Tame Impala – „Currents“
So, gebe ich doch auch eben noch meinen Senf dazu, oder? Dass Tame Impalas Dritte die Platte des Sommers 2015 ist, steht außer Debatte. Entsprechend ist auch schon sehr viel über „Currents“ geschrieben worden, sehr viel Gutes und Informatives, zum Beispiel hier, hier und hier. Noch eine Rezension zu schreiben, die die Platte beschreibt, ist kaum notwendig. Zumal: Ich habe für piranha wieder ein Telefon-Interview mit Kevin geführt (Hurra!), das ich hier in Gänze demnächst posten werde.
Darum mache ich es diesmal etwas anders und antworte auf ein paar Dinge, die übers Album gesagt werden.
Ja, Kevin Parker verwendet auf den neuen Platte sehr viel mehr Synthies und kaum noch Gitarren. Ich finde nicht, dass das einen so markanten Bruch darstellt, wie einige Leute zu denken scheinen. Weil im Kern ja immer noch SONGS stehen, von den Melodien her typische Kevin Parker-Songs. Es ist ja nicht so, dass wir hier plötzlich ewige Unnz-unnz-Tracks vor uns hätten, in denen eine ewig wiederholte Zeile „Raise your hands in the air“ oder sowas fordert. Nein, „Cause I’m A Man“ ist als Song doch gar nicht so anders als „Feels Like We Only Go Backwards“, nur anders umgesetzt.
Wenn man sich aber z.B. die Kommentare unter dem Guardian-Artikel durchliest, sind da doch ein Haufen versnobter Besserwisser am Start, die immer noch die Denke vertreten, dass Synthies auch zwangsweise Haarspray und Chartpop und Anbiedern an den Mainstream bedeuten. Aber das ist ja wohl eine extrem überholte Einstellung. Trotzdem gibt’s Leute, die jammern, dass „Currents“ ein Sellout sei, mit dem Kevin an die große Kohle ran wollte. Aber: Hätte Parker die Kommerz-Karte spielen wollen, hätte er ja doch einfach „Lonerism 2.0“ machen können? Erfolg hatte er damit ja! Sollte ein Reboot seines Sounds nicht viel mehr das Risiko bedeuten, dass er seine Fans verprellt? Dass Kevin mit der Tame Impala-Formel spielt und sie bricht, ist doch viel mehr mutig und kreativ!
Als „Lonerism“ erschienen war, erzählte Kevin, dass er zuletzt ein paar durch-und-durch-Popsongs geschrieben hätte, die nicht in die Tame Impala-Welt passten. Jetzt wolle er sie vielleicht Kylie Minogue anbieten. (Wir sprachen darüber auch in dem Interview, das ich zu „Lonerism“ führte.) Der Kern dieser Geschichte ist doch, dass Kevin ganz offensichtlich Spass am Schreiben solcher Songs fand, aber sich nicht traute, sie in die Tame Impala-Welt zu übergeben. Weil über Tame Impala schon in eine Schablone namens „Psychedelic Rock“ gelegt worden war. Und das kann’s ja nicht sein. Es kann doch nicht angehen, dass Kevin von außen entscheiden lässt, was Tame Impala ist und was nicht. Von außen hat niemand zu sagen „diese Songs sind zu poppig für Tame Impala“. Wer und was Tame Impala ist, das entscheidet Kevin und niemand sonst, und wenn er seine Musik an neue Ufer führen will, dann steht ihm das verdammt noch mal zu. Hooray for Tame Impala Pop, sage ich!
„New Person, Same Old Mistakes“ scheint sich direkt auf diesen Konflikt zu beziehen:
„I can just hear them now: ‚How can you let us down?‘ But they don’t know what I’ve found.“
„I know you don’t think it’s right, I know that you think it’s fake – maybe fake’s what I like.“
Ich jedenfalls habe eine große Freude an dieser Neuorientierung. Die ersten zwei Platten bleiben dadurch doch unangetastet perfekt – aber auf diese Weise kriegen wir auf „Currents“ einige Sachen zu hören, die es so von Tame Impala bisher nicht gab – „Let It Happen“ zuallererst, den satten Dancefloor-Knüller (in meiner Indiepop-Welt wenigstens, in einem Dance Club würde er bestimmt immer noch krass verwirren), der 8 Minuten dauert und mich keine Sekunde davon langweilt. Oder „The Less I Know The Better“, auch eine groovige Disco-Nummer, die trotzdem 100% Tame Impala bleibt.
Was wir auch kriegen, ist Kevin Parker als sehr viel konkreterer Texter und Sänger. Frühere Texte waren zwar nicht die transzendenten Hippie-Schwurbeleien, als die sie oft dargestellt wurden, aber sie richteten sich meist nach innen, nicht nach außen. Jetzt verlässt Kevin den Kokon, spricht konkret die Menschen und Veränderungen in seinem Leben an. Yes, I’m Changing.
Es gibt zwei Änderungen in der Außenwelt: Erstens Kevins Trennung von seiner Freundin Melody Prochet (von Melody’s Echo Chamber), die zum Beispiel in „Eventually“ thematisiert wird. Zweitens der inzwischen enorme Erfolg und dessen Folgen. Kevin weiss, dass er sich diesen nicht entziehen kann. In „Eventually“ singt er „There’s a world out there calling my name“, aber eine andere Schlüsselzeile dazu ist für mich in „Disciples“ versteckt: „I can see that you’ve changed“ beginnt Kevin, doch der Satz ist noch nicht vorbei. Es folgt der Pay-off „… all the people around you.“ Erfolg verändert nicht nur den Erfolgreichen. Sondern auch das Verhalten seines Umfelds. Jedenfalls, Kevins Leben hat sich mit dem Erfolg von „Lonerism“ umgekrempelt, und „Currents“ ist sein Versuch, sich seinen Reim darauf zu machen und sich damit anzufreunden. Auch damit, dass er als Person Veränderungen an sich erkennt. Wobei eine Wandlung bzw Öffnung des eigenen Musikgeschmacks, so dass man auch Air, Daft Punk, die Bee Gees und Michael Jackson als neue Einflüsse akzeptiert, ja nun wirklich keinen dramatischen Umbruch darstellen.
Anyway. Ich liebte Tame Impala bisher und ich finde, dass „Currents“ einen famosen nächsten Schritt darstellt. Einiges, was inzwischen charakteristisch ist für Tame Impala, wirklich himmlische Melodien nämlich sowie Sounds, die aus vogelwildem Experimentieren entstehen und bei knalliger Hittigkeit landen, gibt es hier en masse. Dabei tritt Parker nicht auf der Stelle, sondern hat mit seinem Eintauchen in die Synthie-Welt eine weitere Dimension gefunden. Plus, wie erwähnt, „Currents“ ist ein Upgrade in Sachen Texten und Gesang. Typisch Tame Impala ist wieder, dass die Songs mit mehrmaligem Hören immer besser werden – mit einer Ausnahme: Das sonderliche „Past Life“ mit seinem Robo-Sprechgesang wirkt zuerst als kurioser Aufhorcher, wird auf lange Sicht aber dann doch zu dem Song, bei dem man auch mal auf die Skip-Taste drückt. Dafür sind sogar die zwei kurzen Instrumentals „Nangs“ und „Gossip“ famos und bringen wichtige Farbtupfer ins Gesamtbild. Eine wirklich starke Platte also, die die immensen Erwartungen sogar übererfüllt.
Tame Impala – ‚Let it Happen‘ (Live on Conan) from WarpLoT on Vimeo.