2010 begann ich mit dem Bloggen, damals unter der Webadresse hennissey.piranha.tv. Doch letzten Sommer wurde mein Blog leider gelöscht.
Viele (leider nicht alle) meiner alten Interview-Transkripte habe ich noch auf meinem Laptop – und weil’s ja auch irgendwie schade wäre, wenn sie da versauern, werde ich sie hier nun nach und nach wieder online stellen. Diese “vintage Interviews” (Hüstel!) nenne ich “Vinterviews”.
Portlands The Helio Sequence haben letzte Woche ein starkes sechstes Album veröffentlicht, schlicht „The Helio Sequence“ betitelt. Zum Vorgängeralbum „Negotiations“ beantwortete mir Sänger/Gitarrist Brandan Summers im Herbst 2012 einige email-Fragen.
Was ‘ne feine Band, The Helio Sequence. Die krebsen auch schon lange durch den US-Underground und werden immer etwas besser. Ihr viertes Album „Keep Your Eyes Ahead“ ein wichtiger Bestandteil des Soundtracks für 2008. Jetzt präsentieren Brendan Summers (Gitarre, Stimme) Benjamin Weikel (Drums) aus Portland endlich den Nachfolger: „Negotiations“. Dazu hat Brendan mir ein email-Interview beantwortet.
Die Erwartungen an dieses Album sind gar nicht so niedrig, oder? Schließlich gab es zuletzt eine Anzahl von US-Underground-Bands (speziell aus Portland), die ähnlich stetig größer wurden, einfach durchs stetige Veröffentlichen guter Musik, und ab einer bestimmten Schwelle die Massen erreichten und zum US Top10-Act wurden. (Decemberists, Modest Mouse, Spoon oder Death Cab wären hierfür Beispiele). Die Vorstellung ist, dass nach dem tollen und sehr beliebten „Keep Your Eyes Ahead“ auch the Helio Sequence zu dieser Liste gehören könnten. Wie denkt Ihr darüber?
Als wir anfingen, „Negotiations“ aufzunehmen, da waren wir uns natürlich bewusst, dass „Keep Your Eyes Ahead“ bei vielen Leuten etwas ausgelöst hatte, so dass es eine gewisse Vorfreude auf die neue Platte gab. Aber unser erstes Ziel war immer, starke Platten zu machen. Wir spielen seit 16 Jahren zusammen, und wir hatten immer das größere Ganze im Kopf: Ein Gesamtwerk zu schaffen und uns dabei zu entwickeln und daran zu wachsen.
Als wir dann im Studio waren, da spürten wir weniger Druck von außen, als die Erwartungen, die wir an uns selbst stellten: Etwas zu schaffen, das wir lieben. Wir beide fühlen uns geehrt, dass wir so tolle Fans haben, dass es uns weiter möglich sein wird, zu touren und aufzunehmen. Wenn wir an den Punkt kämen, an dem wir die „Schwelle“, wie du es nennst, überschreiten und breitere Aufmerksamkeit finden, dann wären wir natürlich trotzdem sehr dankbar.
Was waren so Eure Pläne, Vorstellungen und Ziele, als ihr mit den Aufnahmen fürs Album anfingt?
Das Ziel ist immer, etwas zu schaffen, das eine ganzheitliche Erfahrung ist. Eine Geschichte mit Anfang und Schluss – etwas, das man von vorne bis hinten am Stück hören kann, nicht nur eine lose Sammlung von unverwandten Songs, oder eine „Single“ und Füllmaterial drum herum. Ganz einfach gesagt war unser Ziel, eine Platte zu machen, wie wir sie auch selbst gerne hören würden.
Die neue Platte wirkt auf mich leiser, langsamer, subtiler als „Keep Your Eyes Ahead“. Siehst Du das auch so und wenn ja, worauf führst du das zurück?
Dieser subtilere Ton auf „Negotiations“ hat viel mit dem Einfluss dessen zu tun, was wir in der Zeit so hörten, als wir schrieben und aufnahmen. Ich las ein Buch über die Geschichte der Tonaufnahme und stieß da auf eine Referenz zu Frank Sinatras „Sings Only For The Lonely“-Album. Da war mein Interesse geweckt, ich ging auf Suche nach dem Album, fand in einem Laden eine LP und es hat echt geklickt. Diese unmittelbare Direktheit von Sinatras Performance, der Minimalismus und die Schönheit von Nelson Riddles Arrangements haben mich echt gepackt. Von da aus wurde ich Fan von allen Sinatra-Alben aus seiner sogenannten „Suicide“-Albumserie, die er für Capitol aufgenommen hatte, seine unterschwelligen, gedämpften Alben aus den 1950ern: „Where Are You“, „No One Cares“, „In The Wee Small Hours“. Von da aus glitt ich immer weiter in den Jazz: Lee Konitz, JImmy Giffre, Jim Hall, speziell die Minimalisten.
