Schon mal in Søldarfjørður gewesen? Wohl kaum, oder? Das nämlich ist ein kleines Örtchen auf den Färöer-Inseln. Abgelegener geht’s in Europa kaum. Aber auch weitab vom Schuss kann tolle Musik entstehen. Hans Marius Ziska, Singer/Songwriter aus Søldarfjørður, ist ein weiteres Beispiel dafür, dass auf den Nordatlantikinseln eine erstaunliche Szene blüht. Sein zweites Album „Home/Heim“ erscheint bei uns am morgigen Freitag (17.04.), im Mai kommt Marius auf Tour. Kürzlich war war er aber bereits unterwegs in Deutschland, im Vorprogramm der Sängerin Eivør. Ich traf ihn für ein Gespräch.
Hast du uns das Färöer-Wetter mit nach München gebracht? Bis gestern hatten wir hier Frühling!
Ja, sieht ganz so aus, was? Auf den Färöern war’s zuletzt ganz ähnlich wie jetzt hier.
So – das zweite Album!
Yes!
Ich frage immer gerne: Was hast du gelernt? Zwischen dem ersten und dem zweiten Album?
Eine Menge, denke ich. Man lernt jedes Mal. Dieses Mal bin ich anders an die Sache ran gegangen. Wir haben viele dieser Lieder schon lange live gespielt, bevor wir sie aufgenommen haben. Lieder wie „Going Home“ haben wir in Deutschland und anderswo, wo wir tourten, schon länger gespielt. Als es dann darum ging, die Platte aufzunehmen, entschieden wir daher: Lasst uns die Songs live einspielen, denn so fühlt es sich für uns natürlich an. Es gibt eine Gruppe von insgesamt sieben Musikern, die mich abwechselnd, aber regelmäßig auf den Touren begleiteten. All die haben wir versammelt, dazu die einen oder anderen Gäste, und dann haben wir das Album live aufgenommen. Alles ist live, bis auf die Gesangsspuren. Was ich also gelernt habe seit dem ersten Album – es hat mir viel Spaß gemacht, das erste aufzunehmen, aber das war mit einem Produzenten, der die eine oder andere Sound-Schicht auf die Lieder auftrug. Aber hier war jetzt der Gedanke, es live aufzunehmen und es so heraus zu bringen, wie es auch auf der Bühne klingen würde.
Sieh an – ich hätte das nicht gedacht, gerade weil ein paar Songs doch zusätzliche Elemente bekommen haben. Die Version von „Shades“ zum Beispiel hat Synthies, die ich von den Live-Versionen bisher nicht kannte, und Eivør singt mit, nicht zu vergessen.
Das stimmt schon, wir hatten also die Live-Versionen, aber Mikael Blak, der als eine Art Producer fungierte, hatte auch die eine oder andere Idee, die wir ausprobierten. Ein paar neue Arrangements – aber die probten wir erst ein, und dann haben wir diese neu arrangierten Versionen im Studio Bloch live aufgenommen. Wir haben nichts nachträglich hinzugefügt, nichts editiert, nur neue Versionen eingespielt.
Du hast zur Hälfte Songs auf Englisch, und zur Hälfte Songs in färöischer Sprache auf dieser Platte. Die Frage natürlich: Was ist für dich als Sänger und Autor der große Unterschied?
Der Unterschied ist… gar nicht mal so groß. Es sind halt zwei Sprachen, aber gesungen fühlt es sich sehr ähnlich an. Ich wollte lange schon Lieder auf färöisch schreiben, und dann passierte es irgendwann, und diese Lieder mochte ich sehr gerne. Als es dann wieder Zeit war, ein neues Album aufzunehmen, stellte sich die Frage: Wie gehe ich jetzt vor? Kann ich das kombinieren? Ich entschied mich dann, zwei Seiten zu machen. Wenn du eine Vinyl-LP hast, dann hast du auf der einen Seite die englischen, auf der anderen Seite die Songs in färöisch. So schien es mir Sinn zu machen.
Ich glaube, wenn du ein Megastar wärst, würde man dir abraten, in einer Sprache zu singen, die nur so wenige Leute sprechen. So aber finde ich, es ist sogar ein Bonus. Das macht es irgendwie exotisch. Man kann diese Lieder jemandem vorspielen und sagen: Rate mal, welche Sprache das ist!
Ja, das haben auch andere Leute schon gesagt, und ich bin der gleichen Meinung. Wenn man in seiner eigenen Sprache singt, dann kann man ein paar Sachen ausdrücken, die man auf Englisch nicht ausdrücken kann – deswegen mag ich es, in meiner Sprache zu singen. Und dass es für internationale Hörer exotisch klingt, so „Was ist das?“, das ist ein schöner Nebeneffekt. An erster Stelle steht für mich aber die Freude am Schaffen von Musik. Da traue ich dann am Liebsten meinem Bauchgefühl, da will ich dann auch nicht darüber nachdenken, a la: „Wird es den Leuten nicht besser auf Englisch gefallen?“ Darum geht es mir nicht.
Eine Frage, die ich mir immer stelle: Es gibt doch echt Singer/Songwriter wie Sand am Meer. Es könnte Millionen geben.
Echt wahr, ja.
Und all diese Singer/Songwriter machen letztendlich etwas Ähnliches, sie stehen da mit ihrer Gitarre.
Stimmt, hehe.
Trotzdem gibt es ein paar, die ragen heraus. Und ich frage mich immer: Was ist der Grund, dass manche einfach anders sind als der Rest? Daher die Frage: Was, denkst du, ist der Grund, dass Du heraus ragst?
Hmmm. Naja, erst mal muss ich natürlich sagen, dass ich mir selbst nicht sicher bin, ob ich heraus rage. Wenn es aber Leute gibt, die das denken, freut mich das. Ich weiss nicht – ich versuche einfach nur gute Songs zu schreiben, das ist mein Rezept. Ich finde, ein Song muss etwas zu sagen haben, er muss seinen Ort haben. Ein Song muss Sinn machen, irgendwie. Wenn er das tut, ist es ein starker Song, der sich durchsetzt in der Wildnis der anderen Songwriter. Vielleicht hat es auch was damit zu tun, dass man in seiner eigenen Sprache singt. Schwer zu beantworten.
Also, ich darf sagen, für mich ragst du heraus. In meinem Job höre ich ja viele Singer/Songwriter, und viele sind einfach nur Typen mit Gitarren, die einem alle das gleiche sagen. Sachen, die man schon tausendmal gehört hat – oder sie singen Melodien, wo man schon vorher weiss, wie die nächste Zeile gehen wird.
Ja.
Ich fragte mich, ob bei dir vielleicht Folk von den Färöer Inseln ein Einfluss ist, oder sonst etwas nordisches, das ich nicht so kenne, und weswegen du für mich etwas anders klingst als andere Gitarrentypen.
Ja, das könnte sein. Es könnte sowas sein. Ich höre gerne alte färöische Songs. Kári Sverrisson zum Beispiel, er war in einer Band von den Inseln namens Ennek, die sich sehr an altem nordischem Folk orientierte. Oder ich höre den alten Folk der Sängerin Annika Hoydal. Gut möglich also, dass das in mein Songwriting findet. Aber ich betrachte es nicht so, ich sehe es mehr so, dass ich etwas schaffe, von dem ich das Gefühl habe, dass es aus mir raus muss. Ich bin ja schließlich auch sehr stark von der Musik beeinflusst, die man heutzutage so hört.
Ja, das wäre meine nächste Frage gewesen. Auch wenn die Frage „Von wem bist du beeinflusst?“ die langweiligste von allen ist, wollte ich dich fragen, welche Songwriter du am liebsten hörst.
Ich denke, ich habe angefangen Musik ernsthaft zu spielen, als ich 16 war. Und wenn man lange genug Musik gemacht hat, hat man mal Rock gespielt und mal was anderes, man war in dieser und jener Band – und irgendwann kristallisiert sich die eigene Vorliebe, der eigene Sound heraus.
Ich höre hier raus: Du hast also als Rocker angefangen?
Sozusagen. Aber Melodien habe ich immer gemocht, und die sind auch immer bei mir geblieben. Ich wollte immer gute Songs schreiben, aber man folgt dabei immer bestimmten Lichtern. Damals klang ich vermutlich mehr wie Pearl Jam oder sowas, aber das ist 16 Jahre her. Ich fing dann aber an, mich mehr und mehr für Melodien zu begeistern. Wenn du eine Melodie schreibst, dann hörst du sie von irgendwoher, und diese Melodie, sie geht über etwas, und du musst es ausdrücken.
Du fängst also mit der Gesangsmelodie an und baust dann sozusagen die Akkorde um die Melodie herum?
Es geht oft damit los, dass ich nur so auf der Gitarre vor mich hin spiele, und dabei entsteht etwas, das ich mag. Oft genug fallen mir dann in genau diesem Moment auch die Worte dazu ein. Es ist gleichzeitig, meistens.
…wenn diese Songs dir quasi zufliegen, weisst du dann bei den Texten selbst manchmal nicht, worum sie gehen?
Oft genug nicht sofort. Aber es steckt schon irgendwie in einem drin. Man ist kreativ, man versucht, etwas auszudrücken, das von innen kommt.
So eine Art offener Kanal zum Unterbewusstsein?
Das glaube ich, ja. Manche Songwriter sagen ja auch, sie „entdecken“ Songs. Denn es geht ja nun mal meistens nur um eine begrenzte Anzahl von Themen, und es gibt nur eine begrenzte Anzahl an Akkorden, die schon so und so oft kombiniert worden sind. Es geht also nur darum, etwas zu entdecken. Die Akkorde irgendwie neu zu kombinieren.
Und deshalb finde ich es immer noch spannend, Songwriter zu interviewen. Weil letztlich doch jeder seinen anderen Ansatz hat. Zum Beispiel: Ebenfalls von euren Inseln stammt Teitur. Er sagt, er erzählt einfach nur Geschichten, und der Song ist quasi der Soundtrack zur Story.
Das macht er wirklich gut, er ist auch für mich eine echte Inspiration. Für viele Songwriter, nicht nur bei uns auf den Inseln. Er ist so gut, dass das überall anerkannt wird.
Ganz anders redet zum Beispiel Kristin Hersh übers Songschreiben. Sie sagte quasi: „All diese Songs sind schon da, sie schweben quasi im Raum – und ich pflücke sie nur ab.“
Oh, das ist eine gute Beschreibung. Man hat ja diese Fähigkeiten und die Möglichkeiten direkt vor sich, es geht nur um den richtigen Moment, das einzufangen.
Die Platte heißt „Home“, und deine Heimat sind nun mal die Färöer Inseln. Was bedeutet dir diese Heimat?
Ich glaube, „Home“ ist einfach der Ort, an dem man sich zu Hause fühlt. Wo man die Schuhe ausziehen kann und mit seinen Freunden reden kann, und wo man geschätzt wird. Es kann viel bedeuten.
Man sagt aber, gerade die Färöer-Insulaner seien sehr eng mit ihrer Heimat verbunden. Man liest, dass viele junge Leute wegziehen, aber dass sie fast alle heimkehren.
Ja, das stimmt, die meisten kommen zurück. Aber das Problem ist, dass viele nach Dänemark gehen und sich gut ausbilden lassen, zum Beispiel als Doktoren. Dann kommen sie nach Hause und es gibt auf ihrem Gebiet gar keine offenen Stellen. Grundsätzlich sind wir Färinger aber gerne auf unseren Inseln. Auch wenn das Wetter scheisse ist. Dennoch ist die Verbindung stark, weil sich nichts so anfühlt wie der Ort, an dem man groß wurde. So geht es doch den meisten, oder?
Also, ich muss als jemand, der schon auf den Inseln war, schon sagen, dass es wirklich ein ganz besonderer Ort ist. Sogar dein aktuelles Video anzuschauen, dass ja fürs Tourismusbüro gemacht wurde…
Ha, ja, das stimmt…
… alleine dieses Video zu sehen, weckt so viele gute Assoziationen. Schon die Luft ist dort so viel besser als hier. Eine Geschichte: Letztes Mal, als ich auf den Inseln war, war an einem Tag ein Bustrip geplant um 12.00 Uhr. Ich habe tatsächlich verschlafen! Verschlafen! Ich schlafe NIE bis 12! So tief und ruhig schlafe ich nur auf den Färöern.
Die Luft vielleicht? Die Wanderungen? Aber das freut mich sehr. Ich bin sehr glücklich, wenn ich höre, dass Leute aus anderen Ländern die Färöer mögen. Allen Färingern bedeutet das viel, sie mögen es sehr, wenn Leute aus anderen Ländern kommen und es ihnen gefällt. Wir leben nun mal sehr abgelegen und sind nur ein kleines Land. Auf dem Globus sind wir ein Nichts.
Ich hoffe, es wird mich mal wieder dort hin verschlagen. Glaubst du, dass die Natur und das Wetter auch irgendwie in deine Musik findet?
Ja, das glaube ich schon. Ich glaube, es wird einen Unterschied machen, ob man einen Song in den Schweizer Alpen schreibt, oder in Göta auf den Inseln. Aber darüber denke ich wenig nach, und ich verdränge beim Schreiben die Gedanken daran. Ich will das der Magie überlassen. Naja, ich habe Lieder in färöischer Sprache, die befassen sich natürlich mit dem Leben auf den Färöern.
Du bist ja nun doch regelmäßig auf Tournee, hast du auch on the road schon Songs geschrieben, merkst du da einen Unterschied?
Also, bei einem Song erinnere ich mich, da habe ich zumindest die Strophe und die Melodie geschrieben, als ich auf Tour in Deutschland war. Wir waren auf der Straße unterwegs bei Schnee, um uns herum schneebedeckte Tannen, nur sehr wenige Autos außer uns auf den Straßen. Das gefiel mir sehr, und oft ist Songwriting etwas sehr Visuelles. Man sieht etwas, das man mag, und das bewegt sich in deinem Kopf, das inspiriert dich. Ich fand also dieses Gefühl der Einsamkeit auf der winterlichen Straße inspirierend – und das war keine andere Inspiration, als sie es auf der Insel gewesen wäre, das Gefühl war sehr ähnlich. Insofern könnte ich keinen großen Unterschied zwischen dieser Melodie und meinen anderen Melodien erkennen.
„Going Home“ ist bereits ein Hit auf den Färöern, liest man. Andererseits: Ab wann ist etwas auf den Färöern ein Hit? Es gibt ja nur 48.000 Leute, was bedeutet das also?
Naja, das weiss ich selbst nicht. Manche Songs werden halt oft im Radio gespielt, ein zwei Mal am Tag, vielleicht, über ein paar Wochen. Sehr gut gelaufen ist es für den Song „Nærveran“, den ich auf dem Hoyma-Festival spielte. Ein kleines Festival, das nur in den Wohnzimmern der Leute stattfindet. Man hat eine Aufnahme von „Nærveran“ mitgeschnitten und ans Radio der Färöer geschickt – und dieses Lied hat den Leuten einfach gefallen, es wurde wieder und wieder gespielt und die Bewohner der Färöer haben das Lied wirklich ins Herz geschlossen. Dass das so gut laufen würde, hatte ich nicht erwartet. Man kann wohl sagen, dass das ein Hit war. „Going Home“ jetzt auch.
„Going Home“ läuft auch in Dänemark ganz gut, in den dortigen itunes-Charts?
Naja, das sagte man uns, und wir versuchen seitdem rauszukriegen, ob das viel bedeutet oder wenig. Aber wir haben es noch nicht wirklich in Erfahrung kriegen können. Aber es läuft wohl ganz gut.
Nun ist es so, dass selbst anerkannte Musiker mit niedrigen Chartsplatzierungen aus großen Ländern nebenbei arbeiten müssen – denn Plattenverkäufe halten mittlere und kleinere Bands nicht mehr über Wasser. Ich schätze mal, dass du auf den Färöern auch einen zweiten Job hast?
Ja, ich bin Musiklehrer. Ich habe einen Halbtagesjob als Gitarrenlehrer. Das mag ich auch, denn das zwingt mich ja auch, so etwas wie ein geregeltes Leben zu führen. An manchen Tagen kommt man sonst vielleicht nicht aus dem Bett, wenn man keinen Termin hat. Etwa das halbe Jahr arbeite ich drei mal am Tag als Lehrer, immer mit etwa zwei Schülern. Das andere halbe Jahr bin ich auf Tour. Wenn einmal ein Schüler nicht kommt, passt mir das auch, dann mache ich halt Musik für mich selbst.
Über eine Sache möchte ich mich bei dem Album aber beschweren: Es ist so kurz, es sind nur acht Lieder! Ich weiss aber von deinen Shows, dass du noch ein paar unveröffentlichte in deinem Rucksack hast, sozusagen. „All The Good I Know“ zum Beispiel.
Ja, das war deshalb, weil ich gerne diesen roten Faden beibehalten wollte. Ich hatte in etwa 17 Songs, die so weit fertig waren, dass man sie aufnehmen konnte. Ich wusste erst nicht, wie ich diese Songs einteilen sollte, welche ich fürs Album aussuchen sollte. Ich habe dann Mikael Blak hinzu gezogen, als zweite Meinung, und ihm quasi die Entscheidung überlassen. Denn manchmal braucht man jemand von aussen, der mit offenen Augen und Ohren an die Sache ran geht. Er fand die Idee, vier englische und vier färöische Songs zu haben, aufgeteilt auf zwei Seiten, prima. Nicht als A-Seite oder B-Seite, sondern quasi gleichberechtigt, und welche Seite man erwischt, ist quasi Zufall. Ein Cover mit zwei Vorderseiten und keiner Rückseite. Ich mag „All The Good I Know“ oder „The Painting“, diese Lieder will ich bald aufnehmen, da will ich nicht wieder zwei Jahre warten.
Kurze Alben sind ja durchaus sinnvoll.
Ja, weil sich das Business so beschleunigt und auch die Leute weniger Zeit haben.
Viele Klassiker Alben aus den 70s sind ja auch nur 35-42 Minuten lang – weil das halt die Zeit war, die gut auf eine Vinylplatte passte. Erst zur CD-Ära wurden Alben über 70 Minuten lang, weil so viel auf eine CD ging.
Ich mag persönlich Alben mit 8,9, höchstens 10 Songs am liebsten. 10 wären meinetwegen noch gegangen. Aber 8, das fühlte sich einfach richtig an. Auch, weil die Lieder gar nicht so kurz sind, eins dauert sogar über 7 Minuten.
Nun verstehen wir ja kein Färöisch – und wissen gar nicht, worum es in diesen Liedern geht.
Also, das erste Lied von den vier auf Färöisch heißt „Villingarsjónin“ – und das bedeutet „Illusion“. Es geht darum, dass alles möglich ist, wenn man nur fest genug daran glaubt.
In „Nærveran“ geht es darum, den Moment wahrzunehmen. „Nærveran“ bedeutet „Gegenwart“. Und sich gegenwärtig zu sein, heißt „nærverande“. Ein bisschen kompliziert. Die Texte sind mehr so Gedichte. In dem Text sage ich quasi: „Ich spüre meine Gegenwart, und ich möchte hier bleiben und die Gegenwart wahrnehmen. Aber ich weiss auch nicht, wann dies endet, denn es ist nicht meine Entscheidung“ Manchmal, wenn etwas vorbei geht, wünscht man ja, der Moment könnte bleiben. Letztlich geht es darum, den Moment zu genießen. Dieser Text ist tatsächlich in den Gymnasien zum Lehrstoff geworden! Schüler mussten Aufsätze über den Text schreiben! Schon cool oder? Geschrieben hat den Text ein Freund namens Hans Jacob Kollslið.
Dann kommt „Aftur til Jørðina“ und das heißt: „Zurück auf der Erde“. Nachdem wir die Illusion und die Vergegenwärtigung hatten, haben wir jetzt festen Boden unter den Füßen und reden wir von Dingen, die man anfassen kann. Es geht um echte Gefühle zweier Menschen, ob sie zusammen bleiben können oder nicht.
Zum Schluss kommt „Tokan“ – der Song ist gemischt isländisch und färingisch. Ein Lied, das ich gemeinsam mit Svavar Knútur geschrieben habe, auch wieder ein Gedicht. Da musst du dir vorstellen, auf einer Insel im Nebel zu sein und deinen Weg aus dem Nebel finden zu müssen.
Auf den Färöern ein sehr realistisches Szenario.
Ja, haha. Es geht also darum, aus dem Nebel zu finden – indem man sich guten Mut zuspricht und sich eine Melodie vorsingt.
Wie ergab sich dieses gemeinsame Lied? Sprichst du isländisch?
Leider nur ganz wenig. Wir waren eingeladen worden auf ein Songwriter-Symposium auf der Insel Samsø in Dänemark. Bei so etwas werden mehrere Songwriter eingeladen, um miteinander zu schreiben. Sowas in hatte ich noch nicht probiert, also habe ich zugesagt. Wir waren also auf Samsø, in etwa eine Woche, und schrieben einfach miteinander.
Du und Svavar?
… und andere Songwriter. Ich und Svavar hatten einen Tag gemeinsam, also haben wir den Song an einem Tag geschrieben. Wir waren sehr happy damit – alle auf dem Camp waren sehr glücklich mit dem Lied. Wir haben da gemeinsam einen Nerv getroffen. Ich schrieb auch mit anderen Autoren, aber da ist nie mehr mit passiert. Das ist typisch für solche Songwriter-Camps.
Ja, so stelle ich mir das vor. Dass man zwar sicher viel lernt auf diesen Camps, aber das selten was dabei rumkommt.
Es kann eine Menge Türen öffnen, manche Songwriter lernen hier genau die richtigen Leute kennen. Aber meistens geht’s ums Spaß haben, ums Lernen, und einen Moment einzufangen.
So, damit kommen wir ans Ende meiner Fragen – und das ist immer die Anekdote. Meine Frage ist: Was war die verrückteste Show, die du je gespielt hast?
Hmm. Da muss ich nachdenken. Es gab eine Menge irrer Shows. Einmal spielte ich in einer Bar, nicht so lange her, recht nah an meiner Heimatstadt. Als ich fertig war, wurde ich gefragt, ob ich die ganze Nacht durchspielen kann. Man bot mir eine Menge Geld dafür. Ich sagte: Naja, normal mache ich so was nicht. Aber diesmal ließ ich mich überreden, warum nicht. Die Leute wurden alle immer betrunkener. Ein Typ war da, der sich richtig vollsabberte. Das war echt sonderbar.
Wie lange hast du’s durchgehalten?
So bis 4:30 am Morgen.
Da musst du dich aber wiederholt haben, oder?
Naja, ich habe halt alles mögliche gespielt. Coverversionen – normal tue ich das ja nicht. Normalerweise versuche ich, keine Bargigs als Troubadour zu spielen. Lieber gehe ich normal zur Arbeit. Ich sehe einige meiner Freunde, die so etwas machen, als Bar-Sänger leben, und die werden davon echt müde und verlieren die Inspiration. Weil Musik zur Arbeit wird.
Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Ist das auf den Färöern so üblich, dass dort Live-Sänger in Bars stehen und die Musik machen?
Ja, in Torshavn und anderen Orten gibt es Kneipen, in denen Troubadoure stehen und Lieder singen, während die Leute ihr Bier trinken und sich unterhalten und nicht zuhören. Man verdient auch wirklich wenig dabei.
Das muss schon entmutigend sein. Wenn man singt, und die Leute hören nicht zu.
Stimmt, aber es ist ja die eigene Entscheidung dieser Leute. Manche Clubs dieser Art gibt es halt.
Also in München kenne ich nichts dieser Art. Bars, in denen im Eck einfach ein Singer/Songwriter steht und singt. Ich schätze, das muss etwas typisch Färöer-spezifisches sein? Oder vielleicht etwas Skandinavisches?
Meines Wissens ist es auch in Dänemark durchaus normal. Aber Leute, die das machen, sie schreiben normal selbst vielleicht keine besonders guten Songs, sie covern dafür halt besser Creedence Clearwater Revival.
Aber mir fällt noch eine sonderbare Show ein: Als wir auf Tour in Amerika waren, 2012. Damals kriegten wir einen Tourplan und eine Route, und wir wussten nicht, was uns von Ort zu Ort erwartet. Eines Tages landeten wir in einer Shopping Mall – und wir fragten uns: Wie jetzt? Hier sollen wir spielen, oder was? Wir liefen durch die Mall, und es war super heiß, mitten im Sommer – und wir als Menschen aus dem hohen Norden können Hitze ja gar nicht ab. Wir fanden dann eine riesige Bühne irgendwo in der Mall, aber nirgends Leute in der Nähe. Wir waren komplett verwirrt: „Sollen wir auf dieser Bühne spielen?“ „Ja, ihr fangt in 30 Minuten an!“ „Okay… wie lange?“ „Drei Sets, jeweils 45 Minuten – und jeweils 10 Minuten Pause“. „WAS?!“ Aber wir haben dann einfach gespielt. Ich glaube, drei Leute haben wirklich zugehört. Rauf auf die Bühne, wieder runter, wieder rauf. Das war in der Tat unsere schrägste Show – sowas machen wir nie wieder. Ich meine, wenigstens haben wir ordentliches Geld dafür gekriegt – aber im Ernst, wer bucht sowas? Das macht doch keinen Sinn!
Alles klar – ich bin damit so weit, vielen Dank für deine Zeit!
Danke Dir!
Marius Ziska live:
11.05. Münster, Pension Schmidt
12.05. Köln, Theater der Wohngemeinschaft
13.05. München, Milla
14.05. Berlin, Monarch
15.05. Hamburg, Uebel & Gefährlich