Review: Dick Diver

Dick Diver – Melbourne, Florida

Es kann durchaus was haben, wenn Musiker ihre Instrumente nicht perfekt beherrschen. Das gibt dem Ganzen etwas, das man auf Englisch mit Looseness oder Unhingedness bezeichnen würde – es kann zu Musik führen, die so lose schwingt wie eine Tür, die in nur einem statt zwei Scharnieren hängt. Die Libertines haben ihre frühe Karriere drauf aufgebaut, verquer zu klingen und nebeneinander her zu spielen – das unterstrich ihre chaotische Note.

Aber zu Dick Diver: Chaos ist nicht das, was die Melbourner Vorzeige-Dolewaver auf ihren frühen Alben im Sinn hatten. Ihre Unhingedness hatte viel eher etwas Gemütliches. Man sah ihre Heimvideos aus unaufgeräumten Gärten und hatte das Gefühl, neben ihnen in der Hängematte in die australische Nachmittagssonne zu blinzeln – ein Track ihres Debütalbums „New Start Again“ (2011) hieß nicht aus Zufall „Hammock Days“.

„New Start Again“ erregte meine Aufmerksamkeit, weil man down under darüber schrieb, dass es eine so wahnsinnig AUSTRALISCHE Platte sei. Was das war, das die Platte so australisch wie nur irgendwas machte? Das musste ich mir auch zusammen reimen. Neben ein paar spezifischen Locations und Bezugspunkten (die Go-Betweens waren als Einfluss nicht zu überhören, andererseits, Pavement auch nicht) schien es mir vor allem ein … Feeling zu sein. Wenn Dick Diver also an Pavement erinnerten, dann nicht als US-Zyniker, sondern als aufgeweckte Aussies, unter deren Melancholia eine grundsätzlich sonnige Lässigkeit schwang. Auch klangen sie nicht so, als wollten sie Europa oder die USA erobern. Sie schienen nur einfach aus ihrem Vorort-Garten für andere Vorort-Gärten zu singen. Dick Diver teilten sich diese Eigenschaft mit anderen Melbournern wie Twerps, The Ocean Party, Lower Plenty oder auch Bitch Prefect (auch wenn Letztere aus Adelaide stammen). Die australische Musikpresse nannte das „Dolewave“ oder „The New Ordinary“. Hui, eine Szene!

Jetzt will ich aber endlich zu „Melbourne, Florida“ kommen. Es das dritte Album von Dick Diver. Dazwischen lag „Calendar Days“ (2013), eine Platte, die fokussierter war als „New Start Again“, gleichzeitig auch mehr verschiedene Sounds abdeckte. Der Albumtitel „Melbourne, Florida“ verrät nun zweierlei. Erstens: Dick Diver sind jetzt im Rest der Welt angekommen. Melbourne in Florida gibt’s wirklich – (die Kleinstadt hat einen internationalen Flughafen und sicher schon oft für Fehlbuchungen gesorgt). Zweitens: Melbourne ist überall. Dick Diver mögen Songs von der Bass Strait singen, aber letztlich sind ihre Themen doch universell. (Was genau ja auch das ist, was Courtney Barnett so groß machte). 

Drei Alben und internationale Resonanz. Das bedeutet, dass das holprige Zusammenspiel, das den linkischen Charme ihres Debüts mit ausmachte, heute keine Option mehr ist für die vier. Nach mehreren Jahren Bandleben beherrscht man sein Instrument zwangsweise besser. „Melbourne, Florida“ misst sich an anderen Maßstäben. Das definierende Element dieser Platte ist nicht mehr Dick Divers „wir-sind-sympathisch-verpennte-Australier“-Ding. „Melbourne, Florida“ will als gute, wandlungsfähige Indierock/Janglepop-Platte funktionieren.

Hier kommt Dick Diver ein Umstand entgegen, der nur wenige Bands auszeichnet: Alle vier Mitglieder sind auch Songwriter. Jeder dieser Schreiber hat inzwischen seine Eigenheiten heraus kristallisiert, die sich im Bandzusammenhang gut ergänzen. Rupert Edwards ist der melancholische Beobachter. Alistair McKay ist der, der leise in sich hinein lacht und der Dinge lieber gewitzt umschreibt, als sie direkt anzusprechen. Steph Hughes singt wie ein Kindergartenkind, was ihren Songs ein naives Feeling gibt. Al Montfort ist der Sonderling, der sich nur ein mal pro Album zu Wort meldet und dann alle ein bisschen befremdet.

Wir haben also schon mal vier Charaktere. Wir haben auch eine Band, die sich stilistisch ausprobiert. „Tearing The Posters Down“ und „Waste The Alphabet“ sind stampfende Indierocksongs. „Percentage Points“ und „Year In Pictures“ sind subtile Klopfer. „Private Number“ wird von einem Piano dominiert, später setzt ein Saxofon ein, auf der Ballade „View from A Shaky Ladder“ gibt’s nur Piano, Steelguiter und Bläser zu hören  – auf „New Start Again“ wären solche stilistischen Ausflüge noch undenkbar gewesen!

„Melbourne, Florida“ ist keine Platte, die irgendwas im Indie neu erfindet. Aber es ist eine Platte, die sich zu diesem Genre bekennt und dessen Stärken clever erfasst und ausspielt: Das Smarte, das Sensible, das Versteckte, das Brüchige, das Persönliche, das Unsaubere, das Angedeutete, das unerwartet Treffende. Dick Diver tun hier das, was man sich von Lieblingsbands wünscht: Sie prägen sich aus, bleiben sich dennoch treu. Sie wachsen.

15 03 Dick Diver

Dick Diver „Waste The Alphabet“ (von „Melbourne, Florida“, 2015)

Dick Diver „Calendar Days“ (von „Calendar Days“, 2013)

Dick Diver „Through The D“ (von „New Start Again“, 2011)

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