Josh Pyke – „But For All These Shrinking Hearts“
In der Marketingsprache gibt es einen Ausdruck: USP. The „Unique Selling Point“. Das Einzigartige, Unverwechselbare, das ein Produkt auszeichnet, weswegen man’s kauft. In der Musikindustrie ist das Produkt der Künstler / die Künstlerin / die Band / ihr Werk.
Josh Pyke aus Sydney ist ein Singer/Songwriter, der zu Hause in Australien eine feste Größe ist. „But For All These Shrinking Hearts“ ist sein fünftes Album. Der Rest der Welt hat nie so richtig Notiz genommen – und wenn ich ehrlich bin, glaube ich auch, dass ich den Grund weiss. Nicht mal ich würde, wenn ich ein Label hätte, Geld investieren, wenn ich wollte, dass es auch zurück fliesst. Denn Josh Pyke hat keinen USP. Trotzdem: meine Fresse, ich liebe den Typen!
Was meine ich, wenn ich sage: Josh Pyke hat keinen USP? Also: Der Mann ist nicht besonders dies, er ist nicht besonders das. Was das Singer/Songwriting-Dingens angeht, ist er ein Allrounder, der ALLES sehr gut macht – aber nichts extrem.
Wer ist denn als Songwriter zum Beispiel komplett einzigartig? Sufjan Stevens zum Beispiel. Sufjans Lieder haben ihre ganz eigene Atmosphäre, und seine Texte berühren dich wie eine nasse Hand unterm Hemd. Auch Josh Pykes Texte sind gut, richtig gut. Fast jede Zeile ist ein Hinhörer – ein intelligenter Vergleich vielleicht, eine einleuchtende Beobachtung, oder eine Stückchen augenzwinkernde Poesie. Aber sie sind viel zurückhaltender und kryptischer als die von Sufjan.
Es gibt Singer/Songwriter, die protzen mit ihren ausgefeilten Arrangements, zum Beispiel, indem sie ein Orchester engagieren oder alles auf Folk trimmen. Josh Pyke benutzt auch mal Streicher, hier zum Beispiel auf „Late Night Drive“, aber halt nicht so, dass man gleich „Hey! Flöten, Pauken und Trompeten“ denkt. Auf „Still Some Big Deal“ plinkert dafür versteckt ein Banjo, aber keiner würde auf die Idee kommen, dass er hier die Folk-Karte spielen will. Er bleibt subtil, unaufgeregt, gibt nicht an.
Ab und zu wird Josh ein bisschen flotter, schreibt Songs, die man sich auch auf dem Indie-Dancefloor vorstellen kann. Aber „Leeward Side“ vom 2013er-Album „The Beginning And The End Of Everything“ bremst halt doch noch gerade so, um nicht als Kooks-mäßiger Knaller durchzustarten, und die aktuelle Single „Hollering Hearts“ ist nur zu 3/4 „Riptide“.
Wenn es also eine durchgehende Emotion gibt, die Josh Pyke immer verkörpert, so ist es Unaufdringlichkeit, fast Distanziertheit. Pyke ist nicht unemotional, aber seine Songs scheinen alles immer mit etwas Abstand zu betrachten und zu analysieren – und dann auch noch in seine Bildsprache zu verschlüsseln. Aber diese reservierte Position ist eine, die mir so zusagt, dass sie mir manchmal fast aus der Seele spricht.
Ich habe den Song „Leeward Side“ von 2013 angesprochen. Ein Lieblingslied von mir. Der Refrain geht los mit: „I wanna be someone worthy of your conversation“. Ich glaube, das ist genau die Liebeserklärung, die ich machen würde.
Auf der neuen Platte wiederum singt Josh „I’m not looking for a shiny love, I’m looking for someone to rust with“. Josh ist 37, jünger als ich, und ich kann hier total verstehen, was er meint.
So. Josh Pyke also. Ein dezenter Singer/Songwriter, stilistisch, sagen wir, irgendwo zwischen Badly Drawn Boy und Elliott Smith. Seit fünf Alben dreht er seine Runden, und er bleibt sich dabei sehr treu – „But For All These Shrinking Hearts“ ist zwar für Pyke organisatorisch eine Zäsur, weil er sein eigenes Label gegründet hat – aber musikalisch und von der emotionalen Ausrichtung her unterscheidet es sich nicht doll von seinen Vorgängern. Sagen wir, es führt es sein bisheriges Werk weiter mit neuen Variationen. Wenn das jemandem nicht genug ist, sehe ich das ein. Aber ich LIEBE Josh Pykes Songs einfach. Nicht weil sie mich umwerfen, sondern weil sie mich anstupsen.
Jetzt noch Folgendes: Ich habe das Album zum ersten Mal so richtig bewusst durchgehört auf Elternbesuch in meiner Heimatkleinstadt. Wenn ihr denkende und fühlende Menschen seid, wisst ihr, wie problembelastet so ein Trip in die Vergangenheit sein kann. Dass hinter jeder Ecke alte Gespenster lauern. Ich bin an jenem Abend durch Sonthofen im Allgäu geradelt, die Sonne stand tief zwischen den Bergen. Ich fuhr an all den „old haunts“ (wie der Engländer nicht ohne Grund sagt) vorbei – und zu meinem Erstaunen hatte ich meinen Frieden geschlossen. Joshs versöhnliche, weise Lieder waren der ideale Soundtrack dazu. Ich atmete den Allgäuer Sauerstoff und ich war mit der Welt im Reinen. Es war ein gutes Gefühl, älter, reifer und all der Scheiss zu sein.
Ich bin Henning. Ich mag Eiskaffee, die tiefstehende Sonne und die unaufgeplusterten Lieder von Josh Pyke.