden, als Bowie einen kurzen Durchhänger hatte. Als 1980 „Scary Monsters“ erschien, war ich zehn. Zu jung für Bowie. Ich nahm ihn bewusst das erste Mal erst wahr, als ich 12 oder 13 war und gerade angefangen hatte, all mein Taschengeld in den Plattenladen zu tragen. Im Frühjahr 1983 jubelte jubelte alle Welt über sein „Comeback“.
Heute ist es üblich, dass Bands sich drei oder mehr Jahre Zeit für ein Album lassen. Damals war es das nicht. In den elf Jahren zwischen ’69 und ’80 hatte Bowie nicht weniger als 13 Alben gemacht! Dann aber drei Jahre Pause vor „Let’s Dance!“ Das neue Werk wurde daher behandelt, als sei jemand von den Toten auferstanden. Es gab nur ein Problem: „Let’s Dance!“ liess mich ziemlich kalt.
Mich interessierte es deswegen auch nicht im Geringsten, mich mit seiner Vergangenheit zu befassen. Ich hörte doch keine Musik, die zehn Jahre und älter war! Ich hörte die Neuen! Howard Jones, Wang Chung, Men Without Hats, Nik Kershaw, Duran Duran! David Bowie? War doch von gestern!
1984 kaufte meine Schwester sich das „Tonight“-Album. Die änderte meine Meinung nicht, kein Wunder, weil diese Platte heute noch, ähem, nicht gerade als seine beste gilt. Und als dann 1985 auch noch zu LiveAid das gemeinsame „Dancing In The Streets“-Video mit Mick Jagger präsentierte, in dem die zwei sich aufführen wie zwei Onkels, die glauben, sie haben’s noch voll drauf und jetzt uneingeladen einen Teenie-Geburtstag aufmischen wollen – da entschied ich mich erst mal, Bowie aber echt voll uncool zu finden.
Ich weiss. Sorry! Aber das passiert eben, wenn man zum genau falschen Zeitpunkt groß wurde.
Dass Bowie offenbar doch was Besonderes war, das merkte ich erstmals auf eine eigenartige Art und Weise, an die ich mich auch noch genau erinnere. Durften in Eurem Gymnasium auch die Kunst-Leistungskursler ihre Arbeiten ausstellen? In unserer Aula waren mal wieder diese weißen Stellwände platziert worden, und eine davon hing voll von Porträts einer schmalen Figur mit aufgemaltem Blitz im Gesicht. „David Bowie“ stand drunter.
Das war aber nicht der Bowie, den ich aus „Dancing In The Streets“ kannte. Das war eine komplett mysteriöse Figur. „David Bowie sieht doch ganz anders aus“ mokierte ich mich zu meinen Kumpels. Ein Oberstufler korrigierte mich gleich: „Quatsch! Auf seinen frühen Platten hat er immer anders ausgesehen!“
Ui. Der Mann hatte also eine Vergangenheit. Eine schräge Vergangenheit, mit Blitzen im Gesicht! Erstens das, zweitens war er jemand, der erkennbar eine angehende Künstlerin an unserer Schule so sehr begeisterte, dass sie Stunden darauf verwendete, ihn zu porträtieren. Keine Frage, da musste mehr dahinter stecken. Noch war ich aber nicht so weit, mein Taschengeld für 15 Jahre alte Platten auszugeben.
Als ich später selbst mein Abi machte, lernte ich einen neuen Freundeskreis kennen. In diesem Zirkel war es selbstverständlich, dass man „Hunky Dory“ und „Ziggy Stardust“ gefälligst in seiner Plattensammlung hatte. Da durfte ich gar nicht zugeben, dass sie in meiner fehlten. Ich brachte das Gespräch auf die Pixies. Mir war klar: Um bei Bowie mitreden zu dürfen, würde ich mir alle seine Alben aus den 70ern zulegen und sie aber wirklich konzentriert durchhören müssen. Die abgefahren, grellbunten Glam-Rock-Alben genauso wie die düstergraue Berlin-Phase. Mehr als ein Dutzend Alben. Davor stand ich wie vor einem Achttausender, auf den ich klettern sollte.
Also blieb ich einfach gleich im Basislager.
Ich habe mich nie in die Bowie-Diskographie reingefuchst. Ich habe ihn immer nur aus der Ferne bewundert, und ich bewunderte auch die ein bisschen, die vom Achttausender kamen und erzählten.
Klar, man kennt zig Bowie-Songs, auch ohne eine einzige Platte zu besitzen. Klar, über die Jahre, Jahrzehnte kam ein Lieblingsstar nach dem Anderen und sie alle bezogen sich in Interviews auf die eine oder die andere Phase von Bowie. Sie hatten ihn bei „Top Of The Pos“ gesehen, ihr Daddy war ausgeflippt, und sie wussten: „Das mache ich auch, wenn ich groß bin!“. Klar, all die Fotos, sie zeigten diesen Alien, diesen Zauberer, diesen Stylo, auch diesen kurzzeitig uncoolen Onkel und diesen würdevollen weisen alten Mann. Klar, der Typ war eine Ikone sondergleichen, klar wusste ich das.
Ich war trotzdem der, der sich nur kleinlaut fürs Auflegen eine „Best Of“ zulegte. Der seinen Mund hielt, wenn die Anderen schwärmten.
Und jetzt habe ich trotzdem einen Text darüber geschrieben, was ich über all die Jahre mit Bowie assoziierte und welche skurrile Rolle der geheimnisvolle Thin White Duke in meinem Leben als Musikfan einnahm, auch ohne dass ich mich je näher an ihn ran wagte. Irgendwie auch bezeichnend dafür, was der Mann für eine Macht war, oder?
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Mein Lieblingslied von Bowie? „Heroes“, natürlich. Zum Einen.
Zum Anderen: Ein Moneybrother Konzert in der Elserhalle, auf dem Höhepunkt seiner kurzen Karriere. Live war der Schwede ja bekannt großartig. Zur Zugabe covern Anders Wendin und seine prima Band einen schmissigen Song, den ich total kenne – aber mir fällt partout nicht ein, woher. Ich kenne die Melodie! Ich kann die Bridge mitsingen! Tagelang trage ich die Frage mit mir rum: Welcher Song war das? Dann macht’s unvermittelt: Klick! Bowie! Aus genau der Phase, die ich oben als uncool beschrieben habe. „Modern Love“, die dritte Single vom „Let’s Dance!“ Album (1983), nie ein großer Hit. Aber hey, der Song hat echt seine Wucht. Seitdem ist das Lied mein Lieblings-Bowie-Stück zum Auflegen im Club geblieben.