Benjamin wiederum hörte in dieser Zeit sehr viel elektronische Ambient Musik aus den 70s und 80s: Roedelius, Brian Eno, Manuel Gottsching. Und wie wir uns so über die Musik unterhielten und sie uns vorspielten, da merkten wir: So unterschiedlich die Genres sind, so hatten sie doch viele Gemeinsamkeiten: Die Tiefe, das Subtile, das Detaillierte, das Nutzen von Raum und Arrangements. Das waren die Qualitäten, die wir dann auch auf „Negotiations“ heraus arbeiten wollten.
Die Geschichte, die vor der Album-VÖ herum ging, ist die, dass Euer alter Übungsraum überschwemmt wurde. Das hast du bestimmt schon tausend Mal erzählt, aber kannst du uns trotzdem noch mal kurz die Gefühle beschreiben, als du zum ersten Mal davon hörtest?
Als ich den Anruf unseres Nachbarn erhielt, da waren wir gerade auf Tour, irgendwo an der Ostküste. Rekordartige Regenfälle hatten das Abflusssystem von Portland überfordert, dabei wurde auch unser Kellergeschoss-Studio überflutet. Mein Herz blieb regelrecht stehen, ich befürchtete das Schlimmste. Meine Frau fuhr dann ins Studio und sah sich das Ganze am Tag danach an, und sie rief uns mit einem Update an, das uns sehr erleichterte. Zum Glück stand all unser teures Aufnahme-Equipment hoch genug, um verschont geblieben zu sein. Wir haben nur ein paar kleinere Dinge verloren, ein paar Reverb Prozessoren, Drums und Gitarrenpedale, und was sonst so am Boden lag. Aber das Meiste musste nur ordentlich gesäubert und abgetrocknet werden.
Letztlich war diese Flut ja Glück im Unglück – denn sie veranlasste Euch zum Kauf eines neuen Loft-Studios. Genauso war es im Nachhinein Glück im Unglück, dass Du vor „Keep Your Eyes Ahead“ deine Stimme verloren hattest. (Brendan nahm Gesangsunterricht und befasste sich viel bewusster mit Gesang und Melodien – das machte „Keep Your Eyes Ahead“ zum Quantensprung ihrer Karriere) Dieses „Glück im Unglück“ scheint irgendwie Euer Ding zu sein. Fällt Dir noch so ein Glück im Unglück in Eurer Karriere ein?
Vermutlich war es unser größtes Glück im Unglück, dass wir einfach keinen Bassisten finden konnten, als wir damals anfingen. Wir haben es mit einen ganzen Haufen Leuten versucht, aber mit keinem hat es richtig geklappt. Aber anstatt aufzugeben, entschieden wir, es ganz anders aufzuziehen und, was damals noch sehr ungewöhnlich war, einfach als Duo und mit Sequencing zu arbeiten. Was erst nur eine Notlösung war, wurde letztlich das Charakteristikum und die Basis für The Helio Sequence!
Was wird Euer nächstes Glück im Unglück?
Keine Ahnung – Hauptsache, wir müssen nicht noch mal umziehen!
Ich bin kein Fan von U2, aber manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich The Edges Gitarrensounds mag. Wenn ich jetzt sage, dass ich finde, deine Gitarre klingt oft U2-esk, ist das für Dich ein Lob oder eine Beleidigung? Wer sind deine Lieblingsgitarristen?
Ha, das hängt natürlich davon ab, ob Du es als Kompliment meinst oder als Beleidigung 😉
Als ich aufwuchs, da war ich nie ein Fan von U2. Aber irgendwann während der Aufnahmen zu „Keep Your Eyes Ahead“, da hat es endlich „Klick“ gemacht. Vor allem „The Joshua Tree“ und „Unforgettable Fire“. Den Bombast und den Prunk von U2, den ich früher immer so gekünstelt und wichtigtuerisch fand, sah ich plötzlich in einem anderen, ehrlicheren Licht. Plötzlich hörte ich Schönheit und Tiefe in dieser Allgemeingültigkeit ihrer textlichen Botschaften und ihrer überlebensgroßen Musik, und das erlaubte mir, die Scheu, die ich immer vor der Band hatte, abzulegen. Und ich mag The Edges Herangehensweise an die Gitarre tatsächlich sehr, weil er sich völlig löst von diesem maskulinen, Blues-zentrierten Ego des Lead-Gitarristen, weil er viel mehr arbeitet mit Textur, mit Raum, rhythmischer Komplexität – aber dabei eine starke Stimme behält. Wie er die Gitarre einsetzt, wie einen Wandteppich, auf dem der Song stattfindet, das finde ich wirklich umwerfend. Außerdem haben wir am gleichen Tag Geburtstag, also MUSS es eine Verbindung geben 😉
Was andere Lieblingsgitarristen angeht, als ich aufwuchs war Kurt Cobain mein Idol – seinetwegen habe ich mit 13 die Gitarre in die Hand genommen. Natürlich war auch Kevin Shields ein wichtiger Einfluß, auch wieder dafür, wie er die Gitarre als Werkzeug für Textur und Raum verwendet. Die Gitarrensounds von Bands wie Bowery Electric oder Ride waren ebenfalls ein sehr großer Einfluss.
Während der Aufnahmen bin ich dann auf Bill Frisell gestoßen und habe mich absolut in sein Spiel verliebt. Er ist definitiv einer meiner Lieblingsgitarristen. Ich kannte seine neueren, country-eskeren Sachen, aber ich bekam seine erste Soloplatte „In Line“ von 1983, auf dem ECM-Label, und die zog mir die Schuhe aus! Seine Atmosphären, wie er Bending einsetzt, sein Umgang mit Harmonien! Deswegen arbeitete ich mich durch zu all den anderen ECM-GItarristen: John Abercrombie, Ralph Towner, Bill Connors, Steve Eliovsen… alles tolle Musiker! Ich bin jetzt riesiger Fan von ECM und durchstöbere immer alle „Gebraucht“-Kisten in Plattenläden – da stößt man auf Edelsteine! Ich höre, während ich dies tippe, tatsächlich gerade „Swimming With A Hole In My Body“ von Bill Connors!
Einer der Lead Tracks der Platte ist „October“ – Was kannst du uns zu dem Song erzählen?
Ich sehe meine Texte heute als eine Art Brief meines Unterbewusstseins, den ich an mich selbst schreibe oder an jemand aus meinem Leben. „October“ war für einen Freund, der eine harte Zeit durchmachen musste, um ihm zu sagen, dass das Schlimmste vorbei gehen wird. Es ist aber auch ein Song, der aussagt, dass man einer widrigen Situation nicht aus dem Weg gehen soll, sondern sich ihr stellen soll und, auch wenn es schwer ist, das zu tun, was am Ende das Bessere ist. Kurz und gut ist es einfach ein Lied über Hoffnung.
Ihr habt Eure Basis in Portland, was in den letzten Jahren ein absolutes Szene-Zentrum geworden ist. Ich denke mal, ihr seid gut verknüpft in dieser Szene? Wie seht Ihr die Szene? Ich sprach auch schon mit Leuten, die meinten, der Höhepunkt der Szene sei bereits überschritten, was meint Ihr? Würdet Ihr einer jungen Band raten, sich in Portland nieder zu lassen?
Portland ist eine echt pulsierende Stadt, nicht nur in Sachen Musikszene, sondern überhaupt, übergreifend zwischen den Künsten. Klar habe ich Freunde, die Musiker sind, aber auch Maler, Drucker, Fotografen, Designer, Grafiker, Schreiber, Comiczeichner, Typographen, Modedesigner und mehr. Jeder interessiert sich für das, was der Andere macht, und alle ermutigen sich gegenseitig. Das ist eine Atmosphäre, in der sehr viel gedeihen kann, und in der sehr viel Platz für Kreativität herrscht. Ich hab nicht das Gefühl, dass Portland irgendwie einen Höhepunkt erreicht hätte, und erst recht nicht überschritten. Permanent tauchen neue Bands auf: Nurses, Radiation City, AU, Hosannas, Michael the Blind und viel mehr!
Ich glaube aber nicht, dass ich qualifiziert bin, einer jungen Band Entscheidungen abzunehmen und ihr zu sagen: Komm nach Portland! Ich kann nur sagen, dass es eine sehr schöne Stadt ist, in der es sich toll leben lässt, mit einer wirklich starken Musikszene, an der man teilhaben kann. Aber hier her zu ziehen, weil man glaubt, von der Hipness des Ortes profitieren zu können, das wäre albern.
Im September geht‘s auf Deutschlandtour. Worauf freut Ihr Euch am meisten?
Hoffentlich haben wir diesmal auch etwas Zeit, mehr zu sehen als nur die Clubs, in denen wir auftreten. Es wird vergehen wie im Flug! Ich freue mich darauf, wieder nach Berlin zu kommen. Letztes Mal spielten wie da mit unseren Freunden von The Album Leaf und das war klasse. In Köln und Hamburg war ich noch nie, da freue ich mich drauf, zwei neue Städte kennen zu lernen.
Zum Schluss immer meine Frage nach der Anekdote: Was war der verrückteste Gig, den ihr je gespielt habt?
Hmm, da gab es so einige über die Jahre. Vielleicht das eine Mal, als wir ankamen und als letzte Band eines Allnight-Raves tief in einem Wald in Oregon spielen sollten? Als nur noch etwa sieben Leute da waren, die aussahen, als wären sie Komparsen aus „Mad Max“, um uns herum schwelende Lagerfeuer, Bewusstlose, die im Schlamm lagen, und neben der Bühne ein riesiger Lastwagen voller schmutziger Stofftiere!
Vielen Dank und liebe Grüße aus München – zu schade, dass Eure Tour Euch nicht in unsere Stadt führt! Aber hoffentlich klappt es ein andermal!
THANKS!!!
The Helio Sequence – Hall of Mirrors [OFFICIAL VIDEO] from Alex Huebsch on Vimeo